Malermeese – Meesermaler
Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 16.11.2013 – 09.03.2014 im Museum der
Moderne Salzburg Mönchsberg, hrsg. vom Museum der Moderne Salzburg Doris Mampe,
Veit Ziegelmaier mit Texten unter anderem von Robert Eikmeyer, Christina Penetsdorfer,
Daniel J. Schreiber, Harald Falckenberg, Sebastian Preuss und einem Gespräch zwischen
Michael Diers, Pamela Kort und Beat Wyss mit Doris Mampe über Jonathan Meese
Museum der Moderne Salzburg / Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2013 ISBN
978-3-86335-4435-5, 176 S., zahlreiche Farbabbildungen, Hardcover gebunden, Format 28,2
x 23,7 cm, € 32,–
Jameese Bondaddy (Moon of Gold)
Publikation zur Ausstellung vom 11.11. – 22.12.2013 in der Galerie TR3 Ljubljana mit
Texten von Igor Lah und Raimund Stecker, Galerie TR3, Ljubljana, 2013, 30 S., zahlreiche
Farbabbildungen, Broschur, Format 30 x 23 cm
Zoo (M) de Large (Jail d’art)
Katalog zur gleichnamigen Ausstellung vom 17.01. – 26.04.2014 in der Galleri Bo Bjerggard,
Kopenhagen, Kopenhagen 2014, ISBN 978-87-93134-01-0, 52 S., zahlreiche
Farbabbildungen, Broschur mit Rückstichheftung und Schutzumschlag, Format 19 x 19 cm
Dienstbuch 2013
Fotografie und Gestaltung: Jan Bauer, Jonathan Meese
Berlin 2013, 100 S., zahlreiche Farbabbildungen, Hardcover gebunden, Format 28 x 20,5 cm
Retrospektiven können, und das ist ihre Chance, Hauptaspekte eines Werkes akzentuieren,
aber niemals alle seine Wendungen und Fassetten nachzeichnen. Dies gilt insbesondere dann,
wenn es sich um das Werk des schon seine Lehrer an der Kunstakademie Hamburg mit
überbordenden Produktionen überfordernden Vollblutmalers, Performers, Bildhauers und
Installationskünstlers Jonathan Meese handelt. Genau deshalb kann die von Veit Ziegelmaier
im Museum der Moderne Salzburg in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler und Doris
Mampe erarbeitete retrospektiv angelegte Präsentation des malerischen Schaffens von
Jonathan Meese nicht hoch genug eingeschätzt werden. Meese hatte mit 22 Jahren angefangen
zu zeichnen und war über Kurse für Aktzeichnen an der Volkshochschule in Ahrensburg, für
Radierungen am Kunst- und Gewerbemuseum in Hamburg und einen
Mappenvorbereitungskurs für die Kunstakademie an einer privaten Schule in Blankensee an
die Hochschule für Bildende Künste Hamburg gekommen. „Die malerische Sprache, die
Meese seitdem entwickelt hat, nimmt inzwischen einen singulären Status im aktuellen
Kunstgeschehen ein. Die Ausstellung umspannt – angefangen von sehr frühen bis hin zu
aktuellen Werken – das gesamte Panorama der verschiedenen malerischen Gattungen, in
denen der Künstler inzwischen gearbeitet hat: Historienbild, Porträt, Selbstporträt und
Freundschaftsbild…. Wie ein roter Faden zieht sich die Auseinandersetzung mit politischen
Systemen und ihren Kontroll- und Machtmechanismen durch das Werk…, das aufgrund
seiner exzessiven Verwendung von Zeichen wie der Swastika, des Eisernen und des
Lateinischen Kreuzes sowie des sogenannten >>Hitlergrußes<< äußerst kontrovers diskutiert
wird. Meese ist bestrebt, diese verbotenen und belasteten Zeichen zu dekonstruieren oder im
Mix mit Müll und Spielzeug ad absurdum zu führen. Während die Kritik das entweder als
harmlos abwertet oder als gefährliches Spiel anprangert, verbirgt sich hinter dem
systematischen Einsatz dieser Symbole das Ziel ihrer Neutralisierung – nicht, um sie und die
damit verbundenen katastrophalen Ereignisse zu vergessen, sondern im Gegenteil, um ihre
Wirkungslosigkeit für die Gegenwart zu sichern“ (Sabine Breitwieser). Der klug und
