Katalog zur gleichnamigen Ausstellung vom 12.10.2013 – 19.01.2014 im Kunsthaus
Stade,hrsg. von Ina Hildburg und Sebastian Möllers mit Texten von Tom Beege, Andrea
Fromm und den Herausgebern. Kunsthaus Stadt / Wienand Verlag, Köln, 2013, ISBN 978-3-
86832-183-8, 160 S., zahlreiche Farbabbildungen, Klappenbroschur, Format 27 x 20,7 cm
Der historische Jesus und der Christus des Glaubens hat in den letzten 2000 Jahren eine
Überfülle von Anmutungen und Bildern aus sich herausgesetzt und ist damit zu einer vielfach
übermalten Folie für Christusbilder geworden. Die im Kunsthaus Stade gezeigten
Christusbilder des 20. Jahrhunderts unter anderem von Paul Gauguin, Odilon Redon, Oskar
Kokoschka, Otto Dix, Max Beckmann, Marc Chagall, Willi Baumeister, Georg Baselitz,
Joseph Beuys, Werner Tübke, Bernhard Heisig, Robert Rauschenberg und Keith Haring
dokumentieren „die enorme Spannbreite, die das Christusbild in der Moderne erreicht hat.
Nahezu jeder bedeutende Künstler hat sich des Themas in seinem Schaffen irgendwann
angenommen… Und jeder dieser Künstler ging das Christusbild von seiner persönlichen
Perspektive und in seiner ureigenen künstlerischen Gestaltung an… Oft waren es persönliche
Befindlichkeiten im Umgang mit einem als leidvoll empfundenen, erfolglosen Künstlerdasein,
insbesondere aber die tiefen Traumatisierungen während des Ersten und des Zweiten
Weltkrieges und deren Folgen, die dazu beitrugen, dass Künstler sich mit dem Leiden Christi
identifizierten. Die Kuratoren der Ausstellung richteten ihr Augenmerk daher auf die
persönlichen und historischen Umstände, in denen sich ein Künstler zur Zeit seiner
Auseinandersetzung mit dem Bild Christi befand: Wie ist das jeweilige Werk in seine
persönliche Biografie einzuordnen, was trieb ihn an, sich mit der Figur Christi zu befassen
und in welchen Zeitumständen geschah dies?“ (Tom Beege, Andrea Fromm).
Die in Stade gezeigten über 130 Exponate stammen aus dem Bestand der aus der Sammlung
von Ulrich Scheuffelen und Gisela Meister-Scheuffelen hervorgegangenen Stiftung
Christlicher Kunst Wittenberg. Die ersten Seiten des Katalogs sind unter anderem den
Christusbildern von Édouard Manet, Louis Corinth und Max Slevogt gewidmet, die letzten
Seiten den Christusbildern von Robert Rauschenberg, Keith Haring und Michael Morgner.
„Spätestens seit den 1960er-Jahren des 20. Jahrhunderts hat das Christusbild in der säkularen
Massenkultur ein Eigenleben entwickelt. Im Zuge von Hippiebewegung und globaler
Erstarkung der Medienindustrie wurde Jesus zu einem Popstar, gleichermaßen Rebell und
Symbol für die Liebe zwischen den Menschen und für den Wunsch nach einer besseren
Welt…. Robert Rauschenberg (1925-2008) machte sich diesen Umstand zunutze, um mit
seinem Blatt ‚Arcanum VI‘…eine Kaskade von Assoziationen zu verursachen. Hier befindet
sich eine Figur im Mittelpunkt, die nur durch Haartracht und Bartwuchs als Christus
identifiziert wird. Um das Porträt, das keinem klassischen Vorbild entspricht, sondern eher
dem >>Kitschfundus<< der populären Devotionalienkultur entstammt, sind acht weitere
Felder gruppiert, die zum Teil leicht erkennbare Gegenstände zeigen, etwa das Auto links
oben und die Whiskyflasche rechts oben. Die seitlichen Felder … bilden zudem eine Art
Strahlenkranz, die einen weiteren Hinweis auf Christus geben“ (Tom Beege, Andrea Fromm).
In Keith Harings ‚Untitled‘, 1982, Lithografie, 577 x 845 mm wird ein gesichtsloser
Gekreuzigter von vier Hunden angebellt. Der Gekreuzigte ist von einem Strahlenkranz
umgeben. „Die Entschlüsselung der vermeintlich einfachen Kreuzigungsszene gestaltet sich
jedoch komplex: So besitzt ein Kreuz in der Körpermitte einer Figur stets eine negative
Konnotation – die Figur ist als >>böse<< markiert, bestenfalls als >>irregeleitet<<. Hunde
sind dagegen stets positiv belegt, gelten, wie Kinder und die meisten Tiere, als
schutzbedürftig und verkörpern zuweilen Widerstand, wenn sie bellen. Wie ein anderes Bild
aus der Serie zeigt … wurde der Strahlenkranz von einem UFO – stets Zeichen für eine
mystische Allmacht – auf die Hunde übertragen, die ihn ihrerseits durch Geschlechtsverkehr
an die Figur weitergegeben haben, die sie dann kreuzigen… Möglicherweise handelt es sich
also um eine >>Gegenkreuzigung<<, in der, mit Bezug auf die verwendete Ikonografie;
religiöse Heuchelei an den Pranger gestellt wird“ (Tom Beege, Andrea Fromm). Bei Michael
Morgner wird Christus schließlich zur abstrakten Chiffre für gequälte Seelen.
ham, 29.01.2014
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