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Moritz Woelk, Stella Hamberg

Von Helmut A. Müller | In Kunst, Sachbuch Kunst

Hirmer Verlag, München, 2017, ISBN 978-3-7774-2786-7, 160 Seiten, 173 Abbildungen. Hardcover
gebunden, Format 30,5 x 22,5 cm € 45,00 (D) / € 46,30 (A) / SFR 54,90 (CH)

Wer Stella Hambergs im Schatten alter Buchen bei der Potsdamer Villa Schöningen aufgestelltes Hauptwerk
Hund gesehen und mehrmals umschritten hat, um es in seiner anregend widersprüchlichen und zugleich
geschlossen ganzheitlichen Gestalt erfassen zu können, wird kaum erraten, dass sie bei Martin Honert an der
HfBK Dresden studiert und 2006 bei ihm als Meisterschülerin abgeschlossen hat (vergleiche dazu https://
www.google.de/search?
tbm=isch&sa=1&ei=XGQmWtCON8PuUN6OoIAM&q=stella+hamberg+bei+der+Villa+Sch%C3%B6ning
en&oq=stella+hamberg+bei+der+Villa+Sch%C3%B6ningen&gs_l=psy-ab.
12…116079.126784.0.129353.25.25.0.0.0.0.157.1867.21j4.25.0….0…1c.1.64.psy-ab..
0.2.290…0j0i30k1j0i24k1.0.pbFpf7P8x1g#imgrc=i0Q2iQNFaGzX5M:). Der deutsche Kunsthistoriker und
Leiter des Kölner Museums Schnütgen Moritz Woelk schlägt in seiner lesenswerten Monografie einen
einfühlsamen Bogen von Hambergs noch an das Bildprogramm ihres Lehrers erinnernden Diplomarbeit
Alexander, 5 Plastiken, Mixed media, 2004 über zentrale Werke wie over and out, 2007, Berserker I – III,
2007 / 2008, und Hund, 2103, bis zu neuesten Werken wie Trance, 2016, Bronze, patiniert, à traverse la tȇte,
2017, Bonze, patiniert und Robinie, 2017, Robinienholz, Eisen. Dass er sich nicht scheut, Hambergs
skulpturale Innovationen in eine Linie mit Großmeistern wie Michelangelo, Bernini und Rodin zu stellen,
zeigt, welchen Stellenwert er der 1975 in Friedberg, Hessen geborenen und heute in Berlin lebenden und
arbeitenden Ausnahmekünstlerin einräumt.

Hambergs bühnenartig angelegte Installation Alexander (vergleiche dazu http://www.eigen-art.com/
index.php?article_id=114&clang=0 und dort das drittletzte Bild in der siebten Reihe der Bilderfolge) stellt
einen Jungen zwischen einen virtuos aus einem Baum geschnitzten und in seiner Krone vergoldeten
Leuchter, einen griesgrämig in die Welt schauenden Buddha-Schüler aus weißem Styropor, ein kreuzförmig
gegliedertes dunkelblaues Kirchenfenster und ein von innen leuchtendes Holzkästchen und lässt ihn wie
verloren auf das schauen, was auf ihn zukommt. „Den in Blick und Körperhaltung gleichermaßen
angespannt wie unbeweglich wirkenden Jungen aus Kunstmarmor hat die Bildhauerin in grobe, stark
buntfarbige und dicke Kleider gesteckt, einen Pullover, eine kurze Hose und hohe Stiefel, die das Konzept
einer idealen Marmorfigur ad absurdum führen und im glatten hellen Inkarnat dennoch anklingen
lassen“ ( Moritz Woelk S. 12). Für Woelk steht die Frage nach dem einen richtigen Weg zur Weisheit und
Wahrheit im Zentrum des Arrangements. „Es geht von Anfang an um existentielle Sinnfragen, die Stellung
des Individuums in seiner Umgebung, die subjektive Innensicht und die Außensicht des Betrachters, Fragen
der philosophischen Urteilskraft und der Religion, und nicht zuletzt um das Verhältnis des Menschen zur
Kreatur, die Spannung zwischen Geist und Körper. Dieser Anspruch, das Zusammenwirken von Geist und
Körper überzeugend Gestalt werden zu lassen, bilden gewissermaßen das Grundthema der skulpturalen
Arbeit von Stella Hamberg, mit dem sie sich […] schon in der Diplomarbeit von Vorbildern im Werk ihres
Lehrers Martin Honert ablöst“ (Moritz Woelk S. 13).

