Publikation zur Ausstellung zum Bilderverbot und zu unserer Lust auf Bilder vom 1. März – 14. Juni 2015 im Dom zu Berlin, herausgegeben von Petra Zimmermann und Alexander Ochs. Mit einer Handreichung der Herausgeber, Texten u. a. von Joachim Hake, Alexander Ochs, Chris Newman, Predigten von Petra Zimmermann, Michael Kösling, Georg Maria Roers SJ, Thomas C. Müller und einem Gespräch zwischen Joachim Hake, Reinhard Hoeps und Alexander Ochs über das Bilderverbot und die Lust der Kirche auf Bilder

Kerber Verlag, Bielefeld, 2015, ISBN 978-3-7356-0171-1, 170 Seiten, zahlreiche Farbabbildungen, Hardcover gebunden, Format 25,5 x 19 cm, € 32,00 / CHF 39,00

Bis zum 31. Dezember 2005 ist der Berliner Dom Sitz des Kunstdienstes der Evangelischen Kirche in Berlin gewesen. Der Kunstdienst hatte nach seiner Satzung die Aufgabe, »die Herausforderungen, Aufgaben und Möglichkeiten aus der Begegnung von Kirchen und Künsten anzunehmen und zu nutzten«. Nach dem Tätigkeitsbericht der Kirchenkanzlei der Union der Evangelischen Kirchen in der EKD vom 12. und 13. Mai 2006 wurde diese Aufgabe mit unterschiedlichen  Gestaltungsschwerpunkten wahrgenommen, „in den letzten Jahren insbesondere auch durch kulturelle Präsenz am Berliner Dom“ (vergleiche dazu http:// www.uek-online.de/downloads/taetigkeitsbericht_juli_03-mai_06.pdf S. 27 f.). Zu dieser kulturellen Präsenz haben nach dem Selbstverständnis des Kunstdienstes auch die wöchentlichen Kunstdienst – Andachten am Mittwochabend um 18.00 Uhr in der Predigtkirche des Doms gehört, in denen zeitgenössische Kunstwerke auf ihre Relevanz für Fragen der Zeit und der Existenz befragt worden sind. Dass die gezeigten Arbeiten nicht immer willkommen waren, zeigt unter anderem der Streit um Gabriele Nasfeters „Lichtpyramide 2000“, die ab 30. April 2000 für sieben Wochen in der Kuppel der Predigtkirche installiert war. Die Arbeit hat die Mosaiken in der Kuppel verdeckt und nach Manfred Richter, dem Leiter des Kunstdienstes, an die Tradition der Verhüllung der Altäre in der Passionszeit erinnert (vgl. dazu http://www.tagesspiegel.de/berlin/ installation-lichtpyramide-2000-stoesst-auf-schroffe-ablehnung-domprediger-fordert-abbau/144122.html). Nach Auffassung des damaligen Dompredigers Friedrich-Wilhelm Hünerbein hat die Installation den Raumeindruck gestört und Probleme bei der Akustik bereitet. Unter anderem deshalb kam es zum Streit. Das Ende des Kunstdienstes hatte nach dem Tätigkeitsbericht der Kirchenkanzlei aber andere Gründe: „Dass der Kunstdienst durch die UEK nicht auf Dauer erhalten werden kann, war seit längerem klar. Versuche, das Markenzeichen »Kunstdienst« mit anderen kulturellen Aktivitäten wie der Stiftung St. Matthäus oder dem Büro und der Kulturbeauftragten der EKD zu verbinden haben zu keinem Ergebnis geführt. Deshalb musste der Kunstdienst seine Tätigkeit zum 31. Dezember 2005 beenden“ (http://www.uek-online.de/downloads/ taetigkeitsbericht_juli_03-mai_06.pdf S. 28).

Wer die Neuanfänge der Begegnung zwischen Kunst und Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg kennt und realisiert, welche Bedeutung den Ausstellungsorten Hospitalhof Stuttgart, der Kunststation Sankt Peter, Köln und dem Großmünster in Zürich ab Ende der 1980er Jahre zugewachsen ist, wird sich freuen, dass in der Bundeshauptstadt mit dem Berliner Dom ein potenter Mitspieler zu den eingeführten Kunstorten der Kirchen Sankt Matthäus und Guardini Galerie hinzugekommen ist. Dass die Präsentation von Gegenwartskunst im Dom von der Predigt- in die zu einem temporären Ausstellungsraum umgebaute Taufund Traukirche verlegt worden ist und dass die heutigen Domprediger in Alexander Ochs einen kompetenten Ausstellungsorganisator gefunden haben, hat die Akzeptanz des Projekts wohl befördert. Für Ochs reflektiert der in die Tauf- und Traukirche eingebaute Raum den Makom aus dem alttestamentlichen Buch Esther 4,14. „Ha-Makom“ ist hebräisch und heißt der Ort. Esther 4,14 spielt auf einen anderen Ort an, von dem her Hilfe zu erwarten ist, wenn alle andere Hilfe versagt: „Denn wenn du zu dieser Zeit schweigen wirst, so wird eine Hilfe und Errettung von einem anderen Ort her den Juden entstehen“. Die Rabbiner haben mit diesem „anderen Ort“ eine Anspielung auf den Gottesnamen verbunden; „ha-Makom“, der Name Gottes, tritt an die Stelle des Tempels und wird zum Raum der Begegnung mit Gott. Der Raum im Raum sollte also wohl eine Art Schutzraum für Erfahrungen sein, die die Grundlagen der eigenen Existenz berühren und die man sonst eher für sich behält (vergl. dazu Alexander Ochs S. 18).

