Publikation zur gleichnamigen Ausstellung im Kunstmuseum Bonn vom 30. Mai bis 25. August 2019, herausgegeben von Barbara J. Scheuermann mit Texten von Stephan Berg, Barbara J. Scheuermann, Nicole Hartje-Grave, Clemens Klöckner, Anna Niehoff. Maximilian Rauschenbach und Richard Weihe
Wienand Verlag, Köln, 2019, ISBN 978-3-86832-522-0, 224 Seiten. 153 farbige und 39 s/w Abbildungen, Hardcover gebunden mit Schutzumschlag, Format 33 x 25 cm, € 45,00
Masken faszinieren nicht nur Kinder, Karnevalisten und Kulturgeschichtler, sondern auch Künstler, KuratorInnen wie Barbara J. Scheuermann und Intendanten wie Stephan Berg. Nach Berg verdankt sich die Faszination und Herausforderung des Themas zum einen der Tatsache, „dass Masken […] in allen Kulturen der Welt seit der Urgeschichte eine Rolle gespielt haben, dabei aber hinsichtlich ihrer Funktion und Aussage kaum auf einen Nenner zu bringen sind. Zum anderen wird die Maske eben nicht nur mit ihren verschiedenen Ausprägungen konnotiert, – sei es als Totenmaske, Theatermaske, rituelle Maske, Karnevalsmaske etc. –, sondern entfaltet ihre Virulenz ebenso deutlich als umfassende Metapher für unser gesellschaftliches Rollenverhalten. Dabei tritt vor allem ihre Funktion als Trennfläche zwischen Innen und Außen und die ihr innewohnende Dialektik zwischen Zeigen und Verbergen in den Vordergrund“ (Stephan Berg S. 6). Damit erscheint die Maske als menschliche Grunddisposition; es gibt mit Friedrich Nietzsche kein Ja oder Nein zur Maske mehr. „Es ist ebendiese von Nietzsche behauptete soziale und kommunikative Zwangsläufigkeit der Maske, die den Gegenstand in all seinen objekthaften wie metaphorischen Spielarten so faszinierend macht“ (Stephan Berg a. a. O.; vergleiche zur Ausstellung etwa https://www1.wdr.de/kultur/kunst/maske-kunstmuseum-bonn-100.html).
Unter den von Richard Weihe herausgearbeiteten unterschiedlichen Bedeutungsfeldern der Maske als pósopon, maschera und persona unterscheidet das aus dem Arabischen kommende maschera klar zwischen dem lebendigen Gesicht und der gegenständlichen Maske; pósopon bezeichnet bei den Griechen dagegen sowohl das Gesicht als auch die Maske. Prósopon „war die im antiken griechischen Theater gebräuchliche Bezeichnung für die Maske des Schauspielers. Das Wort hatte aber gleichzeitig die aus unserer Sicht gegenteilige Bedeutung ‚Gesicht‘ […]; prósopon ist gleichsam die Fassade, die dem Beobachter zugewandt ist […]. Die Maske […] dient der Gesichtserzeugung […]. Denken wir […] an ein mittels ästhetischer Chirurgie verändertes Gesicht. Der chirurgische Eingriff macht aus dem natürlichen Gesicht ein künstlich verändertes. Wir würden […] sagen, das Gesicht wirkt ‚maskenhaft‘ – aber es bleibt ein prósopon. Der griechische Begriff […] erlaubt uns, das Antlitz als Oberfläche mit natürlichen und künstlichen Anteilen zu verstehen“ (Richard Weihe S. 126). Bei próspon fallen die Rolle, die einer verkörpert, und die Person, die er ist, zusammen. Maske und Person sind eins.
Im Lateinischen wird die persona genannte Maske, die das Gesicht bedeckt und verändert, vom facies, vom echten Gesicht unterschieden. Persona meint die Rolle, die einer spielt. Die bisher übliche Herleitung von persona von personare, „etwas durchtönen, laut durchdringen“ wird inzwischen verworfen. „Heutige Forscher führen persona auf den etruskischen Erdgott Persu zurück, da bei Opferritualen für ihn ein maskierter Tänzer auftrat […]. Die Fehletymologie […] ist trotzdem interessant, weil sie auf einen wichtigen Aspekt aufmerksam macht: die auditive Dimension der Maske. Die Stimme des Maskenträgers ertönt durch die Maske – doch für die Zuhörer ist es die Maske, die spricht […]. So kann sich der Maskenträger immer herausreden […] und sich […] der Verantwortung entziehen“ (Richard Weihe S. 126).
Person im heutigen Sinn hat nichts mit Masken zu tun; Person meint den Menschen in seiner Individualität und als Träger eines einheitlichen, bewussten Ichs. Dieser Bedeutungswandel ist in der Zweinaturenlehre des frühen Christentums angelegt, in der die göttlich-menschliche Doppelnatur Christi mit der Formel „zwei Naturen – eine Person“ beschrieben worden ist: Persona transportiert in der Formel die Idee der Zweiheit weiter, unterschlägt aber die Herkunft des Gedankens aus der Theaterpraxis und ersetzt das theatralische durch das theologische Wortfeld, „in dem sich der Name Christus (persona) neben dem Wort Natur (menschlich-göttlich) findet. Der christliche Kaiser Justinian erließ im Jahr 529 n. Chr. den Befehl, philosophische Akademien und Theater zu schließen; Maskenspiele wurden verboten […]. Persona als Bezeichnung für eine Maske wurde obsolet, weil Masken aus dem öffentlichen Leben verschwanden […]. War persona der Gegenbegriff zu facies, gibt sich nun eine Person durch ihr Gesicht zu erkennen. Die Person entledigt sich quasi ihrer historischen Maske und nimmt paradoxerweise den Namen ebendieser Verhüllung an, von der sie sich freigemacht hat. Wenn wir uns diese Wortgeschichte von Person als Theaterstück vorstellen, würde darin die Protagonistin zu sich selbst finden, indem sie alle Masken abwirft“ (Richard Weihe S. 128). In Zeiten von Körperdesign, Selfie-Kultur und Morphing-Software wird die Maske zur Metapher für alles Verbergen, hinter der sich das eigentliche Ich versteckt (vergleiche dazu etwa https://www.netzwelt.de/download/foto-grafik/morphing-software/index.html).
