Publikation zur Ausstellung Leif Trenkler, Coloured Beauty vom 22. Mai – 10. Oktober 2021 im Buchheim Museum, Bernried. Mit Texten von Stephanie Götsch und Gottfried Knapp und einem Gedicht von Thomas Kling
Hirmer Verlag, München, 2021, ISBN: 978-3-7774-3678-4, 144 Seiten, 133 Abbildungen in Farbe, Hardcover gebunden, Format 31 x 24,5 cm, 35,00 € [D] | 36,00 € [A] | 42,70 SFR [CH]
Beim ersten Durchblättern seiner zur Ausstellung im Buchheim Museum erschienen Publikation erinnern einzelne Arbeiten des 1960 in Wiesbaden geborenen und heute in Köln lebenden Vollblutmalers Leif Trenkler an die Kanu- und Urwaldszenen des ein Jahr älteren Peter Doig (vergleiche dazu etwa https://hero-magazine.com/article/188642/peter-doig/), andere wie „Sprungbrett“, 2020 an die Pool-Bilder „A Bigger Splash“, 1967, „The Splash“, 1966, „Porträt of an Artist (Pool with Two Figures)“, 1972 des über 20 Jahre älteren David Hockney (vergleiche dazu https://www.christies.com/features/David-Hockney-Portrait-of-an-Artist-Pool-with-Two-Figures-9372-3.aspx) und wieder andere entfernt an den 1882 geborenen Edward Hopper (vergleiche dazu die Malereien von Trenkler unter https://galerie-vonundvon.de/artist/leif-trenkler/, https://www.artgallery-wiesbaden.de/kuenstler/leif-trenkler/, https://www.galeriejahn.com/de/kuenstler/Leif-Trenkler und https://rehbein-galerie.de/artists/leif-trenkler/). Titel wie ‚Copacabana‘, ‚Miami Beach‘, ‚Malibu‘ und ‚San Remo‘ lassen an Fernreisen und Urlaubsorte der gehobenen Klasse denken, ‚In den Rockies‘ und ‚Joshua Tree Valley (Erdmännchen)‘ an spektakuläre Gesteinsformationen, seltene Pflanzen- und Tierarten und ursprüngliche Landschaften und Titel wie ‚Schatzinsel’‚Froschteich‘ und ‚Ausflug mit Hund’ an Kindheitserinnerungen. Trenkler muss weit herumgekommen sein, als Maler die Schönheit lieben und es zu etwas gebracht haben, sonst hätte er nicht an all diesen Orten gewesen sein können. Die unwahrscheinlichere Alternative wäre, dass er sich die meisten Orte ausgedacht hat.
Seiner Biografie ist zu entnehmen, dass Trenkler nach seinem Studium an der Städelschule in Frankfurt, an der Kunstakademie Düsseldorf und einem durch die Studienstiftung des deutschen Volkes ermöglichten Auslandsstipendium in Italien in den 1990er Jahren zu den Begründern der „Neuen Figuration“ in Deutschland gehört hat. Er hat schon damals mit der Vorstellung gebrochen, dass es barbarisch sei, „nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben“ (Theodor W. Adorno) und Schönheit nach zwei Weltkriegen und dem Holocaust in der Ästhetik keinen Platz habe. In seinen bildnerischen Erzählungen scheint überall die Sonne: Sie legen nahe, dass man wie die Personen auf seinen Bildern aus den Mühen des Alltags aussteigen und die täglichen Sorgen hinter sich lassen kann. Man kann dann Angeln gehen und in fremde und exotische Welten eintauchen. Im Nah- oder Fernurlaub geht es einem gut. Man hat sich darauf gefreut und genießt das Leben.
Leif Trenklers Malereien wollen wesentliche Momente des Lebens erfassen, sein Geheimnis in ihren Atmosphären, ihrem Spiel von Licht und Schatten und in ihren Schwingungen widerspiegeln und seine Abgründe ausloten. Seine Kompositionen verbinden erzählerische und abstrakte Momente (vergleiche dazu und zum folgenden das Interview von Daniel J. Schreiber mit Leif Trenkler im Buchheim-Museum: https://www.buchheimmuseum.de/aktuell/2021/trenkler). In seinen präzise gesetzten und perfekt ausbalancierten Bildausschnitten verschmelzen die Figurationen mit abstrakten Partien und irritierenden Farbverläufen zur Feier der Schönheit.
Aber Trenklers gemalte Schönheit hat Fallstricke. Der Künstler erzählt, dass er als Kind beinahe in einem See ertrunken sei. Er wurde gerettet und ist danach wochenlang im Krankenhaus gelegen. „Dort träumte ich immer wieder von Wasseroberflächen, die ich von unten sah und durch sie hindurch die Bäume am See und die Pflanzen an seinen Ufern. Ich verbinde seitdem Seenlandschaften, sich kräuselndes Wasser, Algen und Schilfpflanzen sowie die funkelnden Lichtflecken auf dem Wasser mit etwas ganz besonders Innigem“ (vergleiche dazu und zum Folgenden Patrizia Steipe, Irritierend schön. SZ.de vom 25. Mai 2021: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/starnberg/kunst-irritierend-schoen-1.5303319). In dem Hochhausviertel, in dem er aufgewachsen ist, wurde er von den anderen Sozialsiedlungskindern gejagt und bedroht. Jeder Tag war ein Spießrutenlauf. In seiner eigenen Familie hat man sich wie sonst in Italien von morgens bis abends lautstark unterhalten; es wurde gelacht und geschrien und dabei hat sich Trenkler einfach nach Ruhe gesehnt. Im Urlaub ist man immer zu Freunden nach Italien gefahren. Einer der älteren Söhne der Gastgeber hat vorgeschlagen, einmal nicht an den Strand, sondern in die Uffizien in Florenz zu gehen. Dort begegnet der Zwölfjährige Caravaggio, Botticelli und Uccello und damit einer ganz anderen, ihn faszinierenden Welt. Er findet zur Malerei und in ihr zu dem, wonach er sich immer gesehnt hat: seinem persönlichen Flucht- und Ruhepunkt.
Schönheit ist für ihn demnach eher Fluchtort und Ruhepol als Luxus und Überbau, aber darüber hinaus auch und vor allem so etwas wie das tägliche Brot und damit Überlebensmittel (vergleiche dazu Aida Bosch, Die Schönheit der Welt als Lebensfrage. Ästhetischer Widerstand gegen Destruktionsdynamiken. In: https://www.soziologie.phil.fau.de/files/2018/08/Bosch-Die-Schönheit-der-Welt-als-Lebensfrage_Ästhetischer-Widerstand.pdf).
ham, 8. Juni 2021