Zwei Künstlerinnen in Palästina
Ellen Auerbach – Lea Grundig
Zwei Künstlerinnen in Palästina
Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 25. Januar bis 27. 4. 2025 im Museum Eberswalde, herausgegeben von Eckart J. Gillen im Auftrag der Stadt Eberswalde in Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste, Berlin. Mit Texten von Eva Sabrina Atlan, Burcu Dogramaci, Eckart J. Gillen, Maria Heiner, Stephanie Kloss, Kathleen Krenzlin-Böttcher, Tina Mendelsohn, Rina Offenbach, Martin Schieder, Rosa von Schulenburg, Zohar Shavit, Nora Sternfeld und Kurt Winkler
Schirmer/Mosel, ISBN 978-3-8296-1036-0, 284 Seiten, 110 Farbtafeln, 50 Abbildungen, Hardcover, gebunden, mit Schutzumschlag, Format 22 x 25,4 cm, € 36,00 (D) / € 37,10 (Ö) / CHF 41,40
Nach der Schlagzeile des Hauptartikels auf Seite 1 der Süddeutschen Zeitung vom 22. Mai 2025 verliert Israel in Europa derzeit Unterstützer. „In der EU distanzieren sich immer mehr Staaten vom Vorgehen der Regierung von Benjamin Netanjahu im Gazastreifen. Ärzte ohne Grenzen kritisiert Hilfslieferungen als unzureichend.“ – Die Beziehungen der Europäischen Union zu Israel verschlechtern sich nach Daniel Brössler und Josef Kelnberger „wegen der Zuspitzung der Situation in Gaza rapide. Das setzt auch die Bundesregierung unter Zugzwang. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sei in großer Sorge wegen der humanitären Lage in dem von Israel besetzten Küstenstreifen, sagte Regierungssprecher Stefan Cornelius am Mittwoch. Das habe Merz auch in der Kabinettssitzung ›sehr deutlich‹ gemacht. Deutschland gehört innerhalb der Europäischen Union zu den treuesten Unterstützern Israels, sieht sich aufgrund der wachsenden Kritik am Vorgehen Israels und am Leiden der Zivilbevölkerung zunehmend isoliert.
Zusätzliche massive Verstimmungen löste der Beschuss von Diplomaten, auch aus Deutschland, im Jordan im Westjordanland aus … ›Diesen unprovozierten Beschuss verurteilte das Auswärtige Amt scharf. Wir können von Glück reden, dass nichts Schlimmeres passiert ist‹, sagt eine Sprecherin“ (SZ Nr. 117, S. 1 vom 22. Mai 2025).
Die von Eckart J. Gillen herausgegebene Publikation über die beiden Künstlerinnen Ellen Auerbach (geb. Rosenberg) und Lea Grundig beleuchtet das Werk zweier Künstlerinnen, die in der NS-Zeit aufgrund ihrer jüdischen Herkunft und politischen Überzeugung Deutschland verlassen mussten und in Palästina Zuflucht fanden. Allein, mittellos und ohne Sprachkenntnisse versuchten sie, sich die neue Umgebung mit künstlerischen Mitteln zu erschließen. Damit führt die Publikation in die Anfangszeit des heutigen Konflikts zurück.
Ellen Auerbach (1906–2004) war Mitbegründerin des legendären Berliner Portraitstudios ringl+pit und hatte bereits 1933 auf ihrer Schiffsreise nach Palästina einen Film über das Leben der Emigranten an Bord gedreht, unter denen auch Chaim Weizmann, der spätere erste Präsident des neu gegründeten Staates Israel, und der Architekt Erich Mendelssohn waren. Auerbach gründete 1935 zusammen mit Lieselotte Grschebina in Tel Aviv das Fotostudio Ishon, das 1935/1936 zu den wenigen zählte, die einer sachlich-modernen Bildästhetik verpflichtet waren. Neben ihren Studioarbeiten fotografierte Ellen das Alltagsleben der jüdischen wie auch der arabischen Bevölkerung. Zudem entstanden Landschafts- und Architekturimpressionen ohne Auftrag. Der gerade einsetzende geschäftliche Erfolg von Ishon nahm durch den Ausbruch arabischer Aufstände im April 1936 ein abruptes Ende. Ellen Auerbach entschied sich, Palästina zu verlassen und nach London zu gehen. Walter Auerbach blieb in Tel Aviv, um das Studio aufzulösen. Der Versuch, sich in England dauerhaft niederzulassen und ein Auskommen zu finden, scheiterte jedoch. Ellen und Walter Auerbach heirateten im Jahr 1937 und konnten dank einer Bürgschaft gemeinsam in die USA emigrieren. In den USA arbeitete Auerbach unter anderem als Fotografin für das Time Magazine (vergleiche dazu Ellen Auerbach unter https://de.wikipedia.org/wiki/Ellen_Auerbach und Ellen Auerbach. Fotografisches Werk unter https://digital.adk.de/ellen-auerbach-fotografisches-werk).
