Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im MAKK Köln vom 20.8. – 14.12. 2014, herausgegeben von
Markus Hartmann mit einer Einführung von Andreas Langen
Hartmann Special Projects (H-SP) Stuttgart 20014, zweite Auflage September 2014, 72 Seiten,
29 Farbtafeln, Festeinband, Abbildungsverzeichnis, Format 27,5 x 23, € 24.00
Eine in diversen Variationen erzählte Wanderlegende berichtet von drei Steinmetzen, die auf einer Baustelle
Sandsteine bearbeiten. Als sie gefragt werden, was sie tun, antwortet der erste: „Ich verdiene meinen
Lebensunterhalt“. Der zweite sagt: „ Ich behaue Sandsteine“. Der dritte: „Ich errichte eine Kathedrale“. Nach
Andreas Langen kann man die dritte Antwort demütig nennen, aber ebenso gut größenwahnsinnig: „Wer ein
Projekt beginnt, das er zu Lebzeiten nicht mehr vollenden kann, wird sich entweder als bescheidenen
Tagelöhner im Dienste des Ewigen betrachten oder als Schöpfer von transzendentem Format. Am
wahrscheinlichsten aber als eine Mischung von beidem“ (Andreas Langen S. 3).
Für das im frühen 21. Jahrhundert von dem Fotografen Markus Brunetti zusammen mit seiner Frau Betty
Schöner begonnene Projekt, Fassaden europäischer Kathedralen, Kirchen und Klöster abzubilden und damit
das sakrale Kulturerbe der Alten Welt auf neue Weise zu erfassen, gilt vergleichbares: Auch Brunetti wird
sein Projekt zu Lebzeiten nie vollenden können. Der bayrische Nachkomme einer italienischen
Architektenfamilie hatte in den 1990er Jahren mit einem neuen Verfahren der Bildbearbeitung von digitalen
Fotografien „im Sold weltweiter Werbekunden“ sehr viel Geld verdient und am „Ende in einem Schloss“
logiert. Als er den Betrieb zunehmend als sinnlos erlebt, wird er zum Aussteiger und Pilger, verkauft seinen
Besitz, kauft einen LKW, baut ihn zu einem Wohnmobil „mit kleiner Schlafstätte, großer Küche und noch
größerem Arbeitsplatz“ (a.a.O) um und ist seither mit seiner Frau unterwegs, um Kirchenfassaden digital zu
fotografieren. Für die Fassade des Kölner Doms hat er zwischen 2008 und 2014 vor Ort 150 Arbeitstage und
mehr und im Atelier vor dem Computer noch einmal fünf Wochen gebraucht, bis das Bild seinen Ansprüchen
genügte, für die Fassade der Kathedrale von Orvieto 2500 Aufnahmen. „Bernd und Hilla Becher haben die
vielen Wassertürme, Fachwerkhäuser, Hochöfen und für Fördertürme ihres Gesamtwerkes mithilfe jeweils
einer Aufnahme per Großformat-Kamera katalogisiert. Markus Brunetti dagegen montiert eine Vielzahl
einzelner Aufnahmen zu einer neuen Gesamtansicht … Diese erreicht durch Quantität eine völlig neue
Qualität. Mindestens einige Stunden, oft mehrere Tage lang tastet er mit der Kamera jede einzelne Fassade
ab, dabei belichtet er zwischen einigen 100 und mehreren 1000 Fotos. Diese bearbeiten und montieren
Markus Brunetti und Betty Schöner in wochenlanger Präzisionsarbeit zu einem neuen Gesamtbild. Zum
einen befreien die Kompositeure das Mauerwerk von fast allen modernen Einbauten wie Kabeln,
Blitzableitern und Taubenschutz. So kommen die Bauwerke ihrer idealen Gestalt … sehr nahe. Zum anderen
nimmt Brunetti die Einzelbilder von verschiedenen Standorten aus auf. Im Resultat entsteht eine solitäre
Gebäudeansicht, die ein realer Besucher vor Ort niemals so sehen kann“ (Andreas Langen S. 4). Das
Ergebnis überwältigt.
Die im Katalog zur Kölner Ausstellung versammelten Aufnahmen u. a. vom Ulmer Münster, der
Frauenkirche in Dresden, der Kathedrale von Reims und der bisher international kaum wahrgenommenen
portugiesischen Pfarrkirche Santa Maria de Cortegaça zeigen das immense Potential des neuen Verfahrens
ebenso wie die Größe der Aufgabe, der sich Brunetti und seine Frau in ihrem jetzigen Lebensabschnitt
stellen.

ham, 20. 5. 2015

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