Grundlegende theologische Aspekte, praktische Erfahrungen und offene Fragen.
Kirchliches Jahrbuch für die Evangelische Kirche in Deutschland 2004/2005 begründet von Johannes Schneider, hrsg. von Hermann Barth, Wolf-Dieter Hauschild (†), Friedrich Hauschildt, Claudia Lepp, Harry Oelke und Harald Schultze. 131./132. Jahrgang Lieferung 2
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 2011, ISBN 978-3-579-01636-8, 202 S., kartoniert, Format 23 x 15 cm, € 22,90 (D) /€ 23,70 (A) / SFR 35,90
In Zeiten der Globalisierung verlieren religiöse Räume ihre noch in den 1950er-Jahren wahrgenommene Homogenität. In Großstädten wie dem in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg noch vorwiegend protestantischen Stuttgart wird es wahrscheinlich, im Alltag auf Angehörige unterschiedlichster Religionen zu treffen. In der Folge werden die religiösen Räume fluide und hybrid. Damit wird die seit der Aufklärung und Lessings Ringparabel verstärkt diskutierte Frage nach den Wahrheits- und Geltungsansprüchen der Religionen und den Möglichkeiten eines Dialogs praktisch und theoretisch dringlich. Der ungemein dichte und überaus lesenswerte Band diskutiert theologische Grundfragen, die sich bei der Begegnung der Religionen stellen, berichtet von der Entwicklung von Formen und Foren des interreligiösen Dialogs in Großbritannien und den Niederlanden, zeichnet die Hauptinhalte und die Wirkung der beiden zentralen Texte der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Thema „Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen. Theologische Leitlinien“ von 2003 und „Klarheiten und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland“ von 2006 nach und diskutiert Möglichkeiten multireligiösen Feierns aus evangelischer Sicht. Im folgenden sollen ausgewählte Aspekte aus Jan Rohls‘ Aufarbeitung der „Wahrnehmung, Deutung und Wertung der Weltreligionen durch die reformatorische Theologie in Deutschland seit der Aufklärung“ (Friedrich Hauschildt) und aus dem Überblick referiert werden, den Christian Danz „Über die religionsphilosophisch-dogmatische Dimension eines Dialogs der Religionen“ und die Möglichkeit, Probleme und Grenzen einer protestantischen Theologie der Religionen gibt (Friedrich Hauschildt).
Nach Jan Rohls waren im deutschen Protestantismus bis ins Zeitalter der Aufklärung neben dem Christentum nur das Judentum und der Islam bekannt. Für Martin Luther war der Islam durch die Türken repräsentiert. Er zählte für ihn wie die Juden und der Papst zu den Gesetzesreligionen. Erst in der Aufklärung verändert sich im deutschen Protestantismus die Einstellung zu Judentum und Islam. „Dabei spielte eine entscheidende Rolle der Gedanke, dass Gott bei der Schöpfung allen Menschen mit der Vernunft auch die einfachen Wahrheiten der Religionen und des Gottesdienstes mitgeteilt habe. Bereits in seiner 1710 veröffentlichten >>Theodizee<< grenzt Leibniz Judentum, Christentum und Islam positiv vom heidnischen Polytheismus ab“ (Jan Rohls). Die englischen Deisten propagierten eine ursprünglich natürliche Vernunftreligion und Hermann Samuel Reimarus identifiziert das aufgeklärte Judentum mit der Religion Jesu. Darüber hinaus meinte Reimarus zeigen zu können, dass fast alles Wesentliche in Mohameds Lehre auf vernünftige Sätze hinauslaufe. Wenn aber Judentum, Christentum und Islam auf einer Vernunftreligion aufruhen, muss auch eine Verständigung zwischen den Religionen möglich sein. „Genau das ist die Position, die Lessing in seinem Schauspiel >>Nathan der Weise<< vertritt, das 1779 im Druck erschien“ (Jan Rohls) und das die Humanität als den wahren Kern der drei Religionen Judentum, Christentum und Islam herausstellt. „Der wertvolle Ring mit der Kraft, seinen Träger vor Gott und den Menschen angenehm zu machen, symbolisiert die allein wahre Religion, an deren Stelle dann die drei