Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 30. Juni – 23. Oktober 2016 im Städel Museum, Frankfurt und den Folgeausstellungen in Stockholm, Rom und Bilbao, herausgegeben von Max Hollein und Eva Mongi-Vollmer mit Essays von Richard Schiff, Uwe Fleckner und den Herausgebern und 15 Geschichten von Alexander Kluge zu den Bildern von Georg Baselitz aus den Jahren 1965 und 1966
Städel Museum, Frankfurt / Hirmer Verlag, München, ISBN 978-3-7774-2564-1, 166 Seiten, rund 130 Abbildungen überwiegend in Farbe, Hardcover gebunden, Format 30,5 × 24,8 cm, € 39,90 (D) / € 41,10 (A) / CHF 48,70
Gottfried Knapps Eloge auf die „Helden“ von Georg Baselitz in der Süddeutschen Zeitung vom 12. Juli 2016 lässt sich schwer toppen. Demnach dürfte es in der Geschichte der Malerei kaum je „eine ähnlich trotzig entschlossene Hinwendung zu einem einzigen Bildmotiv […] gegeben haben. Ein Maler […] sieht plötzlich die Möglichkeit, an einem einmal bearbeiteten Motiv seine Kunst auf dem erreichten Niveau weiterzuentwickeln. Er hat eine humane Figur geschaffen, die in ihrer Gebrochenheit und in ihrer provozierenden Präsenz sehr viel von dem zu verkörpern scheint, was er zuvor mit krassen Verzerrungen und Tierfratzen zum Ausdruck bringen wollte. Ja in diesem männlichen Prototypen scheinen sich die Widersprüche einer ganzen Generation zu verdichten. Der Maler lässt sich […] in einen Schaffensrausch hineinreißen. Innerhalb weniger Monate erarbeitet er ein Riesenwerk von fast bestürzender Eigensinnigkeit und gleichzeitig schönster malerischer Freiheit. Wer dieses Werk in seinen fast monströsen Dimensionen erlebt […], der wird die Macht dieses Bildersturms auf physisch direkte Art zu spüren bekommen, die Rede ist von Georg Baselitz und der Werkgruppe der »Helden« und »Neuen Typen«, also jenen im einheitlichen Großformat gemalten Manns-Bildern, die zum Zeitpunkt ihres Entstehens 1965/66 ihrer aufgewühlten Gegenständlichkeit wegen vom abstrakt denkenden Betrieb entrüstet abgelehnt wurden, heute aber zum malerisch Besten und thematisch Zwingendsten zählen, was nach dem Krieg in Deutschland geschaffen worden ist“ (Gottfried Knapp, Der zerrüttete Mann. In: SZ Nr. 159 vom 12. Juli 2016 Seite 12. Vergleiche dazu auch http://www.sueddeutsche.de/kultur/kunst-der-zerruettete-mann-1.3073319?reduced=true).
Wer die im Städel Museum in Frankfurt erstmals in ihrer Gesamtheit zusammengetragenen rund 60 Gemälde, 130 Zeichnungen und 38 Druckgrafiken gesehen hat, wird Knapp nicht widersprechen wollen. Er wird im Gegenteil bestätigen, dass in den gebrochenen und verletzten „Helden“ die widersprüchlichen Erfahrungen im Deutschland der Nachkriegsjahre sinnfällig auf den Punkt gebracht sind. Sie „zeigen kräftige, gleichwohl versehrte und ihrer Autorität abhanden gekommene, entblößte, rudimentär uniformierte Gestalten. Es sind robuste, jedoch lethargische Männer, melancholische Überlebende in einer zerstörten, chaotischen Welt, bilddominant und in pathetischer Untersicht mit zahlreichen landschaftlichen Details inszeniert und in einer bewusst unroutinierten, fahrigen Malerei ausformuliert. Die dargestellte Situation bleibt ambivalent […]. Die frühen Erfahrungen im kriegszerstörten Sachsen, die Wurzel- und Bodenlosigkeit, die Baselitz sowohl durch den Wechsel von Ost- nach Westdeutschland als auch in der ambivalenten Nachkriegszeit erlebt hat, sorgte für eine wütende Abgrenzung gegenüber einer als fremd und falsch empfundenen Umwelt und einer Gesellschaft, die weder eine adäquate Heimat noch ehrlichen Umgang mit dem Gegebenen darstellte. Zäsur und Isolation als bewusste Haltung und heraufbeschworene künstlerische Reaktion war für Baselitz der einzig mögliche authentische Weg“ (Max Hollein, Malerei als Befreiung S. 13). Heute beginnt man zu begreifen, dass diese Werkgruppe wohl mit dazu beigetragen hat, die nach dem Zweiten Weltkrieg herrschende Dominanz der Abstraktion zu brechen.
