Verlag C.H. Beck, München, 2015, ISBN 978-3-406-68337-4, 304 Seiten, 49 farbige Abbildungen,
Lesebändchen, Hardcover gebunden mit Schutzumschlag, Format 22 x 14,5 cm, € 24,95

Wer verstehen will, warum sich der vielfach und zuletzt mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
2015 ausgezeichnete Schriftsteller Navid Kermani über Malereien von Veronese (Die Hochzeit zu Kana,
1562/63), El Greco (Der Abschied von seiner Mutter, ca. 1578 -80), Caravaggio (Die Dornenkrönung
Christi, 1602/ 03; Tod Mariae, 1605/06; Judith und Holofernes, 1598/99; Die Kreuzigung Petri, um 1604;
Berufung des Heiligen Matthäus, 1600), Sandro Botticelli (Kreuztragung, nicht datiert), Guido Reni
(Kreuzigung, ca. 1635-38) und Stefan Lochner (Die Muttergottes in der Rosenlaube, um 1450) an das
Christentum annähert, sollte sich zum einen mit seiner Dissertation „Gott ist schön“ und zum anderen mit
dem Gottesverständnis des mittelalterlich sufistischen Mystikers Ibn Arabi auseinandersetzen.

Kermani wurde 1967 im pietistischen Siegen als Sohn iranischer Einwanderer geboren. Er hat zwar den
protestantischen Religionsunterricht besucht, kritisiert aber die dort erlebte Sinnenferne und
Lustfeindlichkeit. Kirchentage sind für ihn die unerotischsten Veranstaltungen überhaupt. Sie werden „in
ihrer Rechtschaffenheit nur noch von den evangelischen Akademien übertroffen“ (Navid Kermani, S. 259).
Er selber folgt „dem Religionsverständnis seines schiitischen Großvaters: Ein guter Moslem ist, wer ein
guter Mensch ist“ (Martin Ebel, War der Islam die Folge einer christlichen Verirrung? In: http://
www.welt.de/kultur/literarischewelt/article145983288/War-der-Islam-Folge-einer-christlichen-
Verirrung.html) und ist von der Mystik der Sufis fasziniert. In seiner 1997 im Fach Islamwissenschaft an der
Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn eingereichten Dissertation „Gott ist schön“ hat er das
Verhältnis von Muslimen zum Koran und die Bedeutung des Ästhetischen für dieses Verhältnis untersucht.
Im Mittelpunkt steht nicht der Koran, sondern dessen Aufnahme durch ein Publikum. Unter dem
Ästhetischen versteht er, bezugnehmend auf die Etymologie des Wortes, „das sinnlich, mit den Augen und
Ohren Wahrnehmbare und dann auch das künstlerisch Erfahrbare und Genussbereitende eines Gegenstandes
oder einer Erscheinung – im Unterschied zu deren diskursivem, auf abstrakten Begriffen beruhendem Inhalt.
