Publikation zur gleichnamigen Ausstellung der Bundeskunsthalle Bonn mit Ankäufen von 2017 bis 2021 und Ankäufen NEUSTART KULTUR von 2020 bis 2021 für die Sammlung zeitgenössische Kunst der Bundesrepublik Deutschland vom 7. Mai bis 3. Oktober 2022. Mit Essays von Fréderic Bußmann und Stephanie Weber, Nadine Grünewald, Jule Hillgärtner und Susanne Kleine und Vorworten von Claudia Roth und Eva Kraus

Weitere Stationen der Ausstellung: 

Nürnberg | NEUES MUSEUM, Staatliches Museum für Kunst und Design Nürnberg

11.11.2022 – 12.02.2023

Chemnitz | Kunstsammlungen Chemnitz, Museum Gunzenhauser

13.11.2022 – 12.02.2023

Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland / Hirmer Verlag, München, 2022, 

ISBN 978-3-7774-3988-4, 224 Seiten, 320 Abbildungen in Farbe, Klappenbroschur, Format 28 x 24,5 cm, 

39,90 € [D] | 41,10 € [A] | 48,70 SFR [CH]

Nach § 18 des Personenstandsgesetzes vom 19. Februar 2007 muss die Geburt eines Kindes dem Standesamt, in dessen Zuständigkeit es geboren ist, mündlich oder schriftlich mitgeteilt werden. Der Geburtsname des Kindes richtet sich grundsätzlich nach einem der beiden Elternteile. Kann dieser nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, muss das Standesamt laut Bundesgerichtshof die Namenserteilung im Register mit dem Zusatz „Namensführung nicht nachgewiesen“ beurkunden (vergleiche dazu https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/bgh-name-des-kindes-bei-unklarer-namensfuehrung-der-eltern). Der Titel der Publikation und der Ausstellung »Identität nicht nachgewiesen« – ein Werktitel von Bussaraporn Thongchai (vergleiche dazu https://www.artisnext.net/kalender/detail.xhtml?id=54178, https://majhi.org/berlin-2020/artist/bussaraporn-thongchai/ und https://www.google.de/search?q=Bussaraporn%20Thongchai+&hl=de&sa=N&tab=wi&tbm=isch) – verdeutlicht ein Folgeproblem der nicht nachgewiesenen Namensführung und das Hauptanliegen der Ausstellung:

„In einer Zeit von politischen und damit gesellschaftlichen Veränderungen ist nichts mehr sicher, auch die (eigene) Identität ist nicht selbstverständlich oder gar belegbar … Gerade durch Migration und Immigration sind Identitäten multipler und nicht mehr festgelegt … Thongchai, die 2015 von Thailand nach Berlin einreiste, begann im Frauenhaus Ban Ying zu arbeiten, das sich um Migrantinnen aus Afrika, Südostasien und Osteuropa kümmert, die Opfer von Menschenhandel und Prostitution geworden sind. ›Pieces from Berlin‹, zu der die titelgebende Arbeit gehört, visualisiert in großformatigen Zeichnungen mit schwarzer Pastellfarbe  die Geschichten und Erfahrungen dieser Frauen, während sie die Aufnahmeverfahren durchliefen und begannen, sich eine neue Identität aufzubauen. In ›Identität nicht nachgewiesen‹ geht es um eine Frau aus Ostafrika, die keinen Reisepass, sondern nur eine Aufenthaltsgenehmigung besaß. Als sie ein Konto eröffnen wollte, wurde der Antrag von der Bank abgelehnt mit dem Stempel ›Identität nicht nachgewiesen‹. In der Zeichnung windet sich die Figur in den Klauen der bürokratischen Strukturen und im übertragenen Sinn in ihrer entwürdigenden Situation. Die Arbeit stellt die grundsätzliche Frage, was Identität für den Einzelnen und in der Gesellschaft bedeutet bzw. wonach sie beurteilt wird. Die Künstlerin selbst sagt: ›Oft geht die Identität auch während der Migrationsreise oder im Ankunftsland unbewusst verloren und kann manchmal ⟩nicht mehr nachgewiesen⟨ werden‹“ (Susanne Kleine S. 9 f.; vergleiche dazu auch https://www.newmandala.org/bussaraporn-thongchais-work-draws-on-her-experiences-with-women-victims-of-human-trafficking/).

