Çiḡdem Aky. Katarina Baumann. Assia Benhassine. Naomi Bosch. Michael Cherubim. Chen Fei. Konstantin Friedrich. Hirofumi Fujiwara. Laura Gaiser. Marc Héron. Jiwon Jung . Dominik Karle. Nikita Milukovs. Alina Nosow. Sebastian Putzke. Sanna Reitz. Frida Ruiz. Artur Schäfer. Julia Schmalzl. Robert Schmidt. Margarethe Ucinski. Claudia Urlass. Anja Wiebelt. Verena Wippenbeck. Anita Wolf
Katalog zur gleichnamigen Ausstellung vom 10. Juli – 21. August 2016 im Mannheimer Kunstverein, herausgegeben von Axel Heil für die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. Mit Grußworten von Ernst Caramelle und Martin Starter und Texten von Katarina Baumann und dem Herausgeber
Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe / Mannheimer Kunstverein, 2106, 436 Seiten, ein doppelseitiges Plakat von Artur Schäfer, zahlreiche Farbabbildungen, Klappenbroschur, Format 21 x 15 cm, € 20,00
Meisterschüler der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe können nach ihrem erfolgreich abgeschlossenen Studium ein weiteres Jahr die Werkstätten, die Ateliers der Hochschule und die Expertise ihrer Professorinnen und Professoren nutzen. Dieses Jahr schließt mit der Ausstellung der Meisterschüler in einem eingeführten Haus ab. 2106 ist es der Mannheimer Kunstverein. Die Ausstellung wird von einem von Axel Heil zusammen mit den Meisterschülern erarbeiteten Katalog begleitet. Die bisherigen Kataloge waren in erster Linie Bilderbücher. „Dieses Jahr bietet der Katalog aber schon zum zweiten Mal eine Ausnahme. Es gibt Text und nicht zu knapp“ ( Axel Heil S. 12). Der von der 1985 in Stepnagorsk, Kasachstan, geborenen Katarina Baumann verfasste 25 Seiten lange Text ist nichts weniger als eine wohl überlegte Zusammenschau von wesentlichen Äußerungen zur Abstraktion seit der beginnenden Moderne. Er setzt bei Alois Riegel ein und führt über Gilles Deleuze bis zu Marcus Steinweg. Einen Schwerpunkt bildet die Auseinandersetzung mit Wilhelm Worringer und Jonathan Meese. Mit Meese geht Baumann davon aus, dass das künstlerische Werk das Genauste und Deutlichste ist, was der Künstler der Welt hinzufügen kann. „Der Künstler unterscheidet sich von allen anderen, die sich mit Kunst befassen, nur durch einen Punkt, er sieht die Notwendigkeit, Allem etwas hinzuzufügen. »Kunst die Gesamtheit aller Notwendigkeiten« “ (Katarina Baumann im Textkonvolut S. 4 / Jonathan Meese).
Wilhelm Worringer hat 1907 in seiner Dissertation die These vertretenen, dass Kunst ein selbständiger Organismus sei. In dieser These sieht Baumann Jonathan Meeses Kunstverständnis vorweggenommen: „ »Abstraktion und Einfühlung« von Wilhelm Worringer erschien im Jahr 1908“ bei Piper in München. Seine Untersuchung geht von der Voraussetzung aus, „» dass das Kunstwerk als selbstständiger Organismus gleichwertig neben der Natur und in seinem tiefsten innersten Wesen ohne Zusammenhang mit ihr steht, sofern man unter Natur die sichtbare Oberfläche der Dinge versteht. Das Naturschöne darf keineswegs als eine Bedingung des Kunstwerkes gesehen werden […]. Diese Voraussetzung schließt die Folgerung in sich, dass die spezifischen Kunstgesetze mit der Ästhetik des Naturschönen prinzipiell nichts zu tun haben«. BOOM! […]. Kurz nach Riegels Kunstwollen […] geht er einen so großen Schritt weiter und erklärt Kunst zum »Selbständigen Organismus«. (Meese, du bist nicht allein !) […]. Genuss (ist) ein aktiver Vorgang des Einfühlens […]. »Was ich in ihn einfühle, ist ganz allgemein Leben. Und Leben ist Kraft, inneres Arbeiten, Streben und Vollbringen. Leben ist mit einem Wort Tätigkeit. Tätigkeit aber ist das, worin ich einen Kraftaufwand erlebe. Diese Tätigkeit ist ihrer Natur nach Willenstätigkeit. Sie ist das Streben nach Wollen und Bewegung«. Das zentrale Element dieser verliebten Sicht auf die Kunst-Mensch-Beziehung ist der Moment des Aufeinandertreffens. Für Worringer, der das Ganze auch als »Zumutung« benennt, kommt an dieser Stelle das Kunstwollen und sein Charakter ins Spiel. »Kann ich der mir zugemuteten Tätigkeit mich ohne innerliche Gegensätzlichkeit überlassen, dann habe ich ein Gefühl der Freiheit “. (Katarina Baumann / Wilhelm Worringer im Textkonvolut S. 15 f). Bei Jonathan Meese wird nach Baumann daraus Meeses „»GANZ WIE SIE WÜNSCHEN !«. Es ist seine Antwort an die als Chefin verstandene Kunst: Nach seiner Auffassung müssen wir »wieder in der Lage sein, Chef zu sagen zu abstrakten Dingen«“ (Jonathan Meese nach dem Konvolut von Katarina Baumann Seite 17 und Seite 1).