Damit kommt der im Katalog und der Ausstellung eng gefasste Begriff von Maske in den Blick: „Das natürliche Gesicht gilt uns hier nie als Maske; auch das geschminkte Gesicht kommt […] nur am Rande vor. Wir interessieren uns im Kern für das fassbare Objekt […] Maske und seine Funktion beziehungsweise sein Erscheinen und dessen Wirkung in künstlerischen Werken. Die Funktion einer Maske erfüllt sich erst, wenn sie auf ein Gesicht aufgelegt wurde. Daher steht das Masken tragende Individuum sowie der performative Akt des Tragens einer Maske im Zentrum der Überlegungen“ (Barbara J. Scheuermann S. 16 ff.). Bei der Auswahl der Objekte stand zum einen die Frage nach kolonialen und postkolonialen Verstrickungen im Vordergrund. „Europäische Künstler wie Pablo Picasso, Man Ray oder Karl Schmidt-Rotluff ‚entdeckten‘ Anfang des 20. Jahrhunderts in ethnographischen Museen oder Privatsammlungen afrikanische Masken und Skulpturen – bezeichnet als ‚primitive Kunst‘ der ‚Naturvölker‘ – als Inspirationsquellen für ihre Kunst. Aus Kolonien geraubt und von Forschungsexpeditionen mitgebracht, regten diese Artefakte die Künstler zur Entwicklung neuer Formensprache an und führten zur Erfindung neuer Stilrichtungen wie etwa dem Kubismus. Was wir in Europa als Moderne bezeichnen, sähe ohne den Einfluss dieser afrikanischen Kunstgegenstände vollkommen anders aus […]. Das andere Thema ist der Umgang mit Geschlechterrollen“ (Barbara J. Scheuermann S. 20 und 26).
Besondere Schwerpunkte bilden die Strömungen des Dada, des Surrealismus und des Expressionismus und die Themen Zeigen und Verbergen, Verschleierung und digitale Selbstoptimierung. Ausgewählt und präsentiert wurden Arbeiten von Ed Atkins, Kader Attia, Julius von Bismarck, Thorsten Brinkmann, Miriam Cahn, Claude Cahun, Heinrich Campendonk, Edson Chagas, Eli Cortiñas, Max Ernst, Theo Eshetu, Gauri Gill, Werner Gilles, Martine Gutierrez, Stef Heidhues, Hannah Höch, Daniel Knorr, Zanele Muholi, Meret Oppenheim, ORLAN, Pablo Picasso, Signe Pierce & Alli Coates, Sigmar Polke, Ulrike Rosenbach, Karl Schmidt-Rottluff, Lavinia Schulz, Cindy Sherman, Wiebke Siem, John Stezaker, Sophie Taeuber-Arp, Rosemarie Trockel, Alexej von Jawlensky und von Gillian Wearing. Damit ist der aufwendig erarbeitete und hervorragend gestaltete Katalog zu einem Meilenstein in der Aufarbeitung der Maske in der Kunst der Moderne und der Gegenwartskunst geworden. Dass das Thema nach wie vor und weiter fasziniert, zeigt die demnächst im Aargauer Kunsthaus vom 1. September 2019 bis 05. Januar 2020
gezeigte Ausstellung ›Maske in der Kunst der Gegenwart‹ mit Arbeiten der KünstlerInnen Kader Attia (*1970, FR), Silvia Bächli (*1956, CH) & Eric Hattan (*1955, CH), Sabian Baumann (*1962, CH), Nathalie Bissig (*1981, CH), Olaf Breuning (*1970, CH), Edson Chagas (*1977, AO), Hélène Delprat (*1957, FR), Cecilia Edefalk (*1954, SE), Nicole Eisenman (*1965, FR), Theaster Gates (*1973, USA), Gauri Gill (*1970, IN), Douglas Gordon (*1966, UK), Aneta Grzeszykowska (*1974, PL), Christoph Hefti (*1967, CH), Judith Hopf (*1969, DE), Cameron Jamie (*1969, USA), Laura Lima (*1971, BR), Christian Marclay (*1955, CH), Mélodie Mousset (*1981, FR/CH), Mike Nelson (*1967, UK), Elodie Pong (*1966, USA/CH), Pope.L (*1955, USA), Ugo Rondinone (*1964, CH), Amanda Ross-Ho (*1975, USA), Markus Schinwald (*1973, AT), Cindy Sherman (*1954, USA), Francisco Sierra (*1977, CH), Simon Starling (*1967, UK), John Stezaker (*1949, UK), Rosemarie Trockel (*1952, DE), Paloma Varga Weisz (*1966, DE), Gillian Wearing (*1963, UK), Susanne Weirich (*1962, DE), Pedro Wirz (*1981, BR/CH), Sislej Xhafa (*1970, KO) (vergleiche dazu https://www.aargauerkunsthaus.ch/ausstellungen/2019/?showUid=524&cHash=f867964c062f766bfe5162ff98365282).
ham, 26. August 2019