Publikation zur gleichnamigen, von Ed Atkins kuratierten Ausstellung vom 10. Juni 2017 bis 10. Juni 2018
in der Julia Stoschek Collection, Düsseldorf, herausgegeben von der Julia Stoschek Collection mit Texten
von Ed Atkins, Monika Kerkmann, Julia Stoschek und Andreas Weisser und Arbeiten von Eleanor Antin, Ed
Atkins & Simon Thompson, Charles Atlas, Lutz Bacher, Bernadette Corporation, Lynda Benglis, Johanna
Billing, Dara Birnbaum, Hannah Black, Chris Burden, Matt Calderwood, Patty Chang, Ian Cheng, Jen
DeNike, Nathalie Djurberg & Hans Berg, Cheryl Donegan, Trisha Donnelly, Cao Fei, Peter Fischli & David
Weiss, Dara Friedman, Cyprien Gaillard, Douglas Gordon, Barbara Hammer, Christian Jankowski, Joan
Jonas, Jesper Just, Imi Knoebel, Mark Leckey, Klara Lidén, Gordon Matta-Clark, Paul McCarthy, Lutz
Mommartz, Bruce Nauman, Jon Rafman, Lucy Raven, Reynold Reynolds & Patrick Jolley, James Richards,
Rachel Rose, Jack Smith, Wolfgang Tillmans, Ulay & Marina Abramović, Steina Vasulka, Klaus vom Bruch,
Hannah Wilke, Jordan Wolfson und von Tobias Zielony
Julia Stoschek Collection, Düsseldorf / Kerber Verlag, Bielefeld, 2017, ISBN: 978-3-7356-0384-5, 468
Seiten, zahlreiche Abbildungen, Leinen, gebunden, Format 27,5 x 21,5 cm, € 68,00
„Generation Loss“, zu deutsch Generationsverlust, bezeichnet nach Wikipedia „die zunehmende
Qualitätsverschlechterung von (Kopier-)Generation zu Generation. Beim Anfertigen einer Kopie entstehen
Fehler. Fertigt man von einer Kopie, die schon Fehler hat, erneut eine Kopie an, so pflanzt sich der alte
Fehler auf die nächste Kopie(-generation) fort, und es können zusätzlich neue Fehler entstehen.
Diese Generationsverluste sind insbesondere im Video- und im Audiobereich ein Problem, denn sie treten
dort sowohl beim analogen Überspielen auf als auch beim digitalen, sofern dort mit nicht
fehlerkorrigierenden Datenübertragungsprotokollen und mit einer verlustfreien Datenkompression
(=Datenreduktion […]) gearbeitet wird. Hierbei wird es besonders problematisch, wenn eine durch ein
verlustbehaftetes Verfahren komprimierte Datei in ein anderes verlustbehaftetes Format umgewandelt, also
transkodiert wird (z. B. eine MP3-Datei in eine AAC-Datei).
Ähnliches gilt bei der verlustbehafteten Bildkomprimierung JPEG, wo die Qualität der Bild“ (https://
de.wikipedia.org/wiki/Generationsverlust, abgerufen am 21.9.2017). Wenn man annimmt, dass frühere
Generationen mit allem, was sie ausmacht, ursprünglicher, fehlerfreier und wichtiger sind als spätere, kann
der Bedeutungsgehalt des Wortes Generationsverlust auch auf den gesellschaftlichen Wandel übertragen
werden und Phänomene des Verlusts unter anderem auch in der Kultur und im System Kunst anzeigen.
Für die von Julia Stoschek seit 2007 aufgebaute und auf den Schwerpunkt zeitbasierte Medien und das
bewegte Bild konzentrierte private Sammlung kann der Generationsverlust im Sinne der
Qualitätsverschlechterung von Kopie zu Kopie und bei jedem Gebrauch einer Kopie zum Problem werden,
wenn man zeitbasierte Kunst wie Stoschek liebt und sie einem bei jedem Gebrauch ihre und die eigene
Endlichkeit vorführt. „Ich liebe zeitbasierte Kunst, sie ist, wie ich einmal gesagt habe, mein Archiv von
Zeitlichkeit, es ist die Zeit meines Lebens, des Lebens auch meiner Generation. Ich stehe vor einem Gemälde
von Lucas Cranach oder Ernst Ludwig Kirchner und staune und liebe. Ich spüre Freude, Schönheit und
Einsamkeit. Aber nur in der zeitbasierten Kunst, im bewegten Bild, seinem Tempo, seinem Loop, seiner
Ausweglosigkeit spüre ich diese Kraft, diese Unmittelbarkeit, auch diese Unerbittlichkeit. Dies ist: meine
Kunst“ (Julis Stoschek S.19).
