Mit Texten von Diedrich Diederichsen, Matilda Felix, Irina Hiebert Grun, Brigitte Kölle, Catherine Nichols, Monika Sprüth, Dorothee Wagner sowie historische Textbeiträge von Donald Judd, Liza Béar. Willoughby Sharp, Bruce Nauman, Liam Gillick und Rirkrit Tiravanija
und den Künstler/innen Josef Albers, Carl Andre, Bernd und Hilla Becher, Lee Bontecou, George Brecht, John Chamberlain, Hanne Darboven, Dan Flavin, Isa Genzken, Jenny Holzer, Richard Jackson, Donald Judd, Allan Kaprow, Manfred Kuttner, Barbara Kruger, Louise Lawler, Sol LeWitt, Walter de Maria, Paul McCarthy, Robert Morris, Bruce Nauman, Sigmar Polke, Charlotte Posenenske, Timm Rautert, Jason Rhoades, Gerhard Richter, George Segal, Cindy Sherman, Tony Smith, Robert Smithson, Frank Stella, Wolfgang Tillmans, Rirkrit Tiravanija, Rosemarie Trockel, Lawrence Weiner
Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin / Kerber Verlag Bielefeld 2019, ISBN 978-3-7356-0585-6, 196 Seiten, 53 farbige und 56 s/w Abbildungen, Broschur, Format 30 x 24 cm, € 49,00 (D) / CHF 49,12
Vorstellungen, wie Neues in die Welt kommt und woraus sich Kreativität speist, laufen in der Neuzeit auf den Menschen und die Umstände zu, in denen er lebt. Während die griechische Antike noch damit gerechnet hat, dass Inspiration und das Erschaffen von Neuem Ausfluss göttlicher Eingebung sind, beginnt man in der Renaissance, Kreativität und künstlerische Schaffenskraft genial begabten Menschen zuzuschreiben. Die Beschreibungen von Kreativität differieren. James Melvin Rhodes stellt 1961 fest, dass sich die damals gängigen 40 Definitionen von Kreativität nicht widerspruchslos systematisieren und auf den Punkt bringen lassen. Deshalb schlägt er vor, vier separate Stränge zu bedenken, die Kreativität beeinflussen, so die Person, den Prozess, in dem sich die Wahrnehmung, das Denken und die Kommunikation der Person vollzieht, die Presse und das heißt das Umfeld und den Ort, in dem gearbeitet wird und schließlich das Produkt, das als greifbare Idee in Form von Worten, Farbe, Ton, Metall, Stein oder anderen Materialien an andere weitergegeben werden kann.
Wenn Donald Judd 1964 in seinem Überblick über die New Yorker Kunstszene erklärt, dass die Malerei der „New York School“ ihre größte Zeit hinter sich hat, aber Josef Albers ›Homage to the Square, 1959 (vergleiche dazu die vergleichbare Arbeit ›Homage to the Square: On the way, 1959 unter https://www.bildindex.de/document/obj02510907?part=0&medium=ng1828_019), Lee Bontecous ›Untitled‹, 1960 (vergleiche dazu https://www.google.de/search?q=nationalgalerie+berlin:+Lee+Bontecous+%E2%80%BAUntitled%E2%80%B9+(1960)&tbm=isch&source=univ&sa=X&ved=2ahUKEwjjsqat_ZfoAhWwMewKHRP2Dk8QsAR6BAgKEAE#imgrc=DMiPFJXSuHqvdM) und John Camberlains ›Silverheels‹, 1963 (vergleiche dazu https://www.google.de/search?q=John+Camberlain+%E2%80%BASilverheels%E2%80%B9+(1963)&tbm=isch&ved=2ahUKEwi1lqGbgZjoAhWUNewKHfQoC1sQ2-cCegQIABAA&oq=John+Camberlain+%E2%80%BASilverheels%E2%80%B9+(1963)&gs_l=img.12…312199.315633..317956…0.0..0.89.235.3……0….1..gws-wiz-img.urAMY7Yn2Ms&ei=Z8drXvXGE5TrsAf00azYBQ#imgrc=6qvPx6C33X5ZpM) beachtenswerte Qualitäten aufweisen, verhandelt er mittelbar auch die Frage, warum einstige Größen ihre Kreativität nach wenigen Jahren verloren haben und andere zu ungeahnter Größe aufgestiegen sind. Auch bei Judd verlieren bisher für wichtig erachtete kunsthistorische Orientierungsgrößen wie die Schulen, die Gattungen und die Stile an Bedeutung,. »The history of art and art’s condition at any time are pretty messy« (Donald Judd, 1964). Die lokalen Bezüge und der Kontext, in dem die Werke entstehen, werden dagegen umso wichtiger.
