Ausgangspunkt der in der Städtischen Galerie Karlsruhe gezeigten knapp 200 Vintages des 1928 in Paris geborenen und 2023 in New York verstorbenen Magnum-Fotografen Elliot Erwin sind eine signierte Fotografie Erwitts, die die Leiterin der Städtischen Galerie Stefanie Patruno vor gut zwei Jahren zufällig bei einem Besuch in einer Karlsruher Wohnung entdeckt hat, zwei von einem Sammler angekaufte Fotos des Künstlers und Kontaktabzüge aus seiner Karlsruher Zeit, die sich in seinem Nachlass befunden haben. Die für die Ausstellung ausgewählten Fotos wurden nicht mit amerikanischen, sondern mit europäischen Augen gesichtet. Den Schwerpunkt in den fünf Kapiteln der Ausstellung bilden Aufnahmen von Kindern, Hunden und Straßenfotografien aus den 1950er bis 1980er Jahren.
„Made in Karlsruhe“ ist dann auch zum Nukleus der Ausstellung geworden: Erwitt war 1951 als junger Soldat in Karlsruhe stationiert und hat neben Identifikations- und Passbildern auch ein paar Aufnahmen von Karlsruhe und ein Selbstporträt als „Jesus“ gemacht. In Barcelona, Pisa, Paris, London, Częstochowa, Moskau, aber auch in Guatemala, Puerto Rico und Japan sind sozialdokumentarische Straßenszenen mit Witz entstanden, darunter ein Jugendlicher hinter einer zersplitterten Autoscheibe und Touristen vor dem schiefen Turm von Pisa. Seine Kamera ist für ihn bei diesen Aufnahmen zur Schranke zwischen sich und der Welt und zugleich auch zum Instrument der Annäherung geworden. Seine Aufnahmen zeigen seinen gleichermaßen kritischen und emphatischen Blick. Bei Auftragsarbeiten wie dem Familienfoto besticht die Inszenierung im Sunday best und man kann davon ausgehen, dass die Mutter vorher beim Friseur gewesen ist. Die um die Fotos gezogenen schwarzen Ränder zeigen den vom Fotografen verbindlich vorgegebenen Ausschnitt an.
Seine Alltagsgeschichten mit ungewöhnlicher Perspektive zeichnen sich durch sein feines Gespür für die absurden, komischen, tragischen und poetischen Augenblicke des Alltags aus. „Man sagt mir, ich verstünde mich darauf, Fotos zu machen, die in derselben Weise witzig sind wie Wortspiele“, so Elliott Erwin. Ungarische Mädchen hinter Gänsen im Gänsemarsch, ein Vater mit einem Kinderwagen neben einem Model-Defilee in Brautkleidern und Museumsbesucher vor einem leeren Bilderrahmen lassen den Betrachter schmunzeln. Und für seine Aufnahme des Chihuahua im Mäntelchen neben den Beinen seines Frauchens musste sich Erwitt wohl auf den Boden legen. Dass der Hund so erschreckt in die Kamera schaut, kann daran liegen, dass Erwitt bei der Aufnahme auf eine in seiner Hosentasche versteckte Hupe gedrückt hat.
Zentrales Foto seiner Dokumente des sozialen Miteinanders ist die Aufnahme seiner ersten Ehefrau mit der erstgeborenen Tochter und der Hauskatze. Neu in der Ausstellung sind die Kid’s Zonen, in denen Kinder lesen und mit dem Stoffhund Elli spielen können. In der Kinderabteilung sind die Bilder auf die Augenhöhe der Kinder gehängt. Die gelben Treppchen aus den anderen Abteilungen fallen weg. Dafür stehen für die Erwachsenen blaue Hocker im Raum, auf die sie sich setzen können. Den Schluss bildet eine leere Wand, auf der ausgewählte Schnappschüsse von BesucherInnen ihren Platz finden werden.
Wer noch mehr von Elliot Erwitt wissen und sehen möchte, kann sich an der Kasse Elliotts Klassiker Elliott Erwitt’s New York – Revised Edition erwerben, der aus Anlass seines 95. Geburtstags bei teNeues erschienen ist. Er enthält auf 16 neuen Seiten bisher unveröffentlichte Bilder aus den 50er und 60er Jahren. Das Buch im XXL – Format hat die ISBN-Nr. 9783961715664. Es wird mit einem ins Deutsche, Französische, Italienische und Spanische übersetzten englischen Vorwort des studierten Kunsthistorikers, Schriftstellers und Essayisten Adam Gropnik eingeleitet, zeigt etwa 130 Schwarz-Weiß-Fotografien, ist 160 Seiten und 36,5 x 27,6 cm groß, hat einen Hardcover-Einband und kostet 49,90 €.
ham, 27. September 2024