Offenbarungsreligionen treten, die durch die drei Imitate des verlorengegangenen ursprünglichen Rings repräsentiert werden… Da alle drei Religionen sich gleichermaßen auf Schrift und Überlieferung, das heißt aber auf Geschichte gründen, Geschichte aber nur auf Treu und Glauben angenommen wird, lässt sich die Frage, welche von den dreien denn die wahre Religion ist, auf dem Boden der Geschichte nicht beantworten. Denn jeder schenkt nun einmal der Religion, in der er aufgewachsen ist, den meisten Glauben. Die Lösung des Religionsstreits … durch den weisen Richter orientiert sich hingegen an der ethischen Wirkung, die mit dem ursprünglichen Ring verbunden war, der Kraft, vor Gott und Menschen angenehm zu machen… Das Gemeinsame der drei Religionen, das zu verwirklichen sie aufgefordert sind, ist die praktische Humanität. Daneben werden alle Unterscheidungslehren nebensächlich“ (Jan Rohls). In seiner 1777 verfassten Schrift >>Die Erziehung des Menschengeschlechts<< bedient sich Lessing allerdings eines anderen Modells: Nach dieser Schrift ist die Menschheit vom Urmonotheismus in einen Polytheismus abgefallen und Gott bedient sich einer ersten Offenbarung an das Judentum und einer zweiten Offenbarung an das Christentum, um die Menschen zu erziehen. „Allerdings ist das Ziel der Erziehung des Menschengeschlechts auch mit dem Christentum noch nicht erreicht. Vielmehr nimmt Lessing eine Zukunft an, in der der Mensch … das Gute um seiner selbst willen tut. Es handelt sich um >>die Zeit eines neuen ewigen Evangeliums<<, um ein Zeitalter der Vernunft…“ (Jan Rohls). Friedrich Daniel Schleiermacher erklärt die Vernunftreligion der Aufklärung zu einem „Konstrukt ohne geschichtliche Realität… Die Religion ist für Schleiermacher ohnehin keine Sache der Vernunft, vielmehr ist ihr Wesen Anschauung und Gefühl des Universums. Zudem sind es die positiven Religionen, in denen sich die Religion selbst manifestiert. Die Religion existiert also nur in der Pluralität verschiedener Anschauungen des Universums und der damit verbundenen Gefühle. Denn die positiven Religionen entstehen dadurch, dass eine bestimmte Anschauung des Universums zur Zentralanschauung erklärt und alles auf sie bezogen wird. Dass dies geschieht, geht zurück auf die jeweiligen Religionsstifter. Das Wesen der natürlichen Vernunftreligion erblickt Schleiermacher demgegenüber in der Negation alles Positiven… (Er) plädiert somit im Gegensatz zur Aufklärung für eine Konzentration auf die positiven Religionen“ (Jan Rohls). In seiner 1821 erschienenen Dogmatik geht er von einer Entwicklung der Religionen aus und plädiert für eine Überlegenheit der monotheistischen über die polytheistischen Religionen. „Denn er erblickt das Wesen der Religion oder Frömmigkeit darin, dass wir uns unserer selbst als schlechthin abhängig fühlen. Wenn dieses religiöse Selbstbewusstsein vom sinnlichen hinreichend geschieden ist, dann wird alles, was uns sinnlich affizieren kann, also die ganze Welt, als schlechthin abhängig gewusst. Erst dann wird Gott als das im religiösen Selbstbewusstsein Mitgesetzte nicht mehr sinnlich und damit tendenziell als plural aufgefasst, sondern als das eine höchste Wesen“ (Jan Rohls). Er teilt damit die Auffassung der Aufklärung, dass das Judentum, das Christentum und der Islam der höchsten Entwicklungsstufe zuzuordnen sind. Aber zugleich geht er von der bei jedem Christen vorausgesetzten Überzeugung aus, dass das Christentum die höchste Religion sei. In der Weimarer Klassik wächst die Hochschätzung des griechisch-römischen Polytheismus. In der Romantik rücken die östlichen Religionen verstärkt in den Blick, so unter anderem der Parsismus, der Hinduismus und der Buddhismus. Georg Friedrich Wilhelm Hegel verhandelt die Religionen in seinen religionsphilosophischen Vorlesungen auf dem Hintergrund ihrer historischen und geografischen