JOHN CAGE, MERCE CUNNINGHAM, JASPER JOHNS, ROBERT RAUSCHENBERG, CY TWOMBLY
Publikation zu den gleichnamigen Ausstellungen vom 10. April 2025 bis 17. August 2025 im Museum Brandhorst, München und vom 3. Oktober 2025 bis 11. Januar 2026 im Museum Ludwig, Köln, herausgegeben von Yilmaz Dziewior, Achim Hochdörfer mit Arthur Fink.
Mit Beiträgen von Ilka Becker, Daniel M. Callahan, Yilmaz Dziewior, Trajal Harrell, Achim Hochdörfer, Helen Hsu, Anna Huber, Alex Kitnick, Laura Kuhn, Nick Mauss, Carrie Jaurès Noland, Kerstin Renerig, Kenneth E. Silver, Deborah Solomon, Leonore Spemann
Schirmer/Mosel Verlag, München, 2025, ISBN 978-3-8296-1042-1, 342 Seiten, 415 Abbildungen, Hardcover, gebunden, Format 29,5 x 23,5 cm, € 58,00 (D), € 59,70 (A), CHF 66,70
Die in dem repräsentativen Katalog ›Fünf Freunde‹ dokumentierten und erläuterten gleichnamigen Ausstellungen im Museum Brandhorst und Museum Ludwig zeichnen die sich überkreuzenden Lebens-, Liebes- und Arbeitswege und die Zusammenarbeit der Künstler Jasper Johns (geboren 1930), Robert Rauschenberg (1925-2008) und Cy Twombly (1928-2011), des Musikers John Cage (1912-1992 und des Tänzers Merce Cunningham (1919-2009) anhand von mehr als 180 Kunstwerken sowie Partituren, Filmaufnahmen, Bühnenrequisiten, Kostümen und Archivalien nach. Im Zentrum ihrer Arbeit stand die Suche nach neuen Ausdrucksformen für Stille und Zufall, Technik und Fortschritt, künstlerische Tradition und Neuerung und politische Ereignisse.
„Während Cage und Cunningham seit den frühen 1940er Jahren eine berufliche und romantische Beziehung führten, lernten sich Rauschenberg und Twombly Anfang 1951 in New York kennen und lieben. Ab dem Sommer besuchten sie gemeinsam das legendäre Black Mountain College in North Carolina, wo sie im Folgejahr auf Cunningham und Cage trafen. Rasch entwickelte sich eine enge Verbindung zwischen den Vieren. Dem Alltag entnommene Bilder, Geräusche und Bewegungen, die mittels Zufallsoperationen verschränkt wurden, ergaben ein allen gemeinsames konzeptuelles Grundgerüst für ihre doch ganz verschiedenen Arbeiten.
Nach einer gemeinsamen Reise durch Europa und Nordafrika 1952/1953 arbeitete Twombly zeitweilig mit Rauschenberg in dessen Atelier in der New Yorker Fulton Street. Hier entwickelten sie ihre jeweilige Formensprache: Rauschenberg in seinen Red Paintings und Combines und Twombly in seinen anspielungsreichen, graffitiähnlichen ›Kritzeleien‹ auf zumeist schmutzig weißen Bildgrund. Kurz darauf, 1954, stieß Johns zu dem Freundeskreis hinzu. Wenig später ein Paar, arbeiteten Rauschenberg und Johns bis 1961 Seite an Seite und etablierten, was später, als ›painting as object‹ kanonisiert wurde und wichtige Impulse für die Entwicklung der Pop Art und Minimal Art liefern sollte (Yilmaz Dziewior, Achim Hochdörfer, S. 9).
Wenn man Dziewior und Hochdörfer folgt, fand der kollaborative Geist der Künstler in den Tanz- performances der 1953 am Black Mountain College gegründeten Merce Cunningham Dance Company (MCDC) seinen deutlichsten Ausdruck. „Cage war bis zu seinem Tod 1992 musikalischer Direktor und zu Beginn auch Tourmanager der MCDC. Von 1954 bis1964 agierte Rauschenberg als künstlerischer Berater der Kompanie und entwarf Beleuchtung, Kostüme und Bühnenbilder. Johns unterstützte ihn dabei bis zu ihrer Trennung 1961 und übernahm die Rolle des künstlerischen Leiters, nachdem sich Rauschenberg auf der Welttournee 1964 mit Cunningham überworfen hatte. Auch Johns gestaltete Bühnenbilder, etwa 1968 inspiriert von Marcel Duchamp für die Choreografie Walkaround Time, oder 1970 die Kostüme für Second Hand“ (Yilmaz Dziewior, Achim Hochdörfer, S. 10).
