Rowohlt Verlag Reinbek bei Hamburg, 2013, ISBN 978-3-498-00083-7, 382 S., Hardcover
gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen, Format 21,8 x 14,5 cm, € 22,95.-
Jede heute geschriebene Biografie sollte sich von Pierre Bourdieu sagen lassen, dass keine
Lebensbeschreibung ohne theoretische Vorannahmen auskommt und ein Biograf sein
beschriebenes Objekt nie erreicht. Für den Frankfurter Historiker Erich Fried setzt deshalb
auch die gelungenste Biographie nur vorgefundene Lebenssplitter zusammen, „die hier und da
aus Erinnerungen aufsteigen, aus Selbst-, Fremd-, sozialen und Zeugnissen der natürlichen
Umwelt“ (Erich Fried, Ein Leben erzählen. Die Zeit Nr. 2 vom 02.01.2014, S. 15). „Der
Biograf … wird versuchen, die … Splitter nach bestem Wissen zu einem Ganzen zu
ergänzen… Eine Biografie ist stets mehr als die Summe der Quellen, aus denen das für sie
notwendige Wissen fließt. Sie beschreibt, abstrahiert, imaginiert und konstruiert eine Gestalt,
die im Ergebnis eine ganz persönliche Schöpfung ihres Autors darstellt. Das Verfahren steht
dem historischen Roman näher, als den meisten Wissenschaftlern bewusst ist. Auch
wissenschaftliche Biografien sind mal besser, mal weniger gut erzählte Literatur“ (Erich
Fried, a.a.o.).
Demnach ist auch Reza Aslans „Zelot“ vor allem Literatur und man kann mit guten Gründen
darüber diskutieren, ob diese Literatur eher dem Typus der gelehrten wissenschaftlichen
Biografie oder dem Typus des historischen Romans zuzuordnen ist. Wer Aslans „Zelot“ ohne
den umfangreichen Anmerkungsteil liest, seinen kreativen Umgang mit den Quellen in
Rechnung stellt und dann noch liest, dass der 1972 in Teheran geborene iranischamerikanische
Religionswissenschaftler kreatives Schreiben an der University of California,
Riverside lehrt, wird dazu neigen, den ,Zelot´ als historischen Roman zu lesen.
Aslan stützt sich unter anderem auf das Markus-Evangelium, Flavius Josephus, die jüngere
Forschung über die Bewegung der Zeloten und diverse Messias-Anwärter im ersten
nachchristlichen Jahrhundert und die These, dass Matthäus 10, 34 und vergleichbare Stellen
aus den Evangelien im Sinne einer politischen Revolution und eines Aufstands gegen die
Römer zu deuten sind. Aslan stellt Matthäus 10, 34 („Ihr sollt nicht meinen, dass ich
gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen,
sondern das Schwert“) als programmatisches Bekenntnis vor seine Publikation und versucht,
im Folgenden nachzuweisen, dass der Vers aus dem Matthäus-Evangelium als Aufruf zum
politischen Umsturz zu deuten ist. Die seit der Aufklärung kontrovers diskutierten Quellen
werden so interpretiert, dass sie diese Vorannahme stützen. In dieser Bedeutung wird Jesus zu
einem eifernden Revolutionär. „Letztendlich sind es nur zwei harte historische Fakten in
Bezug auf Jesus von Nazareth, auf die wir uns wirklich verlassen können: zum einen, dass
Jesus ein Jude war, der eine jüdische Volksbewegung in Palästina zu Beginn des 1. Jh.s n.
Chr. anführte, und zum anderen, dass Rom ihn deshalb ans Kreuz schlug. Für sich genommen
können diese beiden Fakten kein vollständiges Porträt eines Mannes bieten, der vor
zweitausend Jahren lebte. Wenn wir sie aber mit allem andern kombinieren, was wir über die
unruhige Zeit wissen, in der Jesus lebte – und dank der Römer wissen wir eine Menge darüber
-, können diese beiden Fakten helfen, ein Bild des Jesus von Nazareth zu zeichnen, das
vielleicht historisch genauer ist als das der Evangelien. Tatsächlich hat der Jesus, dessen Bild
bei dieser historischen Fingerübung entsteht – ein eifernder Revolutionär, der wie alle Juden
jener Zeit in die religiösen und politischen Wirren Palästinas im 1. Jahrhundert hineingezogen
wurde -, wenig Ähnlichkeit mit dem Bild des guten Hirten, das die frühchristliche Gemeinde
pflegte.