Im Übergang zu ihrem Hauptwerk sind unter anderem ihr für die Sammlung Hans Joachim Sander
angefertigtes erstes großformatiges Skulpturenensemble in Bronze over and out, 2007, die Gruppe der
überlebensgroßen Berserker I – III (vergleiche dazu https://www.google.de/search?
q=stella+hamberg+berserker+dresden&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ved=0ahUKEwjHjqaP9vLX
AhUL7RQKHcKBBg4QsAQIOg&biw=1633&bih=935), das großformatige kreisrunde Schöpfungsrelief
sieben100millionen, 2008 ( vergleiche dazu http://www.eigen-art.com/index.php?article_id=114&clang=0
und das viertletzte Bild in der sechsten Reihe der Bilderfolge) und die zweiteilige Bronzeskulptur vom
Verrecken und der absoluten Unmöglichkeit zu sterben, 2008, wichtig geworden: Letztere „besteht aus dem
Wandrelief das Tabu und der hockenden Figur der Gefährde. Beide Elemente setzen sich mit dem Sterben
eines Menschen“ (Moritz Woelk S. 44) und dem aus Bildern von der Kreuzigung Jesu, der Kreuzabnahme
und Pieta-Darstellungen bekannten Bildtypus auseinander, der im toten Christus immer zugleich auch den
Auferstandenen sieht.

Hambergs 2013 geschaffenes rundum ansichtiges sechsbeiniges, dreiköpfiges und zweischwänziges
Schlüsselwerk Hund „zeigt ein überlebensgroßes Tier in Bewegung […], das als plastisches Bild aus allen
möglichen Blickwinkel funktioniert. Vielleicht am erstaunlichsten in der Wirkung ist, dass man die Frage,
was dieses Wesen denn motivisch darstellen solle, Monster oder Missgeburt, Bedrohung oder treuer
Weggefährte, schnell vergisst […], weil es dank der Kunst irgendwie ganz selbstverständlich wirkt […].

Diese eine Figur umfasst unterschiedliche körperliche Aggregatzustände, vom Knochen bis zur Epidermis,
unterschiedliche Bewegungsrhythmen und Geschwindigkeiten. Dem System der Übergänge von konvex und
konkav modellierten Formen, von unterschiedlichen Zonen der Oberflächen und vor allem von
verschiedenartigen geraden, gebogenen oder auch gebrochenen Achsen, die mit einem virtuellen
Knochengerüst des ›Hundes‹ korrespondieren, scheint […] ein hohes Maß an Planung, Berechnung und
künstlerischem Kalkül zugrunde zu liegen“. Auf der linken Körperseite „sieht man von den drei Köpfen nur
zwei. In den Bewegungsmotiven überlagern sich das einer vorwärtsschreitenden und das einer stehenden
Figur. Der linke Kopf ist neugierig nach vorne gestreckt und das linke Vorderbein ist im Gleichschritt mit
dem linken Hinterbein nach vorne gesetzt. Diese Motive verbinden sich auch in den Umrisslinien: Der
gebogene Hals des linken Kopfes setzt sich fort im Bogen des Rückgrats bis in den zweigeteilten, halb
skelettierten Schwanz. Vom Kopf zum linken Vorderbein zieht sich ein Bogen und von diesem Bein ein
weiterer Bogen bis zu dem Punkt, wo sich das nach vorn schreitende linke Hinterbein und das zurückgesetzte
mittlere Hinterbein teilen. Das wie verkrüppelt mitgeschleifte dritte Hinterbein erscheint als Irritation
dazwischen. Dieses Hauptmotiv einer vorwärtsschreitenden Figur wird durchkreuzt von dem zweiten
Hauptmotiv einer stehenden Figur […]. Zwei Rhythmen, zwei Geschwindigkeiten in einer Gestalt […].
Deshalb erscheint es gerechtfertigt, hier von einer vierdimensionalen Plastik zu sprechen, die sich im Raum
und in der Zeit variabel verhält […]. In den Ansichten von hinten […] überwiegt der Eindruck des Grotesken
und Kuriosen […]. Gerade auch diese Rückansicht macht deutlich […], dass das eigentliche Thema der
Skulptur im durch Bewegung lebendigen Zusammenspiel ihrer widersprüchlichen morphologischen,
zeitlichen und psychologischen Momente liegt. Hund ist ein formales Statement zu den strukturellen
Aussagemöglichkeiten einer Skulptur und zugleich eine existentielle Metapher“ (Moritz Woelk S. 80 f.).

ham, 5. Dezember 2017

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