Katalogbuch zu den Ausstellungen in der Kunsthalle Bremen vom 22.8. bis 29.9. 2019 und vom 12.10.2019 bis 8.3.2020 in Museum Frieder Burda, Baden-Baden. Mit Texten von Marion Poschmann, Eefke Kleimann, Vorworten von Frieder Burda und Christoph Grunenberg und einem Interview von Julia Voss mit Karin Kneffel
Kunsthalle Bremen / Museum Frieder Burda / Verlag Schirmer/Mosel, München, 2019,
ISBN 978-3-8296-0873-2, 224 Seiten, 255 Farbabbildungen, Hardcover gebunden mit Schutzumschlag, Format 29,5 x 24,5 cm, € 49,80 (D) / 51,20 (A) / CHF 57,30
Die vielfach ausgezeichnete Gerhard Richter-Meisterschülerin Karin Kneffel ist in den Jahren 1991 bis 93 durch kleinformatige realistisch und in Nahsicht in Öl auf Leinwand gemalte Tierporträts von Hähnen, Hühnern Schafen, Ziegen und Kühen vor hell- und dunkelgrauen Hintergründen in den Maßen von je 20 x 20 cm und in den Folgejahren durch großformatige Feuer- und Obstbilder in Größen von bis zu 240 x 710 cm aufgefallen und im kollektiven Bildgedächtnis haften geblieben. Wer den weiteren Malweg der ab 2000 als Professorin an der Hochschule für Künste Bremen und ab 2008 als Professorin an der Akademie der Bildenden Künste in München lehrenden Malerin nicht weiterverfolgt hat, ist überrascht, dass sie zwischenzeitlich bei komplexen Raum- und Zeitschichtungen, eingebauten zweiten und dritten Ebenen und dem Spiel mit Zitaten aus der Kunst- und Architekturgeschichte in ihren Bildwelten gelandet ist (vergleiche dazu https://www.swr.de/swr2/kunst-und-ausstellung/Ausstellung-Karin-Kneffel-im-Museum-Frieder-Burda-in-Baden-Baden,karin-kneffel-im-museum-frieder-burda-102.html und karin kneffel bilder).
Ihr Malweg hat sie in den mittleren und späteren 1990er Jahren über im Stil des Gelsenkirchener Barocks ausgestattete Interieurs, auf dem Boden gespiegelte liegende und über glänzende Bodenbeläge springende Hunde und Feuerbilder ab dem Jahr 2009 zu voyeuristischen Einblicken in fremde Häuser und in die Verrätselung von Ebenen und Räumen geführt, die entsteht, wenn man durch spiegelnde und verregnete Scheiben blickt. „Die Tropfen sind das Gegenteil von Realismus. Sie verwandeln das Bild, sie machen es künstlich, und es entsteht eine Ebene des Imaginären. Es ist ja nur der scheinbare Blick durch das Fenster. Wir sehen so nicht. Wenn du in der Realität Tropfen an einer Scheibe siehst, siehst du sie scharf. Das, was dahinter ist, verschwimmt. Wenn du aber den Raum dahinter betrachtest, dann verschwinden die Tropfen aus deinem Sichtfeld. Dieser fokussierte Blick ist in meinen Bildern ausgeschaltet, alles findet auf einer Ebene statt und du siehst beides gleichzeitig. Die Tropfen sind noch dazu irreal, durch ihre Größe. In ihnen spiegelt sich die Umwelt, man sieht zum Beispiel Häuser“ (Karin Kneffel S. 85).
Mit der Einladung zu einer Ausstellung im Haus Esters in Krefeld kommt dieser Umbau in hochkomplexe Bildräume mit mehreren Raum- und Zeitebenen auf den Punkt. Kneffel hatte noch Eric Fischls Ausstellung in Krefeld und seine Möblierung der Villen im Kopf und wollte in der Konzeption ihrer Ausstellung wie er einen Bezug zu den Häusern herstellen. Deshalb hat sie sich mit schwarzweißen Fotografien der Häuser aus den anfänglichen dreißiger Jahren auseinandergesetzt, die im Auftrag von Mies van der Rohe gemacht worden waren. Die Schwierigkeit bestand dann für sie darin, dass ihr die Schwarzweiß-Fotografien keinen Anhalt zur ursprünglichen Farbigkeit der Gegenstände in den Räumen geboten haben und sie sie nicht willkürlich kolorieren wollte. „Das brachte mich auf die Idee mit den Scheiben. Wenn ich mir ein Abendlicht vorstelle, das auf die Scheiben fällt, dann ist es egal, ob die originalen Fotografien nur schwarzweiß sind. Die gedachte Beleuchtung schafft die Farben im Bild. Mit diesem Kunstgriff fing alles an“ (Karin Kneffel S. 90). In einer ersten Serie hat sich Kneffel mit der Architektur und der Innenausstattung der Villen Esters und Lange und in seiner zweiten mit den dort ausgestellten Kunstwerken auseinandergesetzt. In weiteren Bildern arbeitete sie sich unter anderem an dem Barcelona-Pavillon von Mies van der Rohe, Häusern in der Kölner Straße in Mühlheim, Filmstills von Alfred Hitchcock, Gemälden und Skulpturen aus der Alten Nationalgalerie in Berlin und Skulpturen aus dem Lehmbruck Museum in Duisburg ab.
Sie malt bis zu 15 Stunden lang mit feinen Pinseln an ihren Bildern, so lange, bis sie nichts mehr stört. Mit Mittelformaten hat sie immer Probleme gehabt: Es „ist für mich die schwierigste Größe. Ein ganz kleines Bild ist fast wie ein Objekt. Das hat mit der Art und Weise, wie man fokussiert, zu tun. Es ist ein viel kompakteres Sehen. Ein großes Bild ist eher ein Gegenüber, ein Stück Raum. Mittelformate aber haben keine richtige Distanz […]. Du weißt nicht, woran du bist. Mir fällt nicht ein, was ich darauf malen könnte. Eine Raumecke vielleicht. Aber eine ganze Landschaft auf mittlerem Format? Ich freue mich immer, wenn es mir trotzdem gelingt“ (Karin Kneffel S. 85)
ham 8. Januar 2020