Eine >ästhetische Rezeption< ist eine Rezeption, die sich zuvörderst auf die sinnliche Erscheinungsweise eines Gegenstandes richtet, also auf dessen optischen, akustischen, haptischen, geruchlichen, geschmacklichen Eigenschaften oder auch auf seine expressiven Qualitäten. Eine >ästhetische< Erkenntnis ist demnach eine Erkenntnis durch die Sinne … In diesem Sinne hat jedes Buch und zumal jede Offenbarungsreligion eine ästhetische Dimension, die Bibel nicht anders als der Koran“ (Navid Kermani, Gott ist schön. München 2. Auflage 2003, S. 12). Für Muslime wird die musikalische Rezeption des Koran zur ästhetische Grunderfahrung, für das katholische Christentum seit dem Tridentinum neben der Liturgie insbesondere die Welt der als Glaubenszeugnisse verstandenen Bilder und für die orthodoxen Mönche im Kloster Visoki Dečani im Kosovo das Ritual im Chor: „Es ist eine bis in die Schrittfolgen und Kadenzen komponierte, seit tausendfünfhundert Jahren tradierte und in Dečani seit siebenhundert Jahren unverändert aufgeführte Sinfonie aus Gesten und Gängen, Melodien und Texten, Solopartien und Chorgesängen, Rasseln und Glockenklängen, aus Lichteffekten, die durch das Herumtragen und Schwenken der Kerzenständer erzeugt werden, und genau dosierten Duftstößen von Weihrauch. Als solle es das Gefügtsein der göttlichen Schöpfung beweisen, darf an dem Ritual nichts zufällig sein. Konzentrierte, Form gewordene Theologie: Alles … ist Zeichen“ (Navid Kermani, S. 231). Kermani führt Ibn Arabi als größten Meister der Islamischen Mystik ein und erinnert daran, dass er mehr weibliche als männliche Lehrmeister gehabt hat. Er gehe so weit zu behaupten, „ dass die Anschauung Gottes, die sich für den Menschen notwendig in konkreten irdischen Erfahrungen vermittele - der Natur der Liebe, des Traumgesichts und am stärksten der Sexualität -, in der Frau die vollkommenste sei. Denn in der Frau verkörperten sich beide Aspekte des Göttlichen, das Passive und das Schöpferische, Empfängnis und Gebären, patiens und agens … Das bedeutet, dass Ibn Arabi Gott ausdrücklich auch das Passive zuspricht und dessen Verhältnis zum Menschen als ein wechselseitiges begreift, bei dem wir auf Ihn, aber Er ebenso auf unsere Liebe angewiesen ist … Adam und Eva seien, da die Schöpfung des Mannes vorausging, nicht vollständig gewesen als Urbild der menschlichen Liebe, sagt Ibn Arabi, sondern hätten komplementär Marias und Jesu bedurft; innerhalb dieser Typologie sind Eva und Jesus wie Geschwister, deren Eltern Adam und Maria sind. Deshalb habe der Prophet als erstes die Frau genannt, als er von den Segnungen sprach, die ihm die teuersten sind …“ (Navid Kerman S. 93). Maria und Jesus, die Mutter und der Sohn stehen dann auch am Anfang von Kermanis Annäherung an die Bildwelt des Christentums. „Der katholische Freund“ so Kermani, „schließt nicht aus, dass der Evangelist Lukas persönlich das Bild“ Maria Advocata im Kloster Santa Maria del Rosario „gemalt habe … Erhalten geblieben ist nur das Gesicht Mariens in den erstaunlichsten Farben, der Ansatz ihres Schleiers, zwei vergoldete Hände … sowie das Kreuz auf der Höhe ihres Herzens … Und natürlich der goldene Grund! In der Sprache der Ikonenmaler werde er >>Licht<< genannt, erklärt flüsternd der Freund, weil das Gold das himmlische Licht umfange … Weil sich der Freund zu einem Rosenkranz zurückzog, hatte ich Zeit mit der Jungfrau. Wieso nenne ich sie überhaupt Jungfrau, wenn ich nicht in die Mutterschaft Gottes glaube? Ein Wort: Getroffensein. Gott hat sie getroffen. Das ist Gnade und Qual, das verleiht Flügel und schmettert nieder, das streichelt und ist ein Hammerschlag. Macht alles verlieren