Pluralität und überwindet damit „das noch Schleiermachers Behandlung der Religionen nach dem Muster von Lessings >>Nathan<< kennzeichnende Schema“ des alleinigen Vergleichs von Judentum, Christentum und Islam (Jan Rohls). Die geschichtliche Abfolge erscheint zugleich als ein „Fortschritt in der Realisierung des Begriffs der Religion als des Selbstbewusstseins des absoluten Geistes“ (Jan Rohls). Mit dem ab den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts aufkommenden Religionswissenschaften rückt der Buddhismus in die Nähe zum Christentum und wird in Otto Pfleiders religionsgeschichtlich orientierten Religionsphilosophie von 1878 als Erlösungsreligion verstanden. Pfleiderer greift auch den Gedanken einer möglichen Konvergenz der Religionen auf. „Diese Menschheitsreligion der Zukunft sei aber nur zu erreichen durch eine Synthese der indischen und der jüdisch-christlichen Religionsentwicklung, die die Vorzüge beider Religionstypen in sich vereinigt“ (Jan Rohls). Mit der von Pfleiderer postulierten Nähe zwischen Buddhismus und Christentum kommen dann auch Zweifel an der Vorstellung von der Absolutheit des Christentums auf. Das Gespräch mit den nichtchristlichen Religionen nimmt an Fahrt auf und hat in dem 1893 in Chicago abgehaltenen Weltparlament der Religionen einen symbolischen Höhepunkt. Der von liberalen Protestanten ins Leben gerufene ‚Weltbund für freies Christentum und religiösen Fortschritt‘ tritt schließlich kurz vor dem Ersten Weltkrieg 1910 für den interreligiösen Dialog ein. Ernst Troeltsch relativiert 1924 die Vorstellung von der Absolutheit des Christentums insofern, als er die Abhängigkeit der Religionen von den geistigen, sozialen und nationalen Grundlagen, auf denen sie aufruht, hervorhebt. „Die Idee der Höchstgeltung trat hinter dem Gang des Schicksals zurück, zu dem auch die enge Verbindung von Christentum und Europäertum gehört… Nicht eine der historischen Weltreligionen lässt sich mehr als die absolute ansprechen, sondern alle streben in eine unbekannte letzte Höhe, wo das Absolute liegt, aus dem die verschiedenen Religionen hervorgehen“ (Jan Rohls). Für Karl Barth und die Dialektische Theologie sind diese Überlegungen der liberalen Theologie und Troeltschs Häresie, weil sie die Religion nicht von der Offenbarung Gottes und Jesus Christus, sondern die Offenbarung von der Religion her verstehen. Religion erscheint als Unglaube, weil sich der Mensch in dem in der Religion von Gott entworfenen Bild selbst zu rechtfertigen versucht. In Karl Barths Kirchlicher Dogmatik fehlt deshalb eine Auseinandersetzung mit den Religionen. Paul Tillich knüpft dagegen 1962 in seinem Beitrag „Das Christentum und die Begegnung der Weltreligionen“ ausdrücklich an seinen Lehrer Troeltsch an und setzt sich von Barth ab. Er beruft sich dabei unter anderem auf die altkirchliche Logoslehre und den in ihr implizierten Universalismus, den toleranten Humanismus eines Nikolaus von Kues und die Entwicklungslinie „dieses christlichen Universalismus… die von da über Erasmus und die Aufklärung zu Kant, Hegel, Schleiermacher und Troeltsch führt“ (Jan Rohls). Als Ziel jeden interreligiösen Dialogs schwebt Tillich „weder eine Verschmelzung der Religionen noch die Herrschaft einer bestimmten Religion noch das Ende der religiösen Ära vor Augen. Vielmehr gilt: „In der Tiefe der eigenen Religion gibt es einen Punkt, an dem die Religion als solche ihre Wichtigkeit verliert und das, worauf sie hinweist, durch ihre Partikularität hindurchbricht, geistige Freiheit schafft und mit ihr eine Vision des Göttlichen, das in allen Formen des Lebens und der Kultur gegenwärtig ist“ (Paul Tillich). Wolfhart Pannenberg greift diesen Gedanken auf und fordert 1973 eine Theologie der Religionen als Fundamentaldisziplin der Theologie. Er weiß, dass jeder Dialog der Religionen mit Konflikten behaftet ist. Er