informativ konzipierte Katalog zeichnet die rasante malerische Entwicklung Meeses und ihre
Bezüge zur Geschichte der Malerei nach. Er macht in seinen Essays und in der Berliner
Gesprächsrunde über einzelne Malereien aus allen Phasen des bisherigen Werks überdeutlich,
dass Meeses malerisches Werk unterschiedliche und einander widersprechende Zugänge und
Interpretationen evoziert und verdient. Ein Schwerpunkt des Salzburger Katalogs ist die
Auseinandersetzung mit Meeses Wagneranismus, der, wenn man dem Katalog folgt, mit dem
für Meeses Verhältnisse eher kleinem Bild ‚Soldat Meese ist Richard Wagnerz‘, 2000, 50,3 x
70,3 cm beginnt. „Es ist … ästhetisch ziemlich reduziert, rätselhaft und düster; auf wallend
schwarzer Fläche entziffert man in schwarzen Lettern >>SOLDAT MEESE<< und
>>WARMEESE<<, in der Mitte die Kopie eines Männerporträts, auf dessen Antlitz ein
Schädel in Untersicht collagiert ist… Aber man sieht genug von den charakteristischen
Haaren, um auf Richard Wagner zu schließen. Darüber steht >>War<< (Krieg), darunter noch
einmal >>WARMEESE<<. Also Krieg und Meese, Krieg und Wagner, Meese und Wagner:
Der Soldat und Kampfkünstler, als der sich Meese hier tituliert, setzt sich mit dem
Komponisten und Gesamtkünstler gleich. Eine etwas andere Deutung scheint auf, setzt man
>>War<< mit dem deutschen >>war<< gleich: dann ginge es eher um den Verweis auf eine
nicht näher erklärte Vergangenheit, die sich Meese hier aneignet. Es bleibt also doppeldeutig“
(Sebastian Preuss). Die Berliner Gesprächsrunde arbeitet sich an Meeses Bild ‚Meine Mutter
Isisys‘, 2000, 40 x 80 cm ab. Beat Wyss sieht sich durch den Bildtitel an Isis, die Mutter des
Knaben Horus erinnert. „Mich hat das Gemälde auch deswegen interessiert, weil es fast nichts
zeigt. Es ist gewissermaßen eine Auslege-Ordnung, darüber, worüber Bilder gemacht sind.
Als Peirceaner sehe ich darin die drei Komponenten, aus denen ein Bild gemacht ist: Es
besteht aus Indices, also Spuren, Symbole und Bildern. Und genau das haben wir hier. Da gibt
es diese Krümel, in der Mitte haben wir das rote Kreuz und rechts sehen wir ein Icon – das ist
die Puppe von Andy Warhol“ (Beat Wyss). Wyss deutet das Kreuz in einem ersten Zugriff als
das rote Kreuz des Ordens von Santiago, das Velasquez in seinem Selbstporträt in Las
Meninas trägt. Er muss sich aber korrigieren, weil der Schriftzug „Richard Wagner“ auf dem
Bild die Assoziation mit Velasquez durchkreuzt und schlägt dann vor, an das Schwert
Siegfrieds zu denken. ‚Isisys‘ hatte ihn zuerst an das Jesuiten-Monogramm IRS erinnert und
an seine Ministrantenauftritte in der Jesuitenkirche von Luzern. Er muss sich aber von Pamela
Kort fragen lassen, ob die Schreibweise ‚Isisys‘ nicht Ausdruck von Meeses Bestreben ist, mit
seiner Bildsprache „die Autorität der Sprache zu brechen. So ein Titel hat etwas sehr
Kindliches. Dieses Bild tut so, als würde es etwas befürworten, über das es sich eigentlich
lustig macht, nämlich Systeme, Gemälde als eine Serie von Indizes, Symbolen und Ikonen zu
lesen. Also genau die Falle, in die wir gerade gegangen sind. Die Runde schließt mit dem
Hinweis, dass der Titel „Meine Mutter…“ auch auf Gustave Courbets‚ L’Origine du monde‘
von 1866 verweisen könnte. „Sonst ist der Titel völlig unverständlich. Das wäre dann das
Zentrum des Bildes und das Zentrum der Welt“ (Michael Diers). Für Sebastian Preuss bildet
„die fünfstündige Performance Mutter Parzival“ einen der Höhepunkte von Meeses
Wagnerismus. Meese hatte die Performance 2005 parallel zur live übertragenen Musik des
gleichzeitig aufgeführten Parzifal „im Magazin der Berliner Staatsoper“ aufgeführt, ja
zelebriert (Sebastian Preuss).