und Gott genügen. Die großen braunen Augen schauen dich an, als hätte der viel kleinere Mund anfangs noch wie der Mystiker Halladsch gerufen: Rettet mich, Leute, rettet mich vor Gott“ (Navid Kermani S. 9 ff.). Die im Bode-Museum, Berlin aufbewahrte 42,2 cm hohe Skulptur eines Christuskinds, Nußbaumholz, Perugia, um 1320, wird zur Projektionsfläche für das alles andere als freundlich Kind, dessen Zorn und Streiche das apokryphe Thomasevangelium überliefert: „Da spielt … der Fünfjährige am Ufer eines Baches und leitet das vorbeirauschende Wasser mit bloßer Willenskraft in kleine Pfützen um. Ein Nachbarsjunge nimmt einen Weidenzweig und fegt das Wasser zurück in den Bach. Die beiden geraten in Streit … Aber dann schreit Jesus, dass der Nachbarsjunge wie ein Baum verdorren, weder Blätter noch Wurzeln noch Früchte tragen solle. Und alsbald verdorrt der Nachbarsjunge … und das heißt wohl er stirbt … und stürzt seine Eltern ins Unglück … Ungerührt geht Jesus nach Hause … Vielleicht sind Benedikt XVI. und mit ihm der katholische Freund zu sehr von der Schönheit gebannt, die ihnen … an Jesus Christus selbst so wichtig erscheint, um das Häßliche ebenfalls zu sehen … Indes wird Schönheit auch erst mitsamt ihres Gegensatzes wahr … Jesus könnte ein Rotzlöffel gewesen sein, ein Ungeheuer von einem Kind, mit Wunderkraft ausgestattet, ja, die er jedoch voller Arglist einsetzt. Ich fürchte, man wird meinen, ich lästere Jesus nun selbst. Dabei ist es keine Lästerung und die Arglist ist ein Attribut, das Gott ebenfalls zugesprochen wird“ (Navid Kermani, S. 19f.). Der systematische Theologe Friedrich Wilhelm Graf hat in seiner Besprechung von Navid Kermanis Annäherung an das Christentum in der Wochenzeitung „Die Zeit“ angedeutet, dass mit dem „katholischen Freund“ Martin Mosebach gemeint sei und dass Kermani sich dessen Vorurteile gegen einen allzu intellektualistischen, moralisierenden und zeitgeistkonformen Protestantismus gerne zu eigen gemacht hat. Das hat ihn aber nicht daran gehindert, auch noch auf „eine genuin protestantische Deutungstradition“ zu setzen: Er berichtet im längsten Kapitel seines Glaubenszeugnisses „stark konfessorisch von der ihn tief ergreifenden Begegnung mit einem frommen Menschen, der in den oft gewalttätig ausgetragenen Glaubenskonflikten unserer Tage wie ein Heiliger“ wirkt. „Paolo dall’Oglio habe in der syrischen Wüste das Kloster Mar Musa gegründet und der Freundschaft zwischen Christen und Muslimen gewidmet. Auf seinen Pilgerreisen in den Nahen Osten fand Kermani hier jene starke Kraft der Liebe, die er als das genuin Christliche schätzt: eine bedingungslose Nächstenliebe, die wirklich als Liebe des ganz anderen gelebt wird“ (Friedrich Wilhelm Graf, Ein Muslim fühlt katholisch. In: „Die Zeit“ Nr. 42 vom 15.10.2015 S. 57). >> „ Es
geht um nichts weniger als die radikale Eingemeindung des christlichen Glaubens in ein muslimisches
Umfeld<<, erklärte Pater Paolo: >>Und mit radikal meine ich etwas, das über Folklore, Kleidung, Teppiche
auf den Böden der Kirchen, nackte Füße und den regelmäßigen Gebrauch muslimischer Ausdrücke
hinausgeht. Es geht darum, die Trumpfkarte im Schicksal derjenigen zu sein, die wir lieben<< “ (Palo dall’Oglio in Navid Kermani S. 184). Navid Kermanis Buch erhebt keinen wissenschaftlichen Anspruch, „sondern ist eine frei assoziierende Meditation - ein Staunen eben - über 40 Bilder und Begriffe, Heilige und Rituale“ und „Ausdruck eines religiösen und ästhetischen Erlebens. Und der katholische Freund? Gott hat mich mit mehr als einem beschenkt“ (Navid Kermani S. 292 f.). ham 20.10.2105 Download

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