Mrz 5

Publikation zu den gleichnamigen Ausstellungen Anfang 2019 in the United Nations Headquarters, New York und vom 16. März – 28. April 2019 im Museum Böttcherstraße, Bremen mit Texten der tschetschenischen Journalistin Maynat Kurbanova, des italienischen Regisseurs Michele Cinque und des Künstlers

DISTANZ Verlag, Berlin 2019, ISBN 978-3-95476-270-5, 88 Seiten, 29 Farbabbildungen, Hardcover, Format 24,5 x 18,5 cm, € 22,00

Maler sprechen üblicherweise nur auf Anfrage und bei Interviews über ihre Bilder. Das ist auch bei dem 1974 in München geborenen, in Los Angeles ausgebildeten und seit 2003 in Berlin lebenden Maler Ruprecht von Kaufmann so: Seine in den letzten Jahren entstandenen, zwischen Tag und Traum angelegten mittel- und großformatigen surrealen Tableaus haben so viel zu erzählen, dass sich Erläuterungen und Kommentare erübrigen.

Wenn er jetzt für seinen Katalog „Inside the Outside“ neben dem Pinsel auch zur Feder gegriffen hat, muss das einen triftigen Grund haben: Seine 28 Porträts (vergleiche dazu etwa https://www.monopol-magazin.de/ruprecht-von-kaufmann-inside-outside?photo=0#slideshow) verdanken sich dem Versuch, einige Gesichter der Menschen, die sich hinter anonymen Fernsehbildern von Flüchtlingen verbergen, „sichtbar zu machen und in einem klassischen Ölbild festzuhalten […]. Die klassische Porträtmalerei, bei der sich der Maler und sein Modell viele Stunden im Atelier gegenübersitzen, lädt zu Gesprächen ein und gibt Gelegenheit, viel über das Gegenüber zu erfahren. In diesem Fall war mir die Unterhaltung mit meinem Gegenüber genauso wichtig wie die Malerei selbst […]. Ich habe diese Gespräche nicht aufgezeichnet, sondern nach den Porträtsitzungen aus der Erinnerung aufgeschrieben. Die Unterhaltungen haben sich oft über viele Stunden erstreckt, wurden auf Deutsch oder Englisch oder einer Mischung aus beidem geführt und oft mussten Sprachlücken durch Gesten überbrückt werden. Die Texte sind nicht wortwörtliche Übertragungen dieser Gespräche, genau wie die Porträts keinen Anspruch auf eine photographische Genauigkeit erheben. Vielmehr können sie lediglich der Versuch sein, den Eindruck, den jede Einzelperson auf mich gemacht hat und der noch Tage in mir nachgeklungen ist, wiederzugeben“ (Ruprecht von Kaufmann S. 73 ff.).

Den Texten auf der linken Seite stehen im Katalog rechts die Porträts gegenüber. Die Texte, die in den Porträts gespiegelten Emotionen und vor allem der Ausdruck ihrer Augenpartien lassen die Lebensdramen erahnen, die die Porträtierten hinter sich haben. Wenn man alle 28 Porträts auf sich wirken lässt, beginnt man zu begreifen, was durch Krieg, Verfolgung oder Armut erzwungene Migration für das eigene und das Zusammenleben bedeutet. Man trauert Angela Merkels „Wir schaffen das“ vom August 2015 nach und fragt sich, wie die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Stellschrauben verändert werden müssten, dass der Strom von weltweit 68,8 Millionen Flüchtlingen (Mitte 2018) und das damit verbundene Leid zum Versiegen kommt.

Von seinem Gespräch mit O. (vergleiche dazu https://www.distanz.de/buecher/ruprecht-von-kaufmann/inside-the-outside) hat von Kaufmann folgende Skizze festgehalten: „O. studierte in Damaskus Kunst. Wie viele andere junge Männer verließ er seine Heimat, um den Wehrdienst zu umgehen und nicht an einem Krieg teilzuhaben, der auf den Schultern Unschuldiger ausgetragen wird. O. ist Bildhauer, seine kleinformatigen Tierskulpturen fertigt er aus Holz und Metall. Um seine Produktionskosten niedrig zu halten, verwendet er zumeist Reste und Überschüsse aus Betrieben, die er zu günstigen Preisen erhält. Mittlerweile hat er in Berlin eine eigene Wohnung gefunden, in der er zur Untermiete leben und arbeiten kann. Sich das Schlafzimmer nicht mehr mit anderen teilen zu müssen wie in der Flüchtlingsunterkunft oder für sich allein in der eigenen Küche zu kochen, ist ein großer Luxus für den jungen Syrer. Gerne würde O. seine Werke in Ausstellungen der Öffentlichkeit zeigen, aber bisher haben sich alle Angebote und Versprechen als unzuverlässig erwiesen. Jetzt möchte er sich für ein Studium für Produktdesign an der UdK in Berlin bewerben“ (Ruprecht von Kaufmann S. 42).

Auf die Frage, ob die Malerei bei seinen Porträts von Flüchtlingen an ihre Grenzen kommt, antwortet von Kaufmann: „Die Malerei hat viele Möglichkeiten und natürlich ihre Grenzen. Aber das war nicht der Grund für die Texte. Von Anfang an war es die Idee, eine persönliche Begegnung festzuhalten. Man hätte auch Fotos machen können. Aber ich wollte die Modelle unbedingt klassisch im Atelier malen […]. Wenn man sich einige Stunden gegenübersitzt, entwickelt sich fast automatisch ein Gespräch […]. Es ging nicht immer nur um Flucht, sondern um alle möglichen Themen. Ich war auch überrascht, wie gut die meisten schon Deutsch konnten. Ich habe viel über politische Hintergründe erfahren oder religions- und kulturgeschichtliche Informationen bekommen, die mir neu waren. Ich bin sehr dankbar dafür, dass die Menschen mir ihre Geschichten anvertraut haben. Das hat einige viel Mut gekostet. Um auf den Text zurückzukommen: Der war von Anfang an wichtiger Teil des Projekts. Da entsteht eine Spannung zwischen Text und Bild“ (Ruprecht von Kaufmann im Gespräch mit Jens Hinrichsen in Monopol vom 26.2.2019, vergleiche dazu https://www.monopol-magazin.de/ruprecht-von-kaufmann-inside-outside?photo=0#slideshow).

Der Titel „Inside the Outside“ greift die Situation von Menschen auf , „die von außen kommen und in vielerlei Hinsicht noch immer außen sind. Wenn man […] die aktuelle Diskussion über die Abschiebung betrachtet, […] soll es ja zwei Gruppen geben: Die einen sollen bleiben und integriert werden, die anderen […] sollen wieder abgeschoben werden. Aber es gibt viele […], die zwar keine Erlaubnis bekommen zu bleiben, aber aus den verschiedensten Gründen nicht abgeschoben werden können. Diese dritte Gruppe bleibt in Deutschland, darf aber nicht arbeiten oder sich sonst gesellschaftlich integrieren. diese Menschen sind draußen und drinnen zugleich“ (Ruprecht von Kaufmann im Gespräch mit Jens Hinrichsen, a. a. O.).

ham, 4. März 2019

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