Ochs unterhält seit 1997 eine eigene Galerie in Berlin; er hat seit 2006 über 10 Ausstellungen in Kirchen mitorganisiert und zur Ausstellung im Berliner Dom auch eigene Arbeiten beigetragen. Am Anfang des Projekts DU SOLLST DIR (K)EIN BILD MACHEN stand für ihn die Frage, wie er als Protestant zugleich dem Bilderverbot folgen und eine weitergehende Idee zum Bilderstreit formulieren kann: „Du sitzt in der Predigtkirche des Doms und da schauen Luther, Melanchthon, Zwingli und Calvin überlebensgroß auf dich herunter. Die Didaktiker und Bilderstürmer. Und nun ächzt du, auch ausgehend von der Fragestellung“ (Alexander Ochs S. 154). Als er entschieden hat, dass es in einer Ausstellung um keine kunstgeschichtliche Konstellation und keine historische Ausstellung, sondern um ein Atemholen gehen sollte und der Rhythmus der Ausstellung im Einatmen und Ausatmen bestehen könnte, „wurde der Atem ganz ruhig“ (Alexander Ochs a. a. O.). „Und darum könnte es […] gehen: Eine Kunst zu zeigen, die das Lebendige in jedem Menschen anrührt und berührt, eine Kunst, die nicht fassbar ist und sich so der didaktischen Zuschreibung verweigert, eine Kunst, die von ihren Schöpfern […] aus der ihnen eigenen Spiritualität und Liebesfähigkeiten entsteht, aber auch aus dem nicht ausgehalten Hass. Eine Kunst, die vielleicht in der Lage ist […], die uns »erregenden Rätsel« auszuhalten“ (Alexander Ochs S. 11). „Der in Berlin lebende und arbeitende Kunsthistoriker Horst Bredekamp […] schreibt: »Am Beginn stand das Bilderverbot der monotheistischen Religionen: Ihr dürft euch kein Bildnis machen. […] Als dann die Bilder kamen, musste das Verhältnis von Bild und Gott neu definiert werden: sie durften nicht mehr identisch sein«. Die Beschreibung dieser Differenz steht wohl im Kern dieser Ausstellung: meist säkulare Werke zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler treffen religiöse Werke oder solchen mit religiösen Aussagen, ohne dass von der sich säkular verstehenden Kunst verlangt würde, das Christentum und seine Geschichte zu bebildern. Dabei verhält sich die entstehende Geschichte der Ausstellung linear zu den Sonntagen und Festen des Osterfestkreises und folgt ihrer Liturgie: Passion, Gründonnerstag, Karfreitag, Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten bis hin zum zweiten Sonntag nach Trinitatis. Wie können wir uns das vorstellen? […] Wie ein Einatmen, wie ein Ausatmen, wie Ruminatio, das Wiederkäuen biblischer Texte und das Jesusgebet, das auf mönchische Praktiken bis ins dritte Jahrhundert zurückgeht“ (Alexander Ochs S. 16 f.).

Im Ergebnis ist eine Ausstellung in zehn Variationen entstanden, die sich fortlaufend verdichtet und weitgehend auf die sonst im Kunstsystem üblichen Hierarchien zwischen den Arbeiten verzichtet hat. Unter den über 60 Positionen waren Arbeiten von Hans Arp, Ai Weiwei und Lucio Fontana ebenso zu finden wie eine historische Anna Selbdritt aus der Zeit von 1390 bis 1410 und der Kruzifixus aus Elfenbein aus dem Bamberger Dom von 1130/40. In der letzten Station waren dann unter anderem Polaroids von Ausstellungsbesuchern und Ruprecht von Kaufmanns 2003 entstandene zweiteilige Arbeit „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“, Kreuz: Holz, Lampe, Tierhaut, 200 x 180 cm; Rolltreppe: Öl auf Leinwand, Plexiglas, 18O x 155 cm zu sehen, in der sich die hebräischen Buchstaben von Alexander Ochsens Neonskulptur zum Bilderverbot gespiegelt haben. Von Kaufmanns Arbeit ist von seiner Ausstellung „Keiner da? Tagebuch eines Zweiflers“ im Jahr 2008 im Hospitalhof Stuttgart her bekannt. Sie ist nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York entstanden, reflektiert den Ursprung der Religion und fragt, inwieweit Religion ein gutes Hilfsmittel für die Fragen sein kann, die Menschen in der Tiefe bewegen und inwieweit auch ein Irrweg (Vergl. dazu http://du-sollst-dir-kein-bild-machen.de/interview-ruprecht-vonkaufmann/). Man kann gespannt sein, welche Arbeiten bei der für den Deutschen Evangelischen Kirchentag 2017 angedachten nächsten Ausstellung im Berliner Dom gezeigt werden. Man kann damit rechnen, dass sie wieder in der Tauf- und Trau- und nicht in der Predigtkirche zu finden sind. Und es steht zu hoffen, dass auch wieder eine vergleichbar ambitionierte Publikation entsteht wie zur Ausstellung von 2015.

ham, 2.2.016

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