fordert ihn trotzdem, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass man in den beteiligten Religionen Aspekte der universalen Wahrheit erkennt. John Hicks pluralistische Religionstheorie, „wonach die Pluralität der Religionen Ausdruck der Vielfalt von Wegen zu dem einen Gott ist mit der Maßgabe, dass diese Wege untereinander gleichberechtigt sind…“ (Wolfhart Pannenberg) lehnt er dagegen ab und bleibt bei dem Wahrheitsanspruch des Christentums. John Hicks knüpft letztlich an die Religionstheorie des späten Troeltschs an, „die den Absolutheitsanspruch des Christentums aufgegeben hat. Beide Positionen, die jenseits eines starren Exklusivitätsanspruchs des Christentums angesiedelt sind, sind bereits dort angelegt, wo in Deutschland der Dialog der Religionen im 18. Jahrhundert seinen Ausgang nahm. Denn wenn Lessing im >>Nathan<< keine der drei monotheistischen Religionen für die absolute Religion erklärt, so bereitet er damit einer pluralistischen Religionstheorie die Bahn. Wenn er hingegen in der >>Erziehung des Menschengeschlechtes<< die Religionsgeschichte als gestuften Erziehungsprozess interpretiert, dann geht er von einem Entwicklungsmodell aus, in dem von den positiven Religionen das Christentum die höchste Stufe der Entwicklung darstellt. Und es ist fraglich, ob es eine plausible Position jenseits dieser beiden Alternativen gibt“ (Jan Rohls). Der Wiener systematische Theologe Christian Danz setzt in seinem Beitrag über die Frage nach den dogmatischen Dimensionen des Dialogs und der Möglichkeit einer protestantischen Theologie der Religionen genau an diesem Punkt ein. Die ab den 1970er-Jahren an Troeltsch anknüpfenden pluralistischen Religionstheologien übersehen für ihn, „dass eine Theologie der Religionen von ihrer eigenen religiösen Herkunft gar nicht absehen kann. Zum Religionsthema gibt es keinen neutralen Zugang. Dies gilt nicht nur für eine Theologie der Religionen, sondern auch noch für religionswissenschaftliche Betrachtungen der Welt der Religionen… Freilich geht es einer Religionstheologie im Unterschied zur Religionswissenschaft weder um eine Deskription der religiösen Vielfalt noch um einen Religionsvergleich, sondern um die Selbstbeschreibung des christlich-religiösen Bewusstseins in einer multikulturellen und multireligiösen Welt. Das protestantische Christentum muss sich mit dem religiösen und kulturellen Pluralismus auseinandersetzen und zwar so, dass es dabei seine eigene religiöse Eigenart, nämlich die kontingente Selbsterfassung des Individuums im Gottesverhältnis, nicht verliert“ (Christian Danz). Im ersten Absatz seines Beitrags diskutiert Danz die Vorzüge und Grenzen der so genannten pluralistischen Regionstheologie, des aufgeklärten Inklusivismus und der komparativen Theologien. Alle drei Richtungen wollen den konstruierten Überlegenheitsanspruch des Christentums hinter sich lassen und zu einem wertschätzenden Umgang mit anderen Religionen finden. „Die unterschiedlichen Konzeptionen von Religionstheologien möchten dadurch die Grundlage für einen Dialog der Religionen schaffen, der freilich nur dann sinnvoll ist, wenn die nichtchristlichen Gesprächspartner auf gleicher Augenhöhe mit der eigenen Religion zu stehen kommen“ (Christian Danz). Die vor allem mit John Hick und der Wahrheitsfrage verbundene pluralistische Religionstheologie geht nach Danz von einer Unterscheidung mit kategorialem Status aus. „Die Gleichgültigkeit verschiedener Religionen lasse sich nämlich Hick zufolge dadurch begründen, dass sie als Antworten auf die Erfahrung eines transzendenten Realen an sich verstanden werden… Hick unterscheidet also zwischen einem, wie er es nennt, Realen an sich und einem Realen, wie es von verschiedenen menschlichen Gemeinschaften erfahren wird. Religionen sind dieser Unterscheidung zufolge als menschliche Antworten auf die Manifestation