Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 7. Juni bis 8. September in der Albertina, Wien, herausgegeben von Klaus Albrecht Schröder mit einem Essay von Werner Spies, einem Gespräch zwischen Sean Scully und Elisabeth Dutz, einem Text von Elisabeth Dutz, einem Gedicht von Kelly Grovier und einem Vorwort des Herausgebers
Albertina Wien, Kerber Art / Kerber Verlag Bielefeld/Berlin, 2019, ISBN 978-3-7356-0565-8, 160 Seiten, 106 farbige und 12 s/w Abbildungen, Hardcover mit Halbleineneinband, gebunden, Format 28,5 x 25 cm, € 38,00 (DD) CHF 46,66
Der 1945 in Dublin geborene und unter schwierigen Umständen in einem Arbeiterviertel in London aufgewachsene Sean Scully hat ab 17 Jahren neben verschiedenen Ganztagsjobs unter anderem als Grafikdesigner Abendkurse in der Central School of Art besucht und ab 1965 im Alter von 20 Jahren gegen den ausdrücklichen Willen seiner Eltern ein Vollzeitstudium am Croydon College of Art begonnen. Seine frühen figurativen Arbeiten waren unter anderem von Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff beeinflusst. 1975 zieht er nach New York. Es entstehen Gemälde mit starkem Farbauftrag, grobem Pinselstrich und schachbrettartigen Mustern. Er schließt Freundschaft mit Robert Ryman und malte unter dem Einfluss des Minimalismus und der Häuserschluchten von New York seine monochrom graue Serie der Black Paintings. Aus dem Gefühl heraus, den Minimalismus mit Emotion und Expressivität anfüllen zu müssen, wächst seiner Malerei eine reiche, durchscheinende und in ihren Nuancen changierende Farbigkeit zu. Zu voller Reife kommt diese neue Art zu malen in seinem Bild Heart of Darkness (vergleiche dazu http://seanscullystudio.com/new-arts-holder/paintings/heart-of-darkness/).
1983 beginnt er seine lebenslange Auseinandersetzung mit der Druckgrafik, erhält ein National Endowment for the Arts Fellowship sowie das Guggenheim Fellowship und nimmt die amerikanische Staatsbürgerschaft an. In London kommt sein 19-jähriger Sohn Paul bei einem Autounfall ums Leben, ein Schicksalsschlag, der in den Bildern das Gefühl von Melancholie und Verlust hervorruft. Scullys Gemälde werden zu schweren Körpern, skulpturalen Objekten, die auch auf dem Boden stehen könnten, anstatt an der Wand zu hängen. 1985 hat er seine erste Einzelausstellung in den USA im Carnegie Museum of Art in Pittsburgh. Anschließend erwerben große Museen Bilder Sean Scullys. 1989 folgt die erste Einzelausstellung in einem europäischen Museum, in der Whitechapel Art Gallery, London, die anschließend in Madrid im Palacio Velázquez und in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München gezeigt wird. Damit ist er international durchgesetzt; seine postminimalistische, emotional und spirituell aufgeladene Malerei geht um die Welt (vergleiche dazu https://www.google.de/search?q=sean+scully&tbm=isch&source=iu&ictx=1&fir=RcaACGi-vJEQ4M%253A%252CKdefoBh4Vir5JM%252C%252Fm%252F01dg_t&vet=1&usg=AI4_-kT4reImoznOk8pHoIHtguz5uGcEZw&sa=X&ved=2ahUKEwjwrt-jwr7jAhUN4aQKHfdTB7IQ_h0wFnoECAgQCw#imgrc=hn3FxE3p1LPb4M:&vet=1).
Dass er in seiner in den Jahren 2015 – 2017 entstandenen und nach der Insel Eleuthera benannten Serie (vergleiche dazu https://www.albertina.at/ausstellungen/sean-scully-eleuthera/ und https://www.albertina.at/presse/ausstellungen/sean-scully-eleuthera/) wieder gegenständlich arbeitet, überrascht, stellt aber keine Wende im Werk von Scully dar: Tatsächlich arbeitet Scully parallel an seinen geometrisch-abstrakten Gemälden und an den intimen Bildern seines 8-jährigen Sohnes Oisín, der Wassergräben und Sandburgen am Meeresstrand errichtet. Nach Werner Spies verdankt sich diese Doppelung der Emotion, die immer auch in seinen ungegenständlichen Werken mitschwingt und die er beim Betrachten seines spielenden Kindes empfindet. Die in den letzten Jahren bisher singulären gegenständlichen 23 Großformate kreisen wie die in der Albertina gezeigten Aquarelle, Pastelle, Zeichnungen und Fotografien „um den Hortus conclusus des Künstlers, in dem Scully kleiner Sohn Oisín herrscht. In diesem Garten begegnen sich Scheu und eine auf bewegende Weise vorgetragene Beschäftigung mit der Fragilität des Körpers. Die Bilder schließen sich der Folge berühmter Kinderbilder an, die Raffael, Leonardo, Velásquez, Rubens, Goya, Runge, Dix und Picasso geschaffen haben. Scully hat immerzu seine väterliche Liebe in Schriften und Reden zum Ausdruck gebracht, nicht zuletzt in dem berührenden Text Gemäldeküsser. In ihm schildert der Vater, wie der kleine Junge bei seinen Besuchen im Atelier vor den Gemälden stehen bleibt und die Farben küsst. All dies gehört zur Evokation des unstillbaren Schmerzes, den Scully über den Tod seines ersten Sohnes empfindet […]. Liebe und Angst treffen in der Eleuthera-Serie aufeinander“ (Werner Spies S.16 f.).
ham 18. Juli 2019