Publikationen zur gleichnamigen Ausstellung vom 26.6.-22.9.2013 im Städel -Museum, Frankfurt a.M., herausgegeben von Martin Engler mit Texten u.a. von Dominique Laporte, Francesca Pola, Franziska Leuthäußer, dem Herausgeber, einem Interview mit Germano Celant und einem Vorwort von Max Hollein
Städel-Museum, Frankfurt / Kerber-Verlag, Bielefeld, 2013, ISBN: 978-3-9-41399-29-7, 264 Seiten, Hardcover mit Leinenrücken und Lesebändchen, gebunden, Format 24,5 x 21 cm, € 34,90 (Museumsausgabe) // € 39,80 (D)/ 51,70 (CHF) (Buchhandlungsausgabe)
Für Max Hollein ist der schon mit 29 Jahren verstorbene Piero Manzoni (1933 bis 1963) „der wohl folgenreichste Künstler der italienischen Nachkriegskunst“. Manzoni hat es geschafft, „…die wichtigsten Themen der Spätmoderne zu einem vielschichtigen, für die Kunst der Gegenwart wegweisenden OEuvre zu verdichten. Manzoni schuf dabei einen konzeptuellen Körperdiskurs, der zur Matrix eines neuen, erweiterten Kunstbegriffs werden sollte“ (Max Hollein).Manzoni nimmt „an der Schnittstelle zwischen klassischer Moderne und Neo-Avantgarde eine Schlüsselposition am Ende der Moderne“ ein und unterzieht „die künstlerische Geste einer kreativen Revision“. Er „vereint das Duchamp’sche Readymade mit der Abstraktion des Suprematismus und verbindet die Alltagsfragmente der historischen Avantgarden mit der seriellen Warenästhetik von Pop- und Minimal Art. Die wesentliche Ambition Manzonis aber richtet sich auf den >>Tod<<, oder besser, den Rückzug des Autors“ aus seinem Werk (Max Hollein). Für Hanno Rauterberg von der „Zeit“ ist Manzoni der „einzig wahre Satiriker unter den Nachkriegskünstlern“ und der „letzte wahre Avantgardist“ (Die Zeit Nr. 29, 11. Juli 2013, Seite 51). Für Martin Engler ist er „nicht weniger als ein Wegbereiter unser Gegenwartskunst, der sowohl Bodyart, Performance, Konzeptkunst und landart beeinflusst hat“ (Martin Engler). Bekannt ist er heute vor allem durch seine im Mai 1961 wie Hausmacher Wurst in Dosen abgefüllte Künstlerscheiße. Jeweils 30 g sollen es in der streng auf 90 Dosen begrenzten Edition gewesen sein. Manzoni hat sich vorgestellt, dass seine Künstlerscheiße mit jeweils einer Feinunze Gold aufgewogen werden kann. Aber die Dosen sind dann wie Blei in den Regalen liegen geblieben. Heute kosten sie sechsstellige Summen und Künstler wie Bernhard Bazile präsentieren die 1989 von ihm geöffnete eine Dose der „Merda d’artista“ Manzonis als eigenes Kunstwerk.
Weitgehend in Vergessenheit geraten sind dagegen die mit abstrahierender Figürlichkeit auf roten, blauen und gelben informellen Bildgründen spielenden frühen Arbeiten. Gleiches dürfte für seine von 1957 bis kurz vor seinem Tod entstehenden Achromes gelten, die sich zwar formal in malerische und objekthafte Arbeiten wie das zu einer Kugel geformte weiße Kaninchenfell auf einem quadratischen Postament von schwarzen Holzklötzen (Achrome, 1961, Kaninchenfell, Holz 92,4 x 46,9 x 46,9 cm) oder die verschnürten und versiegelten Packpapier-Päckchen (Achrome, 1962, Packpapier, 60 x 80 cm) einteilen lassen; aber diese Einteilung ist schon deshalb nicht ganz stimmig, weil die bei den malerischen „Achromes“ verwendeten Materialien Gips und Kaolin bei Manzoni so verwendet werden, dass sie Raum beanspruchen und zu Körpern werden. „In dem Moment als Manzoni sich von der Farbe ab- und dem dinglichen Bildgrund, dem Kaolin, zuwendet, treten schon seine allerersten „Achromes“ von der Wand in den Raum. Sie beanspruchen einen neuen Status als reale körperliche Objekte, ohne das Feld der Malerei zu verlassen…“ (Martin Engler). Von seinen zwingend auf die Imagination der Betrachter angewiesenen, in verschlossenen Pappzylindern und Holz-, Blei- und Zink-
Behältnissen verborgenen, bis zu 7.200 m langen Linien (Linie, 1960, Tinte auf Papier, Blei- und Zink- Behältnis, 96 x 66 cm) bis zur Präsentation seines Künstleratems in auf Hochholzpostamenten präsentierten Luftballons ist es nur ein nächster Schritt. Der Schritt von den wie beim Abendmahl zum Kunstverzehr dargebotenen, mit dem eigenen Daumenabdruck signierten Eiern zur Eindosung von Künstlerscheiße geht dann allerdings über das bisher in der Kunst gedachte insofern hinaus, als der Mensch nicht mehr „in seiner idealistisch-metaphysischen Individualität, sondern“ in seiner biologisch-körperlichen Alltäglichkeit „ zum zentralen Element eines Kunstdiskurses“ wird, „der den eigenen, wie auch den fremden Körper“ und die Verdauung und Atmung einbezieht (Martin Engler). Nachdem Atmung und Verdauung zur Kunst erklärt ist, kann dasselbe für Menschen und die Welt gelten: Manzoni stellt sich und andere ab 1961 auf den Sockel, signiert nackte menschliche Körper und stellt schließlich die ganze Welt auf den Sockel (Socle Du Monde, 1961, Eisen und Bronze, 82 x 100 x 100 cm): „Man muss sich das vorstellen: Nicht irgendein Werk, sondern die Welt als Ganze hat Manzoni hier aufgesockelt… Damit der Sockel nicht länger hilflos in der Luft oder besser ins leere Universum ragt – und die Erde endlich als das gewürdigt wird, was sie ist: ein unüberbietbares Kunstwerk“ (Hanno Rauteberg, in „Die Zeit“ am angegebenen Ort).
ham, 17.7.2013
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