Judds Hinwendung zur „Local History“ (vergleiche dazu seinen im Katalog auf den die Seiten 28 – 41 abgedruckter Aufsatz „Local History“) hat auch zu dem Versuch motiviert, Werke aus der Friedrich Karl Flick Collection und der Nationalgalerie in den Kontext ihrer Entstehung zu bringen und sie zusammen mit einigen Leihgaben auszustellen. Dadurch sind Freundschaften und Netzwerke in Düsseldorf, Köln, Berlin, New York und Los Angeles ebenso sichtbar geworden wie gemeinsame Themen und kollaborative Projekte.
So wurde der 1967 von Konrad Fischer in der Neubrückstraße in Düsseldorf eröffnete Ausstellungsraum zu dem Ort, an dem Künstler wie Carl Andre, Sol LeWitt, Bruce Nauman, Robert Smithson und Lawrence Weiner ihre ersten Ausstellungen in Europa hatten. „Carl Andre reist für die bei Fischer 1967 präsentierte Ausstellung extra aus New York an. Wie später sein Künstlerkollege Bruce Naumann (der immerhin noch eine Geige im Gepäck haben wird), kommt er ohne Werk und nur mit ein paar Ideen im Kopf nach Düsseldorf, um vor Ort und eigens für die Ausstellung Kunst zu schaffen. Die Künstler/innen anstelle eines Transports fertiger Arbeiten einzuladen, damit sie in situ ihre Werke schaffen, stellt Ende der 1960er Jahre eine noch vollkommen neue Ausstellungspraxis dar, die […] beachtliche Folgen hat. Zum einen wird damit eine Kunst befördert und ermöglicht, die sich sensibel und spezifisch auf den jeweiligen Ort ihrer Präsentation einlassen kann. Eine sich in den 1960er Jahren verändernde, prozessual und ortsbezogene Kunst verlangt neue Entstehungs- und Präsentationsweisen, insbesondere die physische Anwesenheit ihres geistigen Urhebers […].
Zum anderen bietet die Präsenz der ausstellenden Künstler/innen die Möglichkeit zum Austausch und der Vernetzung mit der lokalen Kunstszene. Mit den in Düsseldorf anwesenden Künstler/innen konnte man ›reden und Bier trinken‹ ⟨Kaspar König⟩. Dies mag zunächst wie ein netter Nebeneffekt klingen, ist aber viel mehr als das. Nicht nur Fischer hat durch die persönliche und wiederholte Anwesenheit seiner Künstler/innen die Gelegenheit, ein tragfähiges freundschaftliches Verhältnis zu ihnen aufzubauen, auch die in Düsseldorf ansässigen Künstler/innen, die Sammler/innen und Kritiker/innen, sprich, die gesamte Düsseldorfer Kunstszene profitiert vom Besuch der ausländischen Gäste. Da das preisgünstige transatlantische Flugticket zu jener Zeit einen Mindestaufenthalt von drei Wochen erfordert, bleibt ausreichend Zeit zur Produktion weiterer Werke vor Ort, für Reisen […], für Ausstellungsbesuche und zum persönlichen Kennenlernen […]. Bruce Naumann lernt hier (nicht in den USA!) seine Landsleute Sol LeWitt und Carl Andre kennen. Gerhard Richter und Blinky Palermo kommen bei Konrad Fischer mit vielen Künstlern aus New York in Kontakt, sodass sie sich bei ihren späteren Besuchen in der amerikanischen Kunstmetropole willkommen fühlen werden. Zwischen Carl Andre und Bernd und Hilla Becher, zwischen Robert Ryman und Jan Dibbets, zwischen Juan Muñoz und Thomas Schütte entstehen tiefe Freundschaften“ (Brigitte Kölle, Fischers Netze S. 72). Die eigene künstlerische Praxis wird durch die Begegnung mit den Werken anderer bereichert und die durch Fischer ermöglichten Kontakte zu Kurator/innen und Museumsdirektor/innen erhöhen die öffentliche Präsenz.
Weitere Kapitel befassen sich mit der sich in Los Angeles entwickelnden Kunstszene, mit der von Monika Sprüth ab 1985 in Köln unter dem Namen ›Eau des Cologne‹ konzipierten Reihe von Gruppenausstellung und den dazu herausgegebenen Magazinen gleichen Namens, mit Isa Genzkens Auseinandersetzung mit Architektur und Urbanistik in ihrem New Yorker und Berliner Umfeld und mit Rirkrit Tiravanijas Reisen, seinen Einladungen zum Kochen und Essen und seiner prozessualen alltagsgebundenen Auffassung von Kunst.
ham, 14. März 2020