Hrsg. von Dietrich Heißenbüttel mit Beiträgen unter anderem von Ute Fessmann, Sabine Poeschel, Julia Müller, Hartwig Goez, Susanne Kaufmann, Petra Mostbacher-Dix, Gerd Dieterich, Susanne Jakob und dem Herausgeber
Hampp Verlag Stuttgart, 2013, ISBN 978-3-942561-19-8, 309 S., zahlreiche s/w- und Farbabbildungen, Hardcover gebunden mit Schutzumschlag, Format 22,5 x 22,7 cm, € 34,90
In der von Studenten des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Stuttgart unter der Leitung von Beat Wyss erarbeiteten und am 07. Februar 2000 veröffentlichten Studie ‚Kunst in Stuttgart‘ stellt Wyss einleitend fest, dass Stuttgart „eine Ausstrahlung als Stadt der Musik, des Theaters und vor allem der Oper“ besitzt, und im Großen Haus am Schlossgarten in der Weltspitze mitgespielt wird. Und dann fragt er, ob Stuttgart auch eine Stadt der Bildenden Kunst ist. Im Ergebnis kommt die von der damaligen Kulturbürgermeisterin Iris Magdowski angeregte Studie nach einer eingehenden Untersuchung der Felder Produktion, Distribution, Sammler und Museen zu einem Ja mit starker Einschränkung. Diese Einschränkung rührt vor allem daher, dass Stuttgart einen Teil seiner wichtigsten Künstler und Galerien nicht auf Dauer an die Stadt binden kann. Stuttgart ist eine Kunststadt; aber sie muss ihr Vermögen besser nutzen und besetzen. Zu einem vergleichbaren Ergebnis ist das vom Hospitalhof Stuttgart verantwortete Symposium ‚Kunststadt Stuttgart im Hospitalhof Stuttgart‘ am am 13.2.2001 gekommen. In dem Symposium ist unter anderem deutlich geworden, dass Stuttgart seine bedeutenden Künstler durch die Förderung ihrer Ateliers an die Stadt binden könnte. Nach Hans-Heinrich Grosse Brockhoff, dem Kulturdezernenten von Düsseldorf war dies im Rheinland schon lange vor der Jahrtausendwende gängige Praxis. Zwischenzeitlich gilt die noch im Jahr 2000 in der Stadt kaum wahrgenommene, in Teilbereichen hoch renommierte Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart als gut mit der Stadt vernetzt. Das Galerien-Wochenende „art alarm“ ist bestens eingeführt. Und heute weiß man in der Szene deutlich mehr voneinander.
Das jetzt durch die Unterstützung des Fördervereins der Freunde des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Stuttgart ermöglichte und von Dietrich Heißenbüttel herausgegebene Buch ‚Kunst in Stuttgart‘ greift die von Beat Wyss und seinen Studenten vorgelegte Bestandsaufnahme auf und will das Feld in Essays zu herausragenden Epochen, Persönlichkeiten, Institutionen und Traditionslinien der Stuttgarter Kunst neu vermessen. Unter den Autoren widmet sich Ute Fessmann der Veitskapelle und dem Prager Altar. Julia Müller erinnert an Stuttgarter Künstler im Nationalsozialismus. Hadwig Goez widmet sich Willi Baumeister und dem Archiv Baumeister im Kunstmuseum Stuttgart. Susanne Kaufmann fragt nach, wie Künstler ihre Stadt sehen. Gerd Diedrich und Susanne Jakob zeichnen die Entwicklung selbst organisierter Projekträume in Stuttgart nach und Dietrich Heißenbüttel listet unter anderem Glanzlichter und Rückschläge der Kunst in Stuttgart auf. Im Ergebnis entsteht „keine Assemblage, in der die einzelnen Elemente der Geschichte als lexikalische Epochenzeugnisse kompiliert wären, sondern eine mehr oder weniger kunstvolle Collage, die heterotope Momente durchaus kenntlich macht… Von Ratgeb über Dannecker und Schick, Hölzl und Baumeister bis in die aktuelle Gegenwart reicht die Bandbreite höchster Qualität, durch die sich Stuttgart als Kunststadt bzw. Stadt der Künste profiliert“ (Reinhard Steiner). Die Essays bestätigen insgesamt die Einschätzung von Beat Wyss und seinen Studenten. Stuttgart ist nicht nur Autostadt, sondern auch Stadt herausragender Lehrer, Künstler, Galeristen, Sammler, Museen, Gartengestalter und Architekten.
Richtig ärgerlich aber ist, dass die über 25-jährige wegweisende Ausstellungs- und Vermittlungsarbeit des Hospitalhof Stuttgart im Feld von Kunst und Religion in der Neuvermessung der Kunst in Stuttgart nicht mit einem Wort erwähnt wird. An dieser Stelle war die Studie von Beat Wyss und seinen Studenten schon vor jetzt fast eineinhalb Jahrzehnten klüger, wenn sie feststellt, dass sich der Hospitalhof als wichtiger Ort für die Begegnung zwischen Kunst und Religion etabliert hat und seit über 10 Jahren qualitativ hochwertige Ausstellungen präsentiert. Die Liste der sehr früh im Hospitalhof vor und nach der Jahrtausendwende präsentierten Künstler spricht für sich. So wurden nach 2000 im Hospitalhof Stuttgart unter anderem die heute international gefeierten Elmar Trenkwalder (im Jahr 2001), SEO (im Jahr 2005), Tobias Rehberger (im Jahr 2005), Jonathan Meese (im Jahr 2006) und André Butzer (im Jahr 2008) vorgestellt. Zu den noch in Stuttgart lebenden und heute überregional wahrgenommenen Künstlern, die sehr früh im Hospitalhof ausgestellt haben, gehören Georg Winter, Thomas Müller, Gabriela Oberkofler, Isa Dahl, Daniel Wagenblast und viele andere mehr. Die notierte Lücke ist aber nicht nur ärgerlich. Sie begrenzt auch die Bedeutung der sonst wichtigen Publikation. Sie tut ihr Abbruch und lässt fragen, ob sich der Herausgeber und vielleicht auch seine Förderer bei ihrem Ausschluss der Kunstaktivitäten des Hospitalhof Stuttgart von antikirchlichen oder kunstreligiösen Affekten oder beidem haben leiten lassen. Dass Kunst Religion ersetzten könne, glaubt aber sonst heute niemand mehr.
ham, 30.10.2013
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