Baselitz beschreibt seine künstlerische Haltung in den ausgehenden 50-er und beginnenden 60-er Jahren im Nachhinein so: „Natürlich hätte ich in das gerade herrschende Erfolgsmodell der Malerei einsteigen und mitmachen können. Aber dafür hätte ich ja meine ganze Biografie unterdrücken müssen, und das geht nicht. Das wäre eine Gehirnwäsche gewesen, der ich mich hätte unterziehen müssen, um bessere Bilder, in Anführungszeichen, zu malen. Vielleicht. Aber das Problem stellte sich gar nicht. Ich sah, dass etwas passiert war mit der Malerei, aber dass ich auf diesen Zug nicht mehr aufspringen konnte. Ich sah bei Kollegen, die das versuchten, wie es nicht klappte. Dann habe ich angefangen, Sprüche zu klopfen, wie: »Ich bin kein moderner Mensch«“. Sein Westberliner Lehrer Hann Trier hatte das auch gedacht, als er sagte: „»Sie sind ein anachronistischer Mensch«. Da musste ich erst mal im Lexikon nachschlagen, was das ist. Und kam zu dem Schluss, das Trier zugleich Recht und Unrecht hatte, denn es gibt ja keinen wirklichen Schritt nach vorn […]. Der Schritt nach vorn, den gibt es in den Kommunikationsmedien, der medizinischen Technologie und so weiter. Aber in der Kunst ist das überhaupt nicht so, weder in der Musik noch in der Malerei“ (Georg Baselitz im Gespräch mit Heinz Peter Schwerfel über die „Helden“. In: art. Das Kunstmagazin // Juli 2016 S. 84).
Gleichzeitig konnte er mit großer Selbstverständlichkeit und selbstbewusst erklären, warum eines der Hauptbilder der Werkgruppe ein gutes Bild ist: „»Warum das Bild ‚Die großen Freunde’ ein gutes Bild ist! Das Bild ist ein Idealbild, ein Geschenk Gottes, unumgänglich – eine Offenbarung«“ (Georg Baselitz 1966 in seinem Manifest zur Präsentation des Gemäldes. Nach: Max Hollein, Malerei als Befreiung, S. 13). Es ist das einzige Bild, das zwei Personen zeigt. „Es sollte das Schlüsselbild der Serie sein, der Höhepunkt, das Statement. Ist es auch geworden. Jeder versteht, dass ein Paar besser ist als ein Einzelner […]. Zu zweit ist man nicht mehr einsam und allein, zwei sind schon eine Gemeinschaft. Außerdem malte ich eine richtige Landschaft hinter die beiden Figuren, der Lithografie von Rousseau Der Krieg nachempfunden“ (Georg Baselitz im Gespräch mit Heinz Peter Schwerfel. A. a. O. S. 85). Und so hat er seine verletzen, blutenden und gebrochenen, aber erdverhafteten deutschen Helden aus seinem Inneren heraus ohne jedes Vorbild auf die Leinwand und das Papier gebracht. Wenn „ man sie heute sieht, besitzen sie vor allem eins, was sie unvergleichbar macht: Sie haben kein Modell. Bei mir hat sich das erst 1969 verändert, als ich erstmals Bilder nach Fotos malte, und ein Foto ist ja praktisch ein Modell. Die Distanz zur Wirklichkeit der Helden, dieser nicht zu kittende Bruch, das ist vielleicht bis heute eine der stärksten Eigenschaften meiner Arbeit. Dass ich mich dem Vergleich nie gestellt habe, dem Vergleich mit der Wirklichkeit. Mögen auch manche Helden alten Darstellungen der Druckgrafik ähneln, sie sind immer Erfindungen, vollständig künstlich […], die Figuren sind vollständig Symbol“ (Georg Baselitz im Gespräch mit Heinz Peter Schwerfel. A. a. O. S. 82).
In dem mit allergrößter Sorgfalt zur Ausstellung erarbeiteten Katalog antwortet Alexander Kluge mit 15 Geschichten zu den Stichworten „Helden“, „Neuer Typ“, „Falle“. „Fahne“ und „Ohne Titel“ auf den Sog der Bilder, die ihn „unverwechselbar in ein Gefühl der Jahre 1965 und 1966 hineinziehen“ (Alexander Kluge S. 64). Die „Der Partisan“ überschriebene Geschichte geht etwa so:„Männer aus Westfalen. Körper wie Schränke. Diese Typen Napoleons, wie durch Zauberspruch nach Spanien versetzt, waren tags unbezwingbar. Nachts aber erwies es sich als leicht, erst den schläfrigen Wachposten und dann den träumenden Schläfern die Kehle durchzuschneiden. Die spanischen Partisanen, alle streng konservativ, die das vollzogen, waren die einzige Macht auf der Halbinsel (und überhaupt in Europa), die Napoleon je fürchten lernte. Mit Präzision vergiftete das nächtliche Morden die Köpfe der Landfremden“ (Alexander Kluge S. 67). Danach begannen die Grenadiere, gefangene Partisanen oder Bauern, die sie dafür hielten, zu martern. „So wie es Goya festgehalten hat. »Ich habe es gesehen«, sagt der Maler […]. In der Armee wurden die Westfalen rasch als Folterknechte bezeichnet. Dagegen gelang es der gequälten Truppe nicht, den wertvollen SCHRECKEN (terreur), der doch der Sinn aller ihrer Taten war, im Land zu verbreiten. Die patriotische Bevölkerung nahm den Schrecken von ihnen nicht an. Das, was die Partisanen offensichtlich bewirkten, die »Propaganda der Tat«, glückte Napoleons Grenadieren überhaupt nicht“ (Alexander Kluge a. a. O.).
ham, 28. Juli 2016