Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 13. April – 26. August 2018 im Kunsthaus Graz und im Kultum – Kulturzentrum bei den Minoriten anlässlich des Jubiläums „800 Jahre Diözese Graz-Seckau“, herausgegeben von Katrin Bucher Trantow, Johannes Rauchenberger und Barbara Steiner mit Texten von Monika Holzer-Kernbichler, Elisabeth Schlögl, Antonia Veitschegger und den HerausgeberInnen
Reihe ikon. Bild + Theologie
Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn, 2018, ISBN 978-3-506-79281-5, 316 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Broschur, Format 23,5 x 20 cm, € 69,00
2018 wurde, wo immer es Protestanten gibt, der Reformation gedacht; dabei kam auch Luthers Neubewertung der Bilder zur Sprache, so etwa in der groß angelegten Ausstellung ›Luther und die Avantgarde‹ im ehemaligen Frauengefängnis in Wittenberg. Für Luther sind Bilder nicht heilsnotwendig; man kann sie haben oder auch nicht. Die Diözese Graz-Seckau konnte im selben Jahr nicht nur auf 500 Jahre, sondern auf ihre Gründung vor 800 Jahren im Jahr 1218 durch Erzbischof Eberhard II. zurückblicken. Die kurze evangelische Blüte in der Steiermark in der Zeit nach 1530 und die mit ihr verbundene protestantische Bildpolitik kann demgegenüber vernachlässigt werden: Ferdinand II., der spätere Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, hatte mit der Regierungsübernahme im Jahr 1596 in Innerösterreich alles daran gesetzt, die sich ausbreitende Reformation auch in der Steiermark zurückzudrängen und der Gegenreformation zum Sieg zu verhelfen. Dazu hob er das von seinem Vater Erzherzog Karl II. gewährte Recht auf freie Religionsausübung auf, wies 1598 die protestantischen Lehrer und Prediger aus dem Land, befahl allen protestantischen Bürgern, entweder zur katholischen Religion überzutreten oder auszuwandern und zwang 1628 die Adeligen zu demselben Schritt. Durch die Rekatholisierung wurde die religiöse Einheit des Landes wiederhergestellt. Dass Ende 2017 knapp zwei Drittel der in der Steiermark Lebenden und nicht 57,9 % wie in Gesamtösterreich katholisch sind, verdankt die Steiermark der Gegenreformation und ihrer Bildpolitik, also dem in der XXV. Sitzung des Trienter Konzils festgehaltenen Dekret über die Verehrung der Heiligen, ihrer Reliquien und der Bilder:
Nach dem Tridentinum sind die Bilder Christi, der jungfräulichen Gottesgebärerin und anderer Heiliger in den Kirchen aufzustellen und beizubehalten. Ihnen ist die ihnen gebührende Ehre und Ehrfurcht so zu erzeigen, „dass wir durch die Bilder, welche wir küssen und vor welchen wir das Haupt entblößen und niederfallen, Christum anbeten und die Heiligen, die auf den Bildern dargestellt sind, verehren“ (Dekret vom 3. und 4. Dezember 1563). Alle Bilder gewähren großen Nutzen, nicht nur, weil das Volk dadurch an die Wohltaten und Gaben erinnert wird, welche ihm durch Christus verliehen worden sind, sondern auch, weil die Wunder, welche Gott durch die Heiligen verrichtet, und die heilsamen Beispiele derselben durch solche Bilder den Gläubigen vergegenwärtigt werden, damit diese dafür Gott ihren Dank bringen und nach dem Vorbild der Heiligen ihr Leben und ihren sittlichen Wandel einrichten und dazu angeregt werden, Gott zu lieben und anzubeten und Frömmigkeit zu üben. Bei der Verehrung der Reliquien und beim Gebrauch der Bilder soll aber aller Aberglaube vermieden werden.
