Der 1936 in Köln geborene und seit 1965 in New York lebende und arbeitende Hans Haacke ist seit der Absage seiner für 1971 geplanten Einzelausstellung im Salomon R. Guggenheim-Museum eine Legende der politischen Konzeptkunst. Thomas Moser, der damalige Direktor von Guggenheim, erklärte Haackes Arbeit »Shapolsky et al. Manhattan Real Estate Holdings, A Real Time Social System, as of May 1«, 1971, die sich mit Immobilienbesitz und -spekulationen beschäftigt, zur sozialen Studie, die nicht Kunst sei. Vergleichbar ging es Haacke 1974 mit seinem »Manet-Projekt ’74«, das die Rolle von Hermann Josef Abs beim Ankauf von Édouard Manets Spargel-Stilleben von 1880 für die Sammlung des Wallraf-Richartz-Museums und seine Rolle im Dritten Reich offengelegt hat. Beide Arbeiten haben in der Schirn-Retrospektive ihren Platz gefunden. Dazu kommen seine 1981 unter dem Titel »Der Pralinenmeister« zusammengefasste Auseinandersetzung mit dem Schokoladenproduzenten, Kunstsammler und Museumsstifter Peter Ludwig, seine 1985 unter dem Titel »Burlesque« angeprangerte Darstellung der Waffengeschäfte des Oerlikon-Bührle- Konzerns und natürlich auch das Konzept und die Dokumentation seines Kunstprojekts „Der Bevölkerung“ im nördlichen Lichthof des Berliner Reichstagsgebäudes. Seine Zertrümmerung der Bodenplatten des Deutschen Pavillons in Venedig  (vergleiche dazu https://www.frieze.com/article/gregor-muir-hans-haackes-germania-pavilion-45th-venice-biennale) ist verständlicherweise nur als Großfotografie im Treppenaufgang in den ersten Stock der Schirn präsent.

Hans Haackes in der Rotunde aufgestelltes viereinhalb Meter hohes und rund zwei Tonnen schweres Pferdeskelett aus Bronzen „Gift Horse“ von 2014 zitiert klassische Reiterdenkmäler, nur fehlt ihm der Herrenreiter auf dem Rücken. Dafür zeigt ein um das linke Vorderbein geschlungene LED-Band die von der Frankfurter Börse direkt übertragenen Wertpapierkurse an. Man braucht also dem geschenkten Gaul nicht mehr ins Maul zu schauen, um zu wissen, wo man dran ist. Das Sprichwort „Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul“ geht auf den Pferdehandel zurück. Käufer stellen den Wert des Pferdes dadurch fest, dass sie diesem ins Maul schauen und an der Stellung und am Zustand der Zähne das Alter und den Wert des Pferdes einschätzen. Die lateinische Fassung der Sentenz »Noli equi dentes inspicere donati« wird unter anderem von Hieronymus (347 – 420 n. Chr.) in seinem Kommentar zum Epheserbrief zitiert (vergleiche dazu https://de.wiktionary.org/wiki/einem_geschenkten_Gaul_schaut_man_nicht_ins_Maul).  

Zu den Höhepunkten der Frankfurter Schau gehören die Vorstellung des wenig bekannten poetischen Haackeschen Frühwerks, seine Verbindung zu ZERO und der von der Kuratorin an der Schirn Kunsthalle in Frankfurt, Ingrid Pfeiffer und der Chefkuratorin des Belverde Museums Wien,  Luisa Ziaja zur Ausstellung vorgelegte Katalog. Ingrid Pfeiffer setzt sich im Katalog mit dem Systemgedanken in Hans Haackes Frühwerk und Luisa Ziaja mit seinen »Acts of Counter-Memory« im Postnazismus auseinander. Dazu kommen Essays zum Wasser als skulptural-politischem Material (Ursula Ströbele), zu Haackes Verbindung zur und Abgrenzung von der Konzeptkunst (Hubertus Butin), zur infrastrukturellen Kritik (Sabeth Buchmann und Stephan Geene) und zu seinen politischen Strategen und zeitloser Kritik (Vanessa Joan Müller). Cornelia Eisendle hat die Biografie von Hans Haacke erarbeitet. 

Im Gespräch zwischen Paul Maenz, Gerd de Vries, Ingrid Peiffer und Luisa Ziaja werden die Anfänge und der Fortgang der Zusammenarbeit von Paul Maenz und Hans Haacke 1967 in Frankfurt und 1971 in Köln deutlich (vergleiche dazu und zum Folgenden im Katalog S. 134 ff. und https://soccochico.com/shop/paul-maenz-koeln-jahresbericht-1971). In Köln waren unter anderem Haackes dort für 8000 D-Mark verkaufter

»Schwimmender Eisring« und »Wassergefälle« zu sehen: Aus einem perforierten Schlauch, der auf dem Boden lag, tröpfelte Wasser und suchte sich, dem Gefälle folgend, seinen Weg. Ein simples »physikalisches System« – nach Maenz Haacke vom Besten. Besucher gab es selten. Es galt schon als Erfolg, wenn eine Ausstellung 16 Besucher hatte. Allerdings waren die meist interessiert und informiert – eher »Beteiligte« als »Publikum«. Die  Anselm Kiefer-Eröffnung von Maenz im Jahr 1989 hatte dann an die 2000 Gäste.

Der bei Hirmer in München zur Frankfurter und zur Folgeausstellung im Belverde 21 in Wien heraus-gegebene Katalog hat die ISBN 978-3-7774-4422-2, 264 Seiten, 160 Abbildungen in Farbe, ist gebunden, 30,5 x 24,5 cm groß und kostet im Buchhandel in Deutschland 49,90 € und in Österreich 51,30 €.

ham, 18. Dezember 2024

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