Man muss bedenken, dass die Strafe der Kreuzigung in römischer Zeit fast ausschließlich
Aufständischen vorbehalten war. Die Tafel, die die Römer über Jesu Kopf anbrachten,
während er sich in Schmerzen wand – >>König der Juden<< -, wurde ,titulus´ genannt und
war, anders als man gemeinhin annimmt, nicht sarkastisch gemeint… Jesu Verbrechen
bestand in den Augen Roms darin, dass er eine Königsherrschaft angestrebt … hatte, genau
wie fast alle anderen messianischen Aspiranten, die deswegen getötet wurden. Und Jesus
starb nicht allein… Die Evangelien behaupten, dass links und rechts von Jesus Männer
hingen, die auf Griechisch „lestai“ genannt wurden, ein Wort, das im Deutschen oft mit
>>Diebe<< wiedergegeben wird, eigentlich aber >>Banditen<< oder >>Straßenräuber<<
bedeutet und die häufigste römische Bezeichnung für Aufständische oder Rebellen war. Drei
Rebellen auf einem mit Kreuzen überzogenen Hügel … Schon dieses Bild allein kann Zweifel
an der Darstellung der Evangelien aufkommen lassen, denen zufolge Jesus ein Mann des
bedingungslosen Friedens war, der fast völlig isoliert von den politischen Unruhen seiner Zeit
agierte. Die Vorstellung, dass der Kopf einer populären messianischen Bewegung, die für die
Errichtung des >>Gottesreiches<< eintrat – ein Begriff, der in den Augen von Juden wie von
Heiden eine Revolte gegen Rom beinhaltete -,von dem religiösen Eifer, der fast alle Juden in
Judäa erfasst hatte, unbeeinflusst bleiben konnte, ist schlichtweg lächerlich“ (Reza Aslan).
Die den historischen Jesus nach der jüngeren und jüngsten christlichen Neutestamentlichen
Forschung kennzeichnende Forderung auf Gewaltverzicht und unbedingte Feindesliebe (vgl.
dazu die so genannten Bergpredigt Matthäus 5, 21-47) ist mit der zelotischen Vorstellung
unvereinbar, dass die Gottesherrschaft mit äußerer Gewalt herbeigeführt werden muss.
Deshalb deutet Aslan diese vergleichbaren Passagen der Evangelien als kreative Anpassung
an Rom und an die Verhältnisse um, die nach dem gescheiterten jüdischen Krieg und der
Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 geherrscht haben. Nach Aslan sehen sich nicht nur die
Rabbinen des 2. Jahrhunderts gezwungen, das Judentum „allmählich und planvoll …vom
radikalen messianischen Nationalismus, der zum verhängnisvollen Krieg mit Rom geführt
hatte“, zu trennen. „Die Tora ersetzt den Tempel als Mittelpunkt des jüdischen Lebens, und
das rabbinische Judentum entstand. Auch die Christen verspürten die Notwendigkeit, sich von
dem revolutionären Eifer zu distanzieren, der zur Plünderung von Jerusalem geführt hatte,
nicht nur, weil dies der frühen Kirche erlaubte, den Zorn des überaus rachsüchtigen Rom
abzuwenden, sondern auch, weil die Römer, nachdem die jüdische Religion zur Außenseiter -
Religion geworden war, die vorrangigen Adressaten ihrer Missionstätigkeit waren. So begann
der lange Prozess, in dem Jesus sich von einem revolutionären jüdischen Nationalisten in
einen friedlichen geistlichen Anführer ohne jedes Interesse an irdischen Dingen verwandelte.
Dies war ein Jesus, den die Römer akzeptieren konnten und tatsächlich auch drei Jahrhunderte
später akzeptierten, als der römische Kaiser Flavius Theodosius (✝ 395) die Bewegung des
jüdischen Wanderpredigers zur offiziellen Staatsreligion erhob“ (Reza Aslan).
Wer aber Aslans Haupttext zusammen mit seinem wissenschaftlichen Apparat liest und
dennoch bei seiner Vorannahme bleiben will, dass die erzählte Literatur eher dem Typus des
historischen Romans als dem Typus einer wissenschaftlichen historischen Biografie gleicht,
wird sich mit guten Argumenten wappnen müssen. Er müsste dabei unter anderem das
Argument stark machen, dass das Markus - Evangelium vor der Zerstörung Jerusalems oder
gegebenenfalls, wie Klaus Berger in seinem Kommentar zum Neuen Testament aus dem Jahr
2011 meint, schon 45 n.Chr. geschrieben worden ist und nicht zwingend in Rom, sondern
möglicherweise auch in Palästina oder Syrien abgefasst wurde. Er müsste erklären, warum
Jesus mit der Bewegung der Zeloten nichts zu tun gehabt hatte, obwohl beide in Galiläa
gewirkt haben. Er müsste schließlich deutlich machen, dass die Berichte des Flavius Josephus
über den Unheilspropheten Jesus auch anders als bei Aslan gelesen werden können. Und er
müsste zwingend nachweisen, dass Matthäus 1, 34-36 nicht revolutionär, sondern pazifistisch
gedeutet werden muss. Im Ergebnis könnte er gleichwohl Aslans interdisziplinären und
interkulturellen Zugriff auf die Quellen ebenso wertschätzen wie seine hohe Narrativität und
den ,Zelot´ als anregende Lektüre empfehlen, weil sie dazu zwingt, eingespielte und allzu
selbstverständlich gewordene Jesusbilder auf den Prüfstand zu stellen und sich für neue
mögliche Optionen zu öffnen.
ham, 15.01.2014
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