Wenn die Herausgeber von ›Glaube Liebe Hoffnung‹ (vergleiche dazu etwa https://www.achtzig.com/2018/04/glaube-liebe-hoffnung-im-kunsthaus-und-im-kultum/) an die politische Dimension des Verhältnisses von Gegenwartskunst und Gesellschaft erinnern, Kunst zum Teil der gesamtgesellschaftlichen Debatte und des kritischen Diskurses werden lassen wollen und feststellen, dass das „nicht neu“ ist (Katrin Bucher Trantow, Johannes Rauchenberger und Barbara Steiner S. 4), unterstreichen sie diese Einschätzung. Bildern kam in der Steiermark schon seit 800 Jahren eine eminente religions- und gesellschaftspolitische Bedeutung zu. Eigentlich sollte man sogar von 1000 Jahren sprechen, denn in „Österreich und in der Steiermark prägen katholische Bilder und christliche Werte seit rund 1000 Jahren das öffentliche Leben – Kirche und Staat waren bis zum Ende der Habsburgermonarchie aufs engste verbunden, Staat und Kirche fungierten wechselseitig und gemeinsam als Schutzmacht, als Geldgeber und auch als Bevormunder. Diese heilige und unheilige Allianz von ›Thron und Altar‹ wirkte sich unmittelbar auf die Politik und den Alltag der Menschen in diesem Land aus, machte sie abhängig und auch unterwürfig, was beiden Seiten nützlich war“ (Katrin Bucher Trantow, Johannes Rauchenberger und Barbara Steiner S. 8). Dass der Diskurs über die religions- und gesellschaftspolitische Funktion der Bilder in der Steiermark in der Gegenwart von kirchlicher Seite vorangetrieben wird, ist vor dem geschilderten geschichtlichen Hintergrund nur konsequent. Die Entscheidung, in ›Glaube Liebe Hoffnung‹ Bildkonzepte der Vergangenheit mit jenen der Gegenwart zu verschränken (vergleiche dazu Katrin Bucher Trantow, Johannes Rauchenberger und Barbara Steiner S. 12) und den konstruktiven Dialog mit der Gegenwart zu suchen, verdankt sich genau diesem Hintergrund.
In der vom ›aggiornamento‹ des zweiten vatikanischen Konzils geprägten Sprache der Publikation zur Ausstellung liest sich das so: „Die Ausstellung nimmt das Klima eines konstruktiven Dialogs mit der jeweiligen Gegenwart auf und sucht zwischen verschiedenen Weltanschauungen, weltlichen und kirchlichen Sphären, Popular- und Hochkultur sowie zeitgenössischer und alter Kunst zu vermitteln, nicht etwa um Unterschiede – die es sehr wohl gibt – zu nivellieren, sondern um spannende Nachbarschaften zu erzeugen und einen Diskurs über das Trennende, aber vor allem Gemeinsame zu eröffnen“ (Katrin Bucher Trantow, Johannes Rauchenberger und Barbara Steiner S. 14 ff.). Auf diese Weise will man herausfinden, was die drei ›göttlichen Tugenden‹ Glaube Liebe Hoffnung „heute bedeuten, was sie in unterschiedlichen Zusammenhängen ausdrücken können, welchen Transformationen sie unterworfen sind“, wie sich dies für Einzelne und den Einzelnen in einer zunehmend säkularen Gesellschaft manifestiert und wie die „ehemals kirchlich gebundenen Begriffe […] in ihrer weltlichen Verwendung auf ihre ehemals sakralen Bedeutungen ›zurückleuchten‹“ (Katrin Bucher Trantow, Johannes Rauchenberger und Barbara Steiner S. 14).
In der Ausstellung treten dann unter anderem ein steirisch/kärntnerischer Flügelaltar aus dem späten 15. Jahrhundert in Beziehung zu Wilhelm de Rooijs ›Bouquet IX‹ von 2012 (vergleiche dazu https://www.google.de/search?q=Willem+De+Rooij+Bouquet+IX&tbm=isch&source=univ&sa=X&ved=2ahUKEwjc5b6flIvgAhWSLVAKHVHiDhAQsAR6BAgGEAE&biw=1679&bih=912#imgrc=7eUr-P6S7o7XAM:) und zu Adel Abdessemeds ›God is Design‹ von 2005, eine ›steirische Schutzmantelmadonna‹ in Beziehung zu Ulrike Rosenbachs Video ›Glauben Sie nicht, dass ich eine Amazone bin‹ von 1975 (vergleiche dazu http://www.medienkunstnetz.de/werke/glauben-sie-nicht/) und die Holzschnitte ›Die Wunder von Mariazell‹ eines unbekannten deutschen Meister (vergleiche dazu http://sammlungenonline.albertina.at/?id=tms_337579#d8c21553-2cce-448e-8ad3-b339aa050e37) in Beziehung zu Harun Farockis Video ›Übertragung‹ von 2007 (vergleiche dazu https://www.harunfarocki.de/de/installationen/2000er/2007/uebertragung.html).
Die in der Ausstellung aufgeworfenen Fragestellungen und die in ihr hergestellten Bezüge zwischen überkommener christlicher und zeitgenössischer Kunst machen das Projekt über den Anlass hinaus nachdenkenswert und regen dazu an, es im größeren Kontext weiter zu verfolgen. Man fragt sich allerdings, ob der Untertitel ›Zeitgenössische Kunst reflektiert das Christentum‹ nicht zu viel verspricht und ob es nicht angemessener gewesen wäre, statt vom durch Kunst reflektierten Christentum vom durch Kunst reflektierten Katholizismus zu sprechen.
ham, 26. Januar 2019