Jan 24

Janina Wick, Schöneweide

Von Helmut A. Müller | In Katalog, Kunst

Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 10. November bis 15. Dezember 2019 in der Galerie im Marstall Ahrensburg mit einem Text von Jens Asthoff und einem Gespräch zwischen Marko Pauli und Janina Wick

Kerber Photo, Kerber Verlag Bielefeld/Berlin 2019, ISBN 978-3-7356-0619-8, 1 s/w und 40 farbige Abbildungen, Hardcover gebunden, Format 28,6 x 23,1 cm, 32,00 € (D) / 39,30 CHF

Schöneweide wurde 2001 aus den beiden Ortsteilen Nieder- und Oberschöneweide gebildet und liegt in Treptow-Köpenick an beiden Seiten einer Biegung der Spree. Der Name geht auf eine Reisebeschreibung des Kurfürsten Joachim II. aus dem Jahr 1585 zurück, in der eine ausgedehnte Uferwiese an der Spree als ›Schöne Weyde‹ bezeichnet wird. Schöneweide wird nach dem Ersten Weltkrieg ein bedeutender Standort der Elektroindustrie und bleibt mit rund 30 000 Arbeitsplätzen nach dem Zweiten Weltkrieg der größte Industriestandort der DDR. Nach der Wiedervereinigung werden die meisten Werke geschlossen (vergleiche dazu http://industriesalon.de/schoeneweide).

Zwischen 2014 und 2018 sucht die in Hamburg lebende Fotografin Janina Wick in Schöneweide über mehrere Jahre eine Gruppe Jugendlicher auf, die auf einer Industriebrache direkt an der Spree einen Rückzugs- und Begegnungsort gefunden hatte. Sie freundet sich mit ihnen an und beginnt, sie in der Tradition der sozialdokumentarischen Fotografie von Walker Evans und Dorothea Lange zu fotografieren. Die Meisterschülerin von Gisbert Adler, Hannover hat für Zwischenzonen eine „charakteristische Bildsprache entwickelt. ›Zwischenzonen‹ bezieht sich hier sowohl auf die Lebenswelt der Protagonisten als auch auf bestimmte Lebensphasen: Immer wieder kreist Wicks Fotografie um jene nie ganz trennscharfen Etappen zwischen Kindheit, Jugend und jungem Erwachsensein. Sie fasziniert das Moment von Identität im Übergang, wie es Kinder an der Schwelle zum Jugend- und Erwachsenenalter erleben […]. In ihren Fotoserien sucht sie nie das Spektakuläre, Laute, Drastische, sondern arbeitet persönliche Aspekte heraus: im Augenblick gewonnene, subtile und leicht zu übersehende Details (vergleiche dazu die auf http://www.janinawick.com/schoeneweide/ unter  dem Stichwort ›Schöneweide‹ zu findenden Porträts). Oft ist es bloß eine Körperhaltung, ein Zug um die Mundwinkel, ein knappes Wegschauen“, was eine verborgene Entwicklung andeutet und das Bild lesbar macht (Jens Asthoff S. 58). Für ihre Publikation wählt Wick in aller Regel aus der Vielzahl ihrer mit einer analogen Mittelformatkamera geschossenen Aufnahmen eine aus.

„Mit einigen Aufnahmen scheint Wick die dokumentarische Ebene […] verlassen oder erweitern zu wollen: ›Bild von Angi & Vivi‹, ›Dunkle Blätter‹ oder ›Bild von der alten Tanzhalle‹ […] erscheinen nicht in gleicher Weise wie die übrigen lesbar. Es zeigt sich darin eine andere Materialität […]: ›Obwohl ich schon lange fotografiere‹, sagt sie, ›finde ich es noch immer magisch, dass ich mit dem Licht vor Ort den Film belichte und so eine reale Situation aufnehmen kann. Im Labor belichte ich durchs Negativ das Fotopapier, durch einen chemischen Prozess entsteht das Bild auf dem Papier. Durch die Übertragung […] habe ich […] eine farbliche Veränderung vorgenommen, denn jeder Film und jedes Papier hat ein bestimmtes Farbspektrum. Außerdem kann ich die Farben bei der Belichtung des Papiers im Labor natürlich verändern‹[…]. “ (Jens Asthoff / Janina Wick s. 62). In einigen Arbeiten fotografiert sie den ursprünglichen Abzug erneut, macht ihn aber durch Verschattungen teilweise unkenntlich und rückt das Sujet so aus der Gegenwart. Damit rückt sie „das Fotografische selbst in eine Reflexion dessen, was Dokumentation, Porträt und bildhaftes Erzählen bedeuten können und wie sich Ausdrucksmöglichkeiten in eine neue Dimension erweitern lassen“ (Jens Asthoff S. 63).

ham, 23. Januar 2020

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