Amedeo Modigliani, Liegender Frauenakt auf weißem Kissen, 1917, Öl auf Leinwand, Staatsgalerie Stuttgart. © Staatsgalerie Stuttgart
Ausstellungen und Katalog zu den Ausstellungen vom 24.11.2023 – 17. 3.2024 in der Staatsgalerie Stuttgart und vom 27.4. – 18.8.2024 im Museum Barberini, Potsdam
Christiane Lange hat eigentlich schon vor zehn Jahren eine Modigliani-Ausstellung in Angriff nehmen, also gleich, nachdem sie 2013 von der Leitung der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in München als Direktorin an die Staatsgalerie Stuttgart gewechselt war,. Ausgangspunkt waren die 1959 für die Staatsgalerie erworbenen Modigliani- Gemälde ›Liegender Frauenakt auf weißem Kissen‹ (vergleiche dazu https://www.staatsgalerie.de/de/sammlung-digital/liegender-frauenakt-weissem-kissen), das ›Bildnis Chaim Soutine‹ (vergleiche dazu https://www.staatsgalerie.de/de/sammlung-digital/bildnis-chaim-soutine-portrait-de-chaim-soutine) und die 1976 erworbene Zeichnung ›Kopf‹ (vergleiche dazu https://www.staatsgalerie.de/de/sammlung-digital/kopf-0). In anderen deutschen Museen ist Modigliani nur noch mit drei Gemälden in der Kunstsammlung Nordrhein- Westfalen, Düsseldorf (vergleiche dazu https://www.kunstsammlung.de/de/collection/artists/amedeo-modigliani,https://www.artflakes.com/de/products/a-dot-modigliani-karyatide-2 und https://www.kunstsammlung.de/de/collection/artists/amedeo-modigliani, mit einer Skulptur in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe (vergleiche dazu https://www.kunsthalle-karlsruhe.de/kunstwerke/Amedeo-Modigliani/Kopf/7722D93F4752AE0D6ABD1E8A40601CE3/) und mit dem ›Kopf der ›Almaïsa‹ im Museum Ludwig, Köln (vergleiche dazu http://artsviewer.com/images/M/modigliani/1917-71.jpg) zu finden.
Da Arbeiten von Modigliani rar und die Versicherungssummen schwindelerregend hoch sind (vergleiche dazu https://commons.wikimedia.org/wiki/Amedeo_Modigliani?uselang=de) und jedes Jahr Werke von Modigliani in Ausstellungen unterwegs sind, hat es bis 2023 gedauert, bis Langes Wunsch in Erfüllung gegangen ist: Die jetzt in der Staatsgalerie Stuttgart in Kooperation mit dem Museum Barberini in Potsdam von Christiane Lange und Ortrud Westheider mit Nathalie Lachmann und Jens-Hennig Ulmer realisierte Schau rückt erstmals Modiglianis Porträts von Schriftstellerinnen, Modeschöpferinnen und Malerinnen in den Mittelpunkt, die mit ihren Kurzhaarfrisuren und in ihren Männerkleidern wie ein Vorgriff auf die ›Neue Frau‹ in Art Deco und Neuer Sachlichkeit erscheinen. Sie kann mit ihren 50 Gemälden und Zeichnungen und ihrem erstmaligen Dialog mit deutschsprachigen Künstlern wie Lehmbruck, Klimt, Schiele, Kirchner und Paula Modersohn-Becker als „Weltklasseausstellung“ (Christiane Lange am 22.November 2023 bei der Pressekonferenz zur Modigliani-Ausstellung) gelten.
Der in Stuttgart herausgestellten Blick auf die Person und das Werk von Modigliani wurde durch die neuere und neueste Modigliani-Forschung ermöglicht. Der 1884 in Livorno als Sohn einer jüdischen Familie geborene Amedeo Modigliani war nach André Salmons Biografie von 1926 lange als drogenabhängiger Frauenheld dargestellt worden. ›Moderne Blicke‹ „zeigt im Einklang mit der jüngsten Forschung, dass Modigliani im Gegenteil seine Modelle nicht zu Objekten degradierte, sondern in einem von Gleichberechtigung geprägten Verhältnis zu ihnen stand“. Die „Werkanalysen bauen zudem auf den Erkenntnissen der kunsttechnologischen Untersuchungen auf, die […] belegen, dass Modiglianis Arbeitsweise nicht ausschließlich spontan, sondern durchaus planvoll und bedächtig war“ (Christiane Lange / Ortrud Westheider im Katalog S. 13). Dazu kommt die lange vernachlässigte Einsicht, dass es neben der Abstraktion auch einen figurativen Weg in die Moderne gab.
„Nicht nur in Paris, sondern in ganz Europa gab es Künstlerinnen und Künstler, die parallel zur Neuerung durch den Kubismus an der Figuration weiterarbeiteten. Ihre intensive Beschäftigung mit Porträt und Akt begleitet und prägte die Entwicklung des Menschenbilds einer jungen Generation. Sie provozierten damit genauso wie jene, die den Bildbegriff zeitgleich formal auflösten“ (Christiane Lange / Ortrud Westheider a. a. O. S. 12).
Amedeo Modigliani, Elena Povolozky, 1917, The Philipps Collection Washington. © The Philipps Collection, Washington, Erworben 1949
Modigliani hat die sich am Beginn des 20, Jahrhunderts wandelnde Frauenrolle mit seinen androgynen Bildnissen der selbstbewussten, sportlichen, intellektuellen und modisch gekleideten Frau früh erfasst. „Bereits während des Ersten Weltkriegs portraitierte er maskulin gekleidete Frauen mit Kurzhaarfrisuren und setzte sich mit dem neuen Typus der femme moderne auseinander“ (Ortrud Westheider a. a. O. S. 20). Nach Renate Söntgen hat er bei seinen 1917 in der Galerie von Berthe Weill ausgestellten Akten auf skandalisierende Sujets und Darstellungsformen seiner Zeitgenossen zurückgegriffen, um sie im selben Atemzug mit Rückgriff auf klassische Posen und Darstellungsweisen zu konterkarieren. „Mit den Modernitätssignalen Schamhaar, Neue Frau und Primitivismus, mit Skandal-Teasern und deren gleichzeitiger Zurücknahme hat er die unverkennbare Marke ›Modigliani‹ etabliert. Der Blick auf das strategische Moment entkräftet nicht die Wirkweise der Bilder, die pulsierende Sinnlichkeit der Figuren. Entzaubert werden allein die Originalitätsmythen der Moderne […]. Das Skandalöse wohnt den Bildern Modiglianis nicht inne […]. Der Skandal liegt im Auge der Betrachtenden“ (Beate Söntgen a. a. O. S. 54).
Der von der Staatsgalerie Stuttgart und dem Museum Barberini, Potsdam herausgegebene und bei Prestel verlegte großformatige Katalog ›Modigliani. Moderne Blicke‹ hat in der Museumsausgabe die ISBN-Nr. 978-3-7913-9111-3, 320 Seiten, das Format 30,6 x 24,5 cm und kostet € 39,90. Die Buchhandelsausgabe hat die ISBN-Nr. 978-3-7913-7708-7 und kostet € 45,00 € (D) / € 46,30 (A) / 58,50 CHF.
ham, 28. November 2023