Achim Hochdörfer beschreibt den Geist des Black Mountain Colleges so: „Hier trafen die verschiedenen Strömungen der jungen amerikanischen Avantgarde aufeinander. Inspiriert von den medienübergreifenden Ideen in der Tradition des Bauhauses wurden nicht nur Kurse in Malerei, Skulptur und Zeichnung, sondern auch in Musik, Tanz, Fotografie, Theater, Keramik, Weberei, Materialkunde, Architektur und Literatur abgehalten. Twombly nahm an der Summer Session 1951 teil, Rauschenberg kam einige Wochen später, nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes mit Weil, hinzu; Rauschenberg und Twombly kehrten für das akademische Jahr 1951–1952 zurück; Rauschenberg schrieb sich für die Summer Session 1952 ein, bei der Cage und Cunningham Gastdozenten waren und Twombly regelmäßig zu Besuch kam. Twombly erinnerte sich, dass viele der Studierenden hauptsächlich wegen ›Cage oder all der Maler, die dorthin kamen‹ das Black Mountain College besuchten. Im Sommer 1952 fand dort eine Serie von höchst einflussreichen Aufführungen von Cages neuesten Kompositionen statt: Die Sonatas and Interludes (1958) wurden gespielt, Music of Changes (1951), seine erste programmatische Zufallskomposition, und Water Music (1952), bei der Cage Klangmöglichkeiten erweiterte, indem er Alltagsgegenstände wie eine Entenpfeife, einen Eimer Wasser und ein Radio integrierte. Kurz darauf kam es zu der einmaligen Aufführung des Theater Piece No. 1, an dem neben Cage, Cunningham und Rauschenberg und anderen auch der Pianist David Tutor sowie die Dichter✷innen M. C. Richards und Charles Olsen mitwirkten und das heute als erstes Happening und Beginn der Performance als Kunstgattung gilt. Twombly saß im Publikum und erinnerte sich noch Jahrzehnte später an Details der Aufführung. In diesem Sommer fand auch die Premiere von Cages 4’ 33’’ in Woodstock, New York, statt. Rauschenberg und Twombly waren nicht anwesend, lebhaft kann man sich jedoch die hitzigen Gespräche darüber am Black Mountain College vorstellen“ (Achim Hochdörfer, Seite 34 f.).
Yilmaz Dziewior setzt sich in seinem Essay mit den in der überkommenen Kunstgeschichte zumeist verschwiegenen oder allenfalls angedeuteten homosexuellen Bezügen in den Arbeiten der fünf Freunde sowie ihren intimen Beziehungen untereinander auseinander, Daniel M. Callahan zeichnet die frühen Gemeinschaftsprojekte von John Cage und Merce Cunningham nach, Laura Kuhn stellt ausgewählte Liebesbriefe von Cage an Cunningham vor und Kenneth E. Silver geht dem zunehmend offeneren Sprechen überschwules Kunstschaffen, schwule Kunst und schwule Künstler nach. Carrie Jaurès Noland erzählt die Kollabiografie von Merce Cunningham und Robert Rauschenberg. Eine Kollabiografie „erzählt vom Leben eines Künstlers oder einer Künstlerin und rückt dabei die für Leben und Werk prägende Beziehung zu einem anderen Kunstschaffenden in den Mittelpunkt. Eine Kollabiografie hebt die produktive Kraft einer Begegnung hervor und erzählt eine umfassendere Geschichte als die einer bloßen beruflichen Zusammenarbeit. Diese Form von Biografie zeigt, wie die Zusammenarbeit das Leben der Beteiligten prägt und umgekehrt“ (Carrie Jaurès Noland, S. 19). Nick Mauss führt in die Kunst des Kostüms und der alltäglichen Erscheinung ein. Helen Hsu folgt Robert Rauschenberg nach Captiva, Florida, in das dieser sich 1970 zurückzog, und Ilka Becker geht mit John Cage und Cy Twombly auf Pilzsuche.
Schließlich kommen Ilmaz Dziewior und Trajal Harrell auch noch einmal auf den wechselseitigen Einfluss von beruflichem und privatem Leben zu sprechen:
„Y.D. Wenn ich mich recht erinnere, sagtest du, die Phase, in der sich die Künstler unserer Ausstellung erstmals begegneten und romantische Beziehungen eingingen, sei von toxischer Maskulinität geprägt gewesen. Wie hat das deiner Meinung nach ihr privates und berufliches Leben beeinflusst?
T.H. Ich glaube nicht, dass ich den Begriff toxische Männlichkeit verwendet habe, vielleicht Hypermaskulinität. Wir müssen uns daran erinnern, dass wir uns in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg befinden, wo das Bild des amerikanischen Mannes und die Idee von Männlichkeit die kulturelle Psyche stark geprägt haben. Es gab noch keine Schwulenbewegung, keine queere Identität. Viele kreative Schwule hatten daher, glaube ich, stille Identitäten. Natürlich gab es Leute, die Bescheid wussten, und andere, mit denen man nicht über sein Privatleben sprach und die bestenfalls heteronormativ dachten. Dieses Klima förderte, glaube ich, oft sehr enge Beziehungen und Gemeinschaften, weil die Eingeweihten etwas Wahres und Reales teilten. Sie verstanden natürlich auch, was auf dem Spiel stand, wenn sie ihre sexuellen Identitäten weiterhin verbergen würden.“ (Yilmaz Dziwior, Trajan Harrell, Ein Gespräch, S. 280).
ham, 16. Juni 2025