Für Baumann hat Worringers Herauslösung der Kunst zu einem »selbständigen Organismus« „eine enorme Tragweite. Damit wird geltend gemacht, dass Kunst eigene Kräfte entwickeln kann, eigenen Gesetzen folgt und ungebunden ist von jeglicher Wiedergabe“ (Katarina Baumann S. 17). Bei Meese wird aus Worringers selbständigem Organismus die Diktatur der Kunst. „Er weiß von der Kraft der Abstraktion, ist vertraut mit dieser Erfahrung und ist wohl derjenige, der am deutlichsten von einer Herrschaft spricht. So geht er einen Schritt weiter, und fordert die Diktatur der Kunst, eine Herrschaftsform. Zuerst erscheint die Diktatur der Kunst als eine politische Utopie, auch weil er sie der Demokratie unermüdlich gegenüberstellt.Die Demokratie eignet sich für ihn in diesem Fall jedoch nur als ein Beispiel für das jeweilige Gegenteil. Er kennt die Geschichte als Geschichtsschreibung und weiß von allen möglichen Irrtümern. Müde davon, sich mit der Situation abzufinden, seine Lebensform als derjenige, der sich der Kunst hinwendet, Begriffen wie »Geschmack« zu unterwerfen. »Die Kunst spielt sich an mir ab«. Meese kann von einer Diktatur sprechen, weil er den Moment der Abstraktion sehr gut kenn und diese Kraft sehr viel zutraut. Er ist vor allem vertraut mit der rezeptiven Situation, in der man sich befindet. Die Diktatur der Kunst ist keine Unterjochung, sondern erst die Bedingungen, sich zu bewegen. »Die DIKTATUR der Kunst, also die Herrschaft der Kunst, ist der »Rechtsfreie Raum«. SEI LIEB sagt der »Rechtsfreie Raum« und verdingt sich als Nahrungskette der Sache. Der »Rechtsfreie Raum« ist keine »Menschenideologie«, sondern reiner Stoffwechsel der Sache, also Unabdingbarkeit, also »Erzgesetz« spielt sich nährhaft, hermetisch und erzfrisch an Allem ab.» […]. Verbunden mit seinem Optimismus ist das Radikale an Meese nicht seine Sprache, sondern die Forderung, von sich abzusehen.“ (Jonathan Meese nach dem Konvolut von Katarina Baumann und Katarina Baumann S. 20 f.).
In der realisierten Moderne und im Kunstkontext mag die Forderung, um der Sache willen von sich selbst abzusehen, tatsächlich überraschen. Im Christentum ist sie, wie Jesu Ruf in die Nachfolge und sein Gleichnis vom reichen Jüngling zeigen, seit 2000 Jahres wohl bekannt: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir“ ( Matthäus 16, 24). „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden“ (Matthäus 10, 34 – 39).
„Und siehe, einer trat zu ihm und fragte: Meister, was soll ich Gutes tun, damit ich das ewige Leben habe? Er aber sprach zu ihm: Was fragst du mich nach dem, was gut ist? Gut ist nur Einer. Willst du aber zum Leben eingehen, so halte die Gebote. Da fragte er ihn: Welche? Jesus aber sprach: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis geben; ehre Vater und Mutter« (2.Mose 20,12-16); und: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3.Mose 19,18). Da sprach der Jüngling zu ihm: Das habe ich alles gehalten; was fehlt mir noch? Jesus antwortete ihm: Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach! Als der Jüngling das Wort hörte, ging er betrübt davon; denn er hatte viele Güter. Jesus aber sprach zu seinen Jüngern: Wahrlich, ich sage euch: Ein Reicher wird schwer ins Himmelreich kommen.Und weiter sage ich euch: Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. Als das seine Jünger hörten, entsetzten sie sich sehr und sprachen: Ja, wer kann dann selig werden? Jesus aber sah sie an und sprach zu ihnen: Bei den Menschen ist’s unmöglich; aber bei Gott sind alle Dinge möglich ( Matthäus 19, 16 – 23 zitiert nach der Luther-Bibel, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1984).
Um es nicht zu vergessen: Wer Zeichnungen liebt, sollte die Arbeit der 1984 in Heidelberg geborenen Claudia Urlass (www.claudia-urlass.de) weiter verfolgen. Sie hat ihren Meisterschülerinnen-Abschluss bei Silvia Bächli gemacht hat. Für an Malerei Interessierte dürften unter anderem der 1985 in Ous am Rande des Ural geborene Franz Ackermann – Meisterschüler Artur Schäfer und die 1989 in Mannheim geboreneMarcel von Eden – Meisterschülerin Julia Schmalzl ( www.juliaschmalzl.de) interessant sein.
ham, 12. Juli 2016