Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 20.02. – 19.05.2013 im Palast des Beaux Arts Brüssel,
hrsg. von Harald Kunde, mit einem Vorwort von Paul Dujardin und Étienne Davignon und einem Essay von Harald Kunde
Hatje Cantz Verlag Ostfildern / Bozar Books, Brüssel, 2013, ISBN 978-3-7757-3516-2, 186 S., 65 großteils ganzseitige Farbtafeln, Halbleinen gebunden, Format 31,5 x 24,5 cm, € 34,90
Die mit 41 groß- und 10 kleinformatigen Gemälden und 19 Zeichnungen groß angelegte Übersichtsausstellung über das in den letzten 20 Jahren entstandene Werk des in Leipzig geborenen und in Aschersleben aufgewachsenen Malers Neo Rauch ermöglicht es, das sich nicht im teleologischen, sondern im Sinne wiederkehrender Zyklen fortentwickelte Werk mehrsträngig zu betrachten: Die in sieben Hauptabteilungen oder Kapitel gegliederte Ausstellung (Rollenspiel und Rebellion; Hinter dem Vorhang; Konspiration; Schwieriges Kapitel; Anschwellende Gesänge; Kleine Formate; Zeichnungen) führt den Betrachter aus der Gegenwart in die Ausgangs- und Ursprungssituation des Werks in den Jahren vor und nach der Wende zurück und gibt ihm die Gelegenheit, neben chronologischen und motivischen Aspekten auch „assoziative Kriterien wie etwa das koloristische Klima oder den ‚Magnetismus der Erinnerung‘“ kennenzulernen. Wenn man Harald Kunde folgt, ziehen sich „bestimmte Denkfiguren von Beginn an durch die Imaginationsräume“ der Zyklen. Sie „halten untergründige Verbindung zu ihren Inkarnationen der nächsten Etappe. Zwar wechseln sie Kostüme und Kulissen, durchlaufen entscheidende Veränderungen ihrer farblichen und bildlichen Fassung, aber ihrem Wesen nach erweisen sie sich als beständige Begleiter des schöpferisch-reflexiven Prozesses. Diese Denkfiguren, die sich …quasi als mentale Grundierung mit den Bildern realisieren“, lassen sich für Kunde mit folgenden Begriffen überschreiben: „Arbeit und Werk, Übung und Manöver, Rätsel und Traum, Kunst und Künstler, Rollenspiel und Rebellion“ (Harald Kunde). Die zentrale Frage nach der Verantwortung für das Gelingen und Scheitern des real existierenden Sozialismus und vice versa des Kapitalismus sowie der in diesen Systemen propagierten Menschenbilder spiegelt sich unter anderem in Rauchs 300 x 500 cm großen Malerei ‚Zähmung‘, 2011, die sich in zwei korrespondierende Hälften gliedert. „Die linke Seite wird dominiert von einer Giraffe… Im Hintergrund wird ein Haus abgerissen, davor leuchtet ein Fackelträger die Dunkelheit der Bildbühne aus, noch weiter vorne weisen ein Gestrauchelter und ein Aufsteigender auf ihr jeweiliges Schicksal. Zwei Figuren aber stehen im direkten Kontakt zu dem hoch aufragenden Tier, ein Mädchen, das besänftigend seine Hände auf dessen Hals legt und ein gestrenger Meister, der entschlossen die Zügel zur Domestizierung auch dieser Kreatur ergreift. Diese konkurrierenden Zähmungsmodelle werden in der rechten Bildhälfte aufgegriffen und in einem kastenartigen Verschlag gespiegelt, in dem sich … eine Verhörsituation ereignet“ (Harald Kunde). In der 270 x 420 cm großen
Malerei ‚Der Vorhang‘, 2005, hantiert ein braun befrackter Maler als alter Ego des Künstlers im aufgeschlitzten Bauchraum eines Schwertfischs, der ihm den Farbtopf ersetzt. In dem Bauchraum stecken die Arbeitsgeräte, die Pinsel. Die quadratische rot-grüne abstrakte Skizze an der die linke und rechte Bildhälfte trennende Wand weiß noch nicht, worauf sie hinaus will. Unter dem Tisch des Malers stapeln sich Bücherberge. Am rechten unteren Bildrand liest eine Lehrerin dem vor ihr knienden und zu bestrafenden Schüler aus einer Kladde das Urteil vor. Die zweite Lehrerin, die das Urteil exerzieren wird, steht breitbeinig-sportlich mit der mit beiden Händen gehaltenen Rute bereit. Auf der rechten Bildhälfte korrespondiert mit dieser Figur ein Südseeinsulaner. Er hält eine Machete in der rechten Hand. Er hat den Auftrag, dem Schwertfisch, der von einem zweiten Insulaner mit beiden Händen hinter dem Kopf gehalten wird, den Kopf abzuschlagen. Ein Soldat in grüner Volksarmee-Uniform zieht den roten Vorhang zwischen den beiden Bildhälften auf und gibt die Bühne für das Schauspiel frei.
ham, 12.05.2013
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