des Realen zu verstehen und da diese Antworten durch unterschiedliche soziokulturelle Kontexte geprägt sind, unterscheiden sich die Religionen voneinander“ (Christian Danz). Da aber keine der Religionen einen direkten Zugang zur Transzendenz hat, hat auch keine einer anderen etwas voraus und es gibt eine Vielzahl von gleichgültigen wahren Religionen. Im deutschsprachigen Raum hat vor allem Perry Schmidt-Leukel diese Konzeption aufgenommen, „dem religionstheologischen Dreierschema eine formallogische Begründung gegeben“ und „darauf aufbauend die Wahrheitsfrage in das Zentrum seiner Religionstheologie gestellt… Dem pluralistischen Modell geht es ausdrücklich um eine theologische Begründung der Wahrheit von mehr als einer Religion“ (Christian Danz). Danz fragt nun einmal, ob diese Theorie die geschichtliche Eigenständigkeit der Religionen wirklich ernst nehmen kann, wenn sie nur als variable Hüllen eines invariablen Kerns verstanden werden. Der pluralistischen These von Hicks liege ein substanzialistischer Religionsbegriff zugrunde und die soziokulturelle Einkleidung dieser Grundstruktur erscheine dem gegenüber als sekundär. Zum anderen werde in dieser Religionstheologie die Unbedingtheitsdimension religiösen Bewusstseins mit dem Religionsvergleich verknüpft und „die aus dem Religionsvergleich gewonnene Überzeugung der Gleichgültigkeit mehrerer Religionen der Unbedingtheitsdimension des religiösen Bewusstseins zumindest übergeordnet“ (Christian Danz). In der Literatur wird von der Standpunktvergessenheit oder Metaperspektivität des pluralistischen Modell gesprochen. Der aufgeklärte oder reziproke Inklusivismus will deshalb ausdrücklich auf konstruierte und uns nicht zugängliche Metaperspektiven verzichten und von bestimmten religiösen Traditionen ausgehen. So wurde unter anderem das vom Katholizismus ausgehende Modell des Interiorismus entwickelt und im Protestantismus die Modelle des reflektierten Positionalismus und die von Michael von Brück und Reinhold Bernhard vorgeschlagenen Modelle des reziproken oder mutualen Inklusivismus „>>Der mutuale Inklusivismus<<, so Bernhard, >>nimmt keine religionsphilosophische, von der theologischen Tradition unabhängige Erkenntnisprozesse für sich in Anspruch. Er bleibt standortgebunden“ und rechnet „mit einer Vielzahl von unterschiedlichen religiösen Standpunkten, die jeweils aus ihrer eigenen Perspektive des Verhältnis zu anderen Religionen beschreiben“ (Christian Danz). Danz fragt, ob diese neuen Formen des Inklusivismus tatsächlich in der Lage sind, das alte Überlegenheitsparadigma zu überwinden, wenn sie „nichtchristliche Religionen von vornherein so in die eigene Binnensicht“ integrieren, „dass von deren Eigenständigkeit nicht mehr die Rede sein kann“ (Christian Danz). Damit hängt die bleibende „Spannung zwischen dem eigenen religiösen Standpunkt und der positiven Würdigung der anderen Religionen“ zusammen, „die sich innerhalb der Religionstheologie als Ambivalenz von Anerkennung und Bestreitung der Eigenständigkeit der nichtchristlichen Religionen artikuliert“ (Christian Danz).
Die komparativen Theologien wollen sich in der Folge von jeder Form der Globaltheorien verabschieden und wie etwa Klaus von Stosch auf ein „Hin- und Hergehen zwischen konkreten religiösen Traditionen“ beschränken, „um Verbindendes und Trennendes zwischen den Religionen neu zu entdecken“. Deshalb betonen die komparativen Theologien eher die Unterschiede als die Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen. Dazu wollen sie die andere Religion wie eine zweite Sprache erlernen. Danz bezweifelt, dass die komparativen Ansätze tatsächlich auf Allgemeinbegriffe verzichten und die Ambivalenz zwischen religionswissenschaftlicher Beschreibung und „christlich-theologisch“ imprägnierter „Wahrnehmung religiöser Andersheit“ überwinden können (Christian Danz).
