Okt 31

Gerhard Richter, Photographs

Von Helmut A. Müller | In Katalog, Kunst

Publikation zur gleichnamigen Ausstellung bei Sies + Höke, Düsseldorf, mit einem Text von Dieter Schwarz

Schirmer/Mosel, München und Sies + Höke, Düsseldorf, 2024, 978-3-8296-1011-7, 96 Seiten, 38 Farbtafeln, Klappenbroschur, Format 26,5 x 21 cm, € 45,00  (D)/€ 46,39 (Ö)/CHF 51,80 

Der 1932 in Dresden geborene und aufgewachsene, zwischen 1971 und 1993 an der Kunstakademie Düsseldorf lehrende und jetzt in Köln lebende Gerhard Richter wird im Ranking des aktuellen „Kunstkompasses“ erneut als weltweit wichtigster Künstler geführt. Er gilt als Weltstar der Gegenwartsmalerei. In den frühen 1960er Jahren hat er Amateurphotographien als Vorlagen für seine Ölbilder benutzt. „Die Hingabe an ein fotografisches Sehen eröffnete ihm eine umpräjudizierte Annäherung an die äußere Wirklichkeit […].  Anstelle des Erkennens, also des begrifflichen Erfassens, sollte für Maler wie Betrachter ein staunendes Sehen treten. Daraus resultierten Bilder, die wie Fotovorlagen von einem realen Moment berichten und diesen Ausschnitt aus der Realität kommentar- und meinungslos wiedergeben. Das Malen nach dem fotografischen Bild weist alles vorgefasste Wissen zurück und sucht die Wahrheit in der Epiphanie des Bildes“ (Dieter Schwarz, S. 11).

In Richters Œuvre kommen fotografische Bilder selten als schwarzweiße oder farbige Abzüge vor, sondern wesentlich häufiger in Gestalt von Offsetdrucken oder als Reproduktionen in von ihm konzipierten Künstlerbüchern oder anderen Publikationen.  Die in dem Band zusammengetragenen Fotos sind deshalb eher die Ausnahme als die Regel. Gezeigt werden unter anderem frühe Selbstporträts, Porträts von Ema, dem Galeristen Heiner Friedrich, Mao, Onkel Rudi (vergleiche dazu https://www.karlundfaber.de/de/auktionen/283/zeitgenoessische-kunst/2830934/), dem Modell Volker Bradke und doppelbelichtete Porträts des Künstlerpaars Gilbert & George (vergleiche dazu https://www.van-ham.com/de/kuenstler/gerhard-richter/gilbert-amp-george.html). Dazu kommen Landschaftsaufnahmen und experimentelle Abstraktionen. Die Arbeiten stammen aus den Jahren 1965 bis 2021. In seinen Sechs Fotos von 1989 greift Richter erneut auf die Mehrfachbelichtung zurück, indem er sich im schwach beleuchteten Atelier bei verschiedenen unidentifizierbaren Handlungen aufnimmt (vergleiche dazu https://www.gerhard-richter.com/de/art/editions/six-photos-may-27-1989-a-2-may-1989-12761). „Durch die mehrfache Überlagerung der Aufnahmen wird die Figur vervielfältigt und ihre Konturen verschwimmen im Halbdunkel. Die Ziel- und Sinnlosigkeit ihrer Handlung wird zur Metapher für künstlerische Selbstzweifel. Die Fotos gehen einher mit der selbstkritischen Befragung der eigenen Tätigkeit und der zeitgenössischen Kunst, die Richter in dieser Zeit sowohl durch das aggressive Auslöschen seiner Malspuren in den abstrakten Bildern wie in einer Reihe von Texten unternahm. So notierte er 1988: ‚Die Kunst ist elend, zynisch, dumm, hilflos, verwirrend – ein Spiegel unserer geistigen Armut, unserer Verlassenheit, Verlorenheit. Verloren haben wir die großen Ideen, die Utopien, jeden Glauben, alles Sinnstiftende’. Andererseits wirken die Sechs Fotos wie ein Echo auf die frühen Videos von Bruce Naumann, die den Künstler bei der Aufführung von selbstauferlegten Aufgaben im Atelier zeigen. Doch wo Naumann den Spielraum des Ateliers mit seiner Tätigkeit füllt, ohne damit eine Bedeutung zu verbinden, tritt in Richters unscharf aufgenommenen Fotos die Unfassbarkeit der Künstlerfigur in den Vordergrund“ (Dieter Schwarz, S. 15).

Wer wissen will, wie Richter das bildliche Potential der Fotografie immer wieder neu erkundet und für sich fruchtbar gemacht hat, sollte die Einführung des Schweizer Kunsthistorikers Dieter Schwarz gelesen haben.

ham, 31. Oktober 2024

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