›Identität nicht nachgewiesen‹ versammelt eine Auswahl von 170 Arbeiten aus den über 400 Ankäufen, die zwischen 2017 und 2021 auf Vorschlag von Fachkommissionen in die Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland eingegangen sind. Leitende Kriterien für die multimediale Auswahl aus dem gegenwärtigen künstlerischen Schaffen waren Diversität, Toleranz und gesellschaftliche und persönliche Hinterfragungen. „Für die dialogische Konzeption sind Themen wie zeitgenössische politische und gesellschaftliche Relevanz, postkolonialer Diskurs, Posthumanität, Geschichtskonstruktionen, Urbanität oder auch eine werkimmanente Bildästhetik maßgeblich gewesen. Die Ausstellung … veranschaulicht, wie historische und aktuelle Entwicklungen, kollektive Sehgewohnheiten oder Hinterfragungen von Bildkonstruktionen künstlerisch und modellhaft umgesetzt werden. Kunst kann und darf auch kontemplativ sein. Im Kontext ihrer Entstehungszeit gelesen, ist sie immer ein Spiegel von politischen, kulturellen, gesellschaftlichen, aber auch individuellen Gegebenheiten“ (Susanne Kleine S. 9).

Unter den ausgewählten KünstlerInnen setzt sich die 1974 in Hagen geborene Fotografin Anja Bonhof mit dem 2010 seitens der Vereinten Nationen anerkannten weltweiten Menschenrecht auf Wasser auseinander (vergleiche dazu https://www.galerie-m.com/artist_image.php?&aid=202&aname=AnjaBohnhof und https://wifo2022.de/festival/artists/bohnhof/). Die 1976 in Oschatz geborene Franka Kaßner widmet dem lange vernachlässigten jüdischen Dirigenten Hermann Levi 12 Malbriefe (vergleiche dazu https://www.galeriechristinemayer.de/2021/05/franka-kasner-5/) und der 1960 in Leipzig geborene Medien- und Konzeptkünstler Maix Mayer erinnert an die ostdeutsche Moderne (vergleiche dazu etwa hwww.ostsee-zeitung.de/kultur/maix-mayers-fotonotationen-zur-moderne-der-ddr-T2G5A577YTO7TEDCYPDHC3RC5Q.html und https://www.hatjecantz.de/maix-mayer-2053-0.html).

Erik Sturm hat 2014 den am Stuttgarter Neckartor allgegenwärtigen Feinstaub gesucht, schließlich im Mauerwerk der angrenzenden Gebäude gefunden und daraus die Staubfarbe ›Neckartorschwarz‹ kreiert (vergleiche dazu http://eriksturm.eu/neckartorschwarz/). Die Bundeskunstsammlung hat die zwei Jahre ältere Arbeit  »Negativlinie«, Aktion, Video, Objekt, Feinstaub, 3 Handtücher, jeweils 45 x 90 cm, Video, 32 Minuten, 2012, angekauft (vergleiche dazu http://eriksturm.eu/negativlinie/). Dass keine Bilder der in die Sammlung eingegangenen Arbeiten von Christiane Blattmann (vergleiche dazu https://www.kunsthallemuenster.de/de/programm/christiane-blattmann-un-break-my-walls/), Daniel Hörner (vergleiche dazu https://daniel-hoerner.de), des Ateliers JAK (vergleiche dazu https://www.info-jak.de), von Gabriela Oberkofler (vergleiche dazu https://gabrielaoberkofler.de) und von Markus Saile (vergleiche dazu https://www.markussaile.de) im Katalog abgebildet sind, ist aus Stuttgarter Sicht zwar schade, aber publikations- und verkaufstechnisch verständlich. Der Katalog wäre, wenn alle Arbeiten der Ausstellung abgebildet worden wären, einfach zu umfangreich und zu teuer geworden.

ham, 6. August 2022

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