Im Ergebnis haben es die bisherigen Religionstheologien nach Danz nicht vermocht, die alten Vorurteile gegenüber den nichtchristlichen Religionen abzubauen und zugleich bei der eigenen Religion zu bleiben. In der Konsequenz schlägt Danz ein methodisch ausdifferenziertes Verständnis von Religionstheologie vor, das zwischen einer kulturhermeneutischen Religionstheorie und einer theologischen Normativitätsreflexion unterscheidet und sich als in sich gestufte Aufgabe versteht. Im Unterschied zur pluralistischen Religionstheorie , der es um die Wahrheit der Religionen geht, soll die von Danz propagierte Religionstheologie die multireligiöse Lage der Gegenwart in den Blick nehmen. Religion soll „als eine geschichtliche Form menschlicher Sinndeutung im Horizont des Unbedingten“ verstanden werden, die Faktizität und Kontingenz menschlichen Daseins in der Welt thematisieren und so zur Aufklärung und Orientierung menschlichen Lebens beitragen. Im Vorgang des Deutens wird das Deuten selber thematisch: Differenzerfahrung wie Krankheit und Leiden, Fremdheit, sittliche Widersprüche und anderes mehr, das uns an der Verstehbarkeit der Welt verzweifeln lässt, müssen so bearbeitet werden, „dass das Irritierende und Außergewöhnliche mit der alltäglichen Erfahrung in Einklang gebracht wird. Das leistet Religion und zwar dadurch, dass sie das Außergewöhnliche, Irritierende und Sinnwidrige benennar und bestimmbar macht…, in einen umfassenderen Sinnhorizont einordnet, einer Umwertung unterzieht und sie dadurch als einem notwendigen Bestandteil des eigenen Lebens aneignenbar macht. Auf diese Weise trägt Religion zur Sinnvergewisserung angesichts unausrottbarer Sinnwidrigkeiten und Sinnirritationen bei… Der Ort der Vermittlung von Ethos und Weltauffassung ist das Ritual bzw. der religiöse Vollzug… Religion entsteht erst aus dem Vollzug des Rituals. Die Glaubensinhalte entstehen erst in der religiösen Aneignung und sind Ausdruck dieses religiösen Aneignungsvollzugs“ (Christian Danz). Da sich der Glaubende nach protestantischem Selbstverständnis als fehlbares endliches Subjekt im Vollzug seines Glaubens als unendlich angenommen erlebt,
„ist die innere Absolutheitsdimension… (des religiösen)… Bewusstseins zugleich relativ. Denn ein Bewusstsein seiner eigenen inneren Absolutheitsdimension kann das endliche Subjekt für sich nur durch bestimmte Formen gewinnen. Damit hat das religiöse Bewusstsein eine paradoxe Struktur. Als Unbedingtes ist es zugleich bedingt und als Relatives ist es absolut… Wenn im Mittelpunkt des protestantischen Religionsverständnisses seit seinen reformatorischen Anfängen das individuelle Gottesverhältnis steht…, dann liegt darin die Anerkennung von anderen individuellen Gottesverhältnissen beschlossen… Keiner kann stellvertretend für den anderen glauben. Damit ist … aus der Warte des protestantischen Glaubensverständnisses der religiöse Pluralismus als notwendige Konsequenz anerkannt. So wie ich meinen Glauben und die mit diesem verbundene Gewissheit nur individuell vollziehen kann, so können es andere auch nur individuell und damit notwendig anders… Die Freiheit des anderen manifestiert sich aber nirgends anders als in seiner selbständigen Selbstauslegung und Selbstdeutung. Die eigene religiöse Überzeugung des anderen ist daher als Ausdruck seiner Freiheit zu begreifen und anzuerkennen… Wird Alterität und Differenz verweigert, so sind diese religiösen Formen der Kritik zu unterziehen“ (Christian Danz). Unter den Bedingungen der multireligiösen und multikulturellen Lage der Gegenwart liegt also nach Danz die Aufgabe einer protestantischen Religionstheologie weder in der Begründung noch in der Bestreitung der Geltung von Religionen, sondern im Eintreten für und in der Ermöglichung von Alterität und Differenz.
ham, 16.12.2013

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