Jul 7

Eva & Adele, Obsidian

Von Helmut A. Müller | In Katalog, Kunst

Eva & Adele, Obsidian

Katalog zur gleichnamigen Ausstellung vom 10.03. – 26.05.2013 im Marta Herford, hrsg. von der Marta Herford GmbH mit Texten von Roland Nachtigäller, Reinhard Ermen und Jan-Philipp Fruehsorge
Marta Herford GmbH, Herford / Distanz Verlag, 2013, ISBN 978-3-95476-014-5, 240 S., Leinen gebunden mit Lesebändchen, Format 28,6 x 22,6 cm, € 44,–

„Phaino“ (griechisch) heißt als Aktivum unter anderem sichtbarmachen, zeigen, verkünden, offenbaren und als Passivum leuchten, glänzen, strahlen, zum Vorschein kommen, auftreten, sich zeigen, erscheinen. Nach 1. Mose 12, 7 erscheint Gott, der Herr Abrahams und nach Matthäus 1, 12 der Engel Joseph. Nach Matthäus 17, 53 taten sich in der Todesstunde Jesu die Gräber auf und die Verstorbenen erschienen den Bewohnern Jerusalems. Nach Markus 16, 9 erscheint der Auferstandene zuerst Maria Magdalena, später den Emmaus- Jüngern (Markus 16, 12.13/Lukas 24, 13 – 35) und den Jüngern (Lukas 24, 36 ff.).

Wenn Eva und Adele seit 1991 auf Kunstmessen, Biennalen und auf der documenta in Kassel in rosa, roten, silbernen oder goldenen Kostümen und gelegentlich auch mit Flügeln als zweieiiges Zwillingspaar erscheinen, treten sie gleichsam in die durch die passive Wortbedeutung von „phaino“ gelegte Spur göttlichen Erscheinens. Wenn sie darüber hinaus von sich sagen, dass sie aus der Zukunft kommen und dass, wo immer sie sind, Museum ist, spielen sie mit antiken Gottheiten zugeschriebenen Eigenschaften wie Ewigkeit und Erschaffen von Wirklichkeit allein durch die eigene Präsenz.

Ihre in Marta Herford unter dem Titel ‚Obsidian‘ gezeigten Kostüme, Aquarell-Serien ‚Zeitmaschine‘, 2012 und ‚Tides‘, 2012, Collagen ‚Nebelglanz‘ und vor allem ihre Zeichnungen ‚Spiegelgesichter‘, 2012, ‚Kaktusblüte‘, 2009-2011 und ‚TSG I‘, 2009 zeigen, dass sie auch eine Geschichte haben und dass ihr bei ihren performativen Auftritten gezeigtes Dauerlächeln Ergebnis harter Arbeit ist. Für Roland Nachtigäller ist, was auf den ersten Blick wie eine unterhaltsame Verkleidungs-Performance erscheint, „lebenslange Verpflichtung und Hingabe an eine ebenso radikal wie differenziert ausgearbeitete künstlerische Existenz. Denn es gibt kein Leben von Eva & Adele außerhalb von Eva & Adele… Eva & Adele sind in jedem Moment Gegenwart… Und dennoch: >>TSG I<<war ein Schock. Zeichnungen von kaum zu fixierenden Doppelwesen mit ineinander geblendeten Augen, Doppelmündern, mit Hörnern und Deformationen, hart mit dem Bleistift gefasste Physiognomien von Puppengesichtern, denen nicht nur jeglicher menschliche Liebreiz fehlt, sondern die auch zeichnerisch alle Raffinesse, Grauwerte und Meisterschaft verleugneten. Sie sind reine Energie, Doppelströme, Suchbewegungen, Notizen eines korrodierenden Selbstbildes zwischen Abziehbild und Identitätssuche, verstörend, verunsichernd, beklemmend – und vor allem überhaupt nicht das, wofür Eva & Adele standen“ (Roland Nachtigäller). Reinhard Ermen erläutert den Hintergrund: „Hinter der Serie >>TSG I<<… verbirgt sich … das >>Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen, kurz: Transsexuellengesetz, TSG<<…Entscheidend sind zwei psychiatrische Gutachten, die ein Richter anerkennen muss, um das gewünschte Resultat dann in das Geburtenregister eintragen zu können. 2009 unterzog sich Eva in … kurzer Zeit erfolgreich dem kräftezehrenden Prozedere. Abends nach den therapeutischen Sitzungen heißt es: ZEICHNEN! Die bürokratisch-analytische Pflichtübung, der sich der Kandidat unterzieht, reißt eingeübte Identitäten vorläufig auf. Doppelgesichter erzählen, vier Augenpaare suchen ein Gesicht, eine Maske bietet sich an, männlich

überschreibt weiblich und umgekehrt“ (Reinhard Ermer). Wenn Eva & Adele freundlich lächelnd „erscheinen“, wissen sie, was sie hinter sich haben. Vielleicht wollen sie auch deshalb einen Raum erobern, der die in den biblischen Berichten von den Erscheinungen des Auferstandenen festgehaltene Verbindung von Tod und Leben, von Kreuz und Auferstehung hinter sich lässt. Nach Eva & Adele soll das „Lächeln als Werk des Futuring … ein Raum sein, der nicht von der traditionellen christlichen Leidensgeschichte besetzt ist“ (Eva & Adele 2012). Die im Marta Herford gezeigten Zeichnungenmachen deutlich, dass auch Eva & Adele diesenn leidfreien Raum noch nicht gefunden haben.. Er liegt noch vor ihnen und er liegt noch vor uns allen.

ham, 02.07.2013

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