Ein weiterer Schwerpunkt des Katalogs liegt in dem Versuch, sich der von Meeses seit 2006
geforderten „Diktatur der Kunst“ anzunähern und sie zu verstehen. Nach Veit Ziegelmaier
stellt die Kunst für Jonathan Meese „einen neutralen Freiraum dar, in dem alles erlaubt ist und
alles im Spiel verhandelt werden kann, soll und darf – unabhängig von jeglicher Gesinnung,
Ideologie und Normierung. Tabus können aufgezeigt, verwendet, kathartisch ausgelebt,
gebrochen, zerstört und ad absurdum geführt werden, was letztlich zu deren Neutralisierung
und Bedeutungslosigkeit beiträgt. Die Bühne der Kunst bildet den Rahmen, die radikalen
Dinge in einem verbots- und verurteilungsfreien Raum zur Sprache zu bringen, sie
auszutragen und gleichzeitig zu objektivieren. Denn die künstlerische Verwendung verfemter
Bilder, Gesten und Symbole kann in ihrer nüchtern betrachteten ornamentalen
Zeichenhaftigkeit allein nicht als >>böse<< gelten. Der Betrachter soll nach Meinung Meeses
wie ein Kind, unbefleckt und unvoreingenommen, diesem sich darbietenden und befreienden
Spiel beiwohnen und an ihm teilhaben“. In seiner als utopischem Konzept propagierten
„Diktatur der Kunst“ sieht Meese „die einzige sachlich-neutrale und ideologie-autonome
Alternative zum Jetztzustand einer durch das >>kleinstdiktatorische Menschen-ICH<<
bestimmten Wirklichkeit. Seine damit verbundene Intention erklärt er wie folgt: ‚Bei der
>>Diktatur der Kunst<< geht es um die liebevollste Herrschaft einer Sache, wie Liebe, Demut
und Respekt, zusammengefasst und gipfelnd in der Herrschaft der Kunst. In der Allmacht der
Kunst geht es nicht um das Machtgehabe des Künstlermenschen oder um die Machtfantasien
von Selbstverwirklichern und Realitätsfanatikern, sondern um die antinostalgische,
alternativlose Macht der Kunst, also der Sache. Kunst stellt die Machtfrage, nicht der
Künstler‘“ (Veit Ziegelmaier/Jonathan Meese). Die Berliner Runde hat dieses Konzept mit
Friedrich Schillers Auffassung zusammen gebracht, dass der Mensch nur da ganz Mensch ist,
wo er spielt. Für Michael Diers ist Meese „ein Zeichendeuter. Er adaptiert Zeichen, die stark
besetzt sind, vor allem auch die politischen… Und dass er so stark mit diesen politischen
Emblemen spielt, … ist auch das Ergebnis seiner analytischen Beschäftigung mit den
Zeichen, die er durchbuchstabiert und –konjungiert“ (Michael Diers).
„Aber genau damit hast Du wieder Schiller formuliert. Er spielt mit diesen belasteten Zeichen.
Er transportiert sie in die Diktatur der Kunst. Er verfremdet sie und macht sie so zum Objekt
ästhetischer Reflexion“ (Beat Wyss). „Und jener Bereich, den die Gesellschaft für das Spiel
bereitstellt, ist unter anderem die Kunst“ (Michael Diers). Daniel J. Schreiber resümiert: „In
seinem Kampf für die >>Diktatur der Kunst<< tritt Meese ganz in der Tradition Kants und
Schillers für die >>totale Autonomie<< der Kunst ein. Eigentlich ist es verwunderlich, dass
manch Mannheimer Schiller-Anbeter dies bei Meeses ‚GENERALTANZ DEN
ERZSCHILLER‘ nicht begriffen hat. In seiner Malerei setzt Meese den bedeutungsfreien
Tanz mit den Bedeutungen fort. Seine Choreografie der Linien kann sich übergangslos vom
‚Zarathustra‘ über den ‚Krieg der Sterne‘, den Nationalsozialismus und die Sportjacke eines
namhaften Herstellers in den Orkus bewegen. Meese hat die Malerei im freien Spiel allen
lebensweltlichen Zwängen entzogen. Kein Künstler der letzten Jahrzehnte hat sich so effektiv
für die Unabhängigkeit der ästhetischen Erkenntnisform eingesetzt wie er, und keinem
Intellektuellen der letzten Jahrzehnte ist es gelungen, eine solch breite öffentliche Diskussion
über die Freiheit der Kunst zu entfachen wie er“ (Daniel J. Schreiber). Offen und auch noch
nach Salzburg zu diskutieren bleibt Frage, ob die von Jonathan Meese propagierte ‚Diktatur
der Kunst‘ nicht auch – wie die Demokratie – von Voraussetzungen lebt, die sie selbst nicht
schaffen kann.
Der Katalog zur Ausstellung in der Galleri Bo Bjerggard dokumentiert 50 frische
Zeichnungen vorwiegend in den Farben Rot und Gelb, das Dienstbuch 2013 zentrale Reisen,
Ausstellungen, Peformances, den „Generaltanz den Erzschiller“ vom 26.06.2013 im
Nationaltheater Mannheim und Bilder vom Kasseler Prozess gegen Jonathan Meese, der mit
einem Freispruch geendet hat.
ham, 29.01.2014
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