Deshalb ergibt es Sinn, dass Andreas Weisser im Katalog über die in der Stoschek Collection entwickelte
Strategien von Langzeitarchivierung berichtet, die „einerseits dem originalen Träger ein optimiertes Umfeld
garantiert und gleichzeitig den Inhalt dauerhaft bewahrt. Die Strategie wurde in den letzten zehn Jahren –
bedingt durch den technischen Fortschritt – immer wieder aktualisiert und angepasst. Erstmals geschah dies
beim Wechsel von Standard Definition (SD) zu High Definition (HD). Später wurde auch das allmähliche
Verschwinden von proprietären Videoträgern berücksichtigt und die Strategie um File-basierte Kunstwerke
in Echtzeitsimulationen erweitert“ (Andreas Weisser S. 51). Und es überrascht, dass sich Ed Atkins dem
Stichwort Generationsverlust über das Stichwort Verlustlosigkeit annähert.
„Wie bei so vielen in dieser Ausstellung auftretenden Verbindungen ist auch die Beziehung zwischen dem
Wörtlichen und dem Bildlichen in ihrem Titel […] belastet; es herrscht Uneinigkeit – wenn nicht politischer
Widerstreit – zwischen den einen und den anderen. Diese paradoxe Inhärenz wiederholt sich in jeder Phase
und steht aus meiner Sicht im Zentrum des Versuchs der Ausstellung, dokumentarisch zu sein und den
Paradoxien ihrer scheinbaren Bedingtheiten zu begegnen und Raum zu geben. Damit soll deutlich gemacht
werden, wie sie als Ausstellung bestimmte unangebrachte Formen von Ironie und Vorstellung durchbrechen
und auflösen könnte, um ihrerseits eine solide Anwendung des Wörtlichen und Bildlichen zu behaupten. Mit
Sicherheit will GENERATION LOSS die Bindung des künstlerischen Bewegtbildes an den technologischen
Wandel, der ihre Grenzen beschreibt, sichtbar machen“ (Ed Atkins S. 29). Zum anderen thematisiert die
Ausstellung, was den Werken und der Sammlung selbst inhärent ist, also das paradoxe Vergehen im
lebendigen Gebrauch und damit auch das Miteinander von Generationsverlust und Verlustlosigkeit.
Schließlich deutet sie in ihrer Präsentation implizit an, dass eine unbesehene Erweiterung des mit
technischen Abläufen verbundenen Begriffs Generation Loss auf den Generationswechsel problematisch ist.
In der Ausstellung wird keine Arbeit isoliert gezeigt (vergleiche dazu im WWW die Bilder zu „generation
loss Julia stoschek“ unter www https://www.google.de/search?
q=generation+loss+julia+stoschek&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ved=0ahUKEwib2raiprbWAhX
JOxQKHa6zBhoQsAQIXA&biw=1913&bih=939, abgerufen am 21.9. 2107). „Das gegenwärtig
vorherrschende Installationssystem für Videokunstarbeiten in Ausstellungen folgt dem Muster, jede Arbeit in
ihrem eigenen abgedunkelten und schallgeschützten Raum zu präsentieren […]. So entsteht ein Schutzgebiet,
das im schlimmsten Fall eine Art Blindheit produziert – eine Blindheit, die droht, die komplizierten, auf das
Werk gerichteten Deutungsmethoden zu unterlaufen und die Technologie einmal mehr im Dunkel der
Spekulation verschwinden zu lassen. Als besitze das Werk zwar einen historischen und theoretischen
Kontext, der praktisch jedoch ausgesetzt wird. In GENERATION LOSS“ beschränken die „in den Räumen
aufgestellten Glaswände […] Tonüberschneidungen auf ein Minimum, sorgen aber dafür, dass die meisten
Arbeiten auf jeder Etage simultan zu sehen sind […]. Die Hoffnung […] ist, dass die den Arbeiten
innewohnende strukturelle Geselligkeit überwiegen wird, während die Willenskraft jeder einzelnen Arbeit
auch in der Beziehung maßgeblich erhalten bleibt“ (Ed Atkins S. 35 f.).
Bei der Präsentation der Einzelwerke im Bildteil des Katalogs verzichtet Atkins auf detaillierte
Werkbeschreibungen und beschränkt sich statt dessen auf ausgewählte Zitate aus Publikationen und
historischen Dokumenten und kurze Werknotizen. Im Schlussteil wird der komplette Sammlungsbestand
erfasst und aufgelistet.
ham, 21. September 2017