Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 17. Mai – 11. August 2019 in der Albertina, Wien, herausgegeben von Elsy Lahner und Klaus Albrecht Schröder mit Texten von Anne Ellegood,
Julia Moebus-Puck, Simon Zalkind und den Herausgebern
Albertina, Wien / Hirmer Verlag, München, 2019, ISBN 978-3-7774-3254-0, 230 Seiten, 150 Abbildungen in Farbe, 1 Ausklapptafel, Hardcover gebunden, Format 25 x 29 cm, 39,90 € (D) / 39,90 € (A) / CHF 48,70
Hermann Nitsch (zur Biografie siehe http://www.nitsch.org/biografie/) ist nach seiner 3. Malaktion am 28. Juni 1963 in der Perentigasse in Wien zusammen mit Otto Muehl für mehrere Tage in Haft gekommen. Er hat Österreich aufgrund mehrerer Gerichtsprozesse und weiterer Gefängnisstrafen 1967 verlassen und bis 1978 hauptsächlich in Deutschland gelebt. Damals war noch nicht abzusehen, dass ihm die Albertina zu seinem 80. Geburtstag eine großangelegte Einzelausstellung ausrichten würde. In dieser Jubiläumsausstellung stehen erstmals die Gemälde des Altmeisters des Wiener Aktionismus exklusiv und gesondert im Mittelpunkt.
Malerei stellt für Nitsch eine der Disziplinen seines Orgien Mysterien Theaters dar. „Sie ist zutiefst in Aktionismus, Performance, in der Multimedialität verankert. Sie ist Ursprung der Aktionen und zugleich deren Ergebnis […]. Diese Malerei sprengt die Dimensionen des Tafelbilds, erobert flächendeckend die Wand und greift als umfassende Installation in den Raum ein. Es ist ein Perspektivenwechsel, ein anderer möglicher Blick auf Nitschs Werk, mit dem wir ihm einen zusätzlichen Stellenwert geben und ihn neu in der Kunstgeschichte verankern wollen“ (Klaus Albrecht Schröder S. 6).
„Nitschs zentrales Anliegen ist es, mit seinem Werk reales Geschehen zu inszenieren, dabei alle Sinne anzusprechen sowie Wahrnehmung und Erleben zu intensivieren. Es gilt, durch diesen ›Daseinsrausch‹ die Existenz des Menschen in der Welt zu festigen. Sein Theater soll ekstatisch-exzessiv die Grenzen der Kunst überwinden, Kunst und Leben eins werden lassen. Dies trifft auch und gerade für seine Malerei zu“ (Elsy Lahner S.11). Sie stand am Beginn des Orgien Mysterien Theaters und eroberte von der eindimensionalen Fläche her den Raum. Am Anfang stand der physische Umgang mit Farbe, die Expression, der aktionistische Farbauftrag, das körperliche Ausagieren und die Farbe Rot in Analogie zu Blut im Zentrum des Interesses. Erst Mitte der 1980er-Jahre kamen das liturgische Schwarz, Violett, Grün, Blau und die ›Auferstehungsfarben‹ Gelb und Weiß hinzu, „bis Nitsch schließlich innerhalb eines Bildes das gesamte Farbspektrum einsetzte, um aber bei Bedarf wieder zu nur einer Farbe zurückzukehren […]. Wurde die Farbe, etwa in den frühen Werken, vorwiegend geschüttet und gegossen und anschließend mit dem Pinsel oder den Händen verrieben, so wurde sie in den sehr pastosen Arbeiten des ›Auferstehungszyklus I‹ oder der ›Braunen Serie‹ direkt auf die horizontale Jute-Leinwand gekippt und so mit den Händen verteilt, dass viele kleine Fingerbewegungen zu erkennen sind. In den ›Springbrunnenbildern‹ spritzte die geschüttete Farbe von der Mitte ausgehend […] auf die umgebende Fläche, in den ›Farbigen Rinnbildern‹ […] rann sie in dünnen Bahnen von dem oberen Bildrand herab. Dünnflüssige Farbe kam zum Einsatz, wenn es Nitsch um die Auseinandersetzung mit Blut ging, pastose […] in der Entsprechung von Fleisch“ (Elsy Lahner S. 11 f.)
Der aufwendig gestaltete Katalog gibt einen erstaunlich sinnlichen Überblick über die Entwicklung von Nitschs Malerei von seinem Frühwerk (1960 – 62) über die Malaktionen von 1983, die farbigen Schüttbilder mit Malhemd von 1989, den Schwarzen Zyklus I von 1991, die Ochsenbilder (1994), die Braune Serie (1995) und die Relikte und Aufführungsbilder aus dem 6-Tage-Spiel von1998 bis zu den Auferstehungszyklen I (200o) und II (2002), den Springbrunnenbildern mit Malhemd (1989 – 2018) den Farbigen Rinnbildern (2005 – 2011), der Kathedrale der Farben (2009) und den Quadratischen Schmier- und Schüttbildern von 2012 bis 2018 (vergleiche dazu https://www.google.de/search?q=hermann+nitsch+bilder&tbm=isch&source=hp&sa=X&ved=2ahUKEwiKmIHH5sXiAhVLzqQKHbxxCcUQiR56BAgKEAw&biw=1649&bih=904). Kurztexte von Elsy Lahner ordnen die Werkgruppen dem Gesamtwerk zu und führen in sie ein.
Demnach ist der ›Auferstehungszyklus I‹ in Nitschs 43. Malaktion im Sommer 2000 auf Schloss Prinzendorf entstanden. „Der Farbauftrag war pastos, die einzelnen Farben – verschiedene Blau- und Rottöne in den unterschiedlichsten Schattierungen, Gelb, Orange und Ocker wurden als kleine Farbflächen überlappend neben- und übereinander gesetzt […]. Nitsch ging es in dem Zyklus darum, zu verdeutlichen, dass das Leben nicht nur aus Leiden besteht, sondern er mit seinem Werk das Leben feiert“ (Elsy Lahner S. 136). Im Jahr 2002, in dem Nitschs ›Auferstehungszyklus II‹ entstand, arbeitete der Künstler „ausschließlich an Bildern, in denen Gelb dominierte. Er überzog den Jutestoff in verschiedenen Nuancen mit Einschlägen ins Orange, Braune oder Grünliche sowie mit Spuren von Weiß. Einige Arbeiten sind durchwegs gelb, doch bei den meisten ist zu sehen, dass Nitsch zunächst mit rotbrauner Farbe schüttete und das Schüttbild anschließend mit gelber Farbe überarbeitete, sodass nur am unteren Bildrand dunkle Rinnspuren verbleiben und den Prozess, den Schichtaufbau, offenbaren. Es scheint, als würde das Gelb der Auferstehung über das getrocknete Blut des Leidens triumphieren“ (Elsy Lahner S. 148).
ham, 31. Mai 2019