Die als Lina Langer geborene Lea Grundig (1906–1977; vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Lea_Grundig) hatte beim Studium an der Dresdener Kunstakademie ihren nichtjüdischen Mitstudenten und späteren Mann Hans Grundig kennengelernt und war mit ihm zunächst in die kommunistische Studentenfraktion und später in die KPD eingetreten. 1926 schickte ihr Vater die noch nicht Volljährige in das jüdische Sanatorium in Heidelberg, mutmaßlich in der Absicht, ihre Verliebtheit in den nichtjüdischen Mann aus der Welt zu schaffen. Dort lernte sie neben ihrer Psychotherapeutin Frida Reichmann-Fromm auch deren Mann Erich Fromm kennen, dessen Vorträge großen Eindruck bei ihr hinterließen (vergleiche dazu Rainer Funk, Was geschah im Heidelberger Therapeutikum? In: https://fromm-online.org/wp-content/uploads/secondary-titles/Funk_R_2023a.pdf#:~:text). Nach der Heirat zog das Paar in eine Hinterhauswohnung im Arbeiterviertel der Dresdner Neustadt. Während der Weltwirtschaftskrise bildete sich in Dresden eine Ortsgruppe der Assoziation Revolutionärer Bildender Künstler Deutschlands, zu deren Gründungsmitgliedern Hans und Lea Grundig 1930 gehörten. In dieser Zeit entstanden zahlreiche Transparente, Plakate und Linolschnitte mit sozialkritischen und tagespolitischen Inhalten als Agitationskunst zur Unterstützung der KPD und des Laientheaters „Die Linkskurve“. 1935 erhielt Lea Grundig aufgrund der antijüdischen Nürnberger Gesetze Arbeits- und Ausstellungsverbot. 1936 kamen sie auf Einladung des Rechtsanwalts, Malers und Humanisten Albert Mehring nach Montagnola in der Schweiz. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland wurden sie verschiedentlich verhaftet. 1939 fand ein Prozess gegen Lea Grundig wegen ›Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens‹ statt. Grundig wurde zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, die mit der Untersuchungshaft verbüßt waren. Am Tag des Urteils wurde sie wieder in Schutzhaft genommen. Die Jewish Agency for Palestine zur Unterstützung der Einwanderung nach Eretz Israel kaufte sie aus der Haft frei. Die Auflage, ihren Ehemann nicht mehr zu treffen, ignorierte sie und wurde denunziert. Beide wurden erneut verhaftet.
Hans Grundig wurde Anfang 1940 in das KZ Sachsenhausen verlegt. Lea Grundig wurde ein zweites Mal freigekauft, kurz bevor sie in das KZ Ravensbrück deportiert werden sollte. Sie wurde aus der Gestapohaft entlassen und noch am selben Tag, am 13. Februar 1940, aus Deutschland ausgewiesen. Mit dem Flüchtlingsschiff Pacific kam sie im November 1940 im Hafen von Haifa an. Von da an bis Oktober 1941 lebte sie im britischen Internierungslager Atlit bei Haifa. Dort stellte sie im März 1941 nach langer Zeit wieder einmal aus. Nach ihrer Entlassung kam sie im Oktober 1941 bei ihrer Schwester in Haifa unter und danach bei ihrem Vater in Tel Aviv. Bereits 1942 begann sie mit Zeichnungen zum Schicksal der Juden während der Shoa und später von Menschen in den Kibbuzim. Ihre Arbeiten wurden in bedeutenden Galerien und Museen in Haifa, Jerusalem und Tel Aviv ausgestellt. Ab Ende 1941 fertigte sie Illustrationen von Kinderbüchern an. Neben Natur- und Landschaftsdarstellungen entstanden die Folgen ›Im Teil des Todes‹, ›Niemals wieder!‹, Ghetto und ›Ghettoaufstand‹.
Trotz großer Schwierigkeiten gelang ihr 1948 die Rückkehr nach Dresden. 1949 wurde Lea Grundig als erste Frau zur Professorin für Grafik und Malerei mit eigenem Lehrstuhl an die Hochschule für Bildende Künste Dresden berufen. Wegen Auseinandersetzungen um das zukünftige Profil der neu zu gründenden Kunsthochschule wurde sie jedoch nicht sofort eingestellt. 1950 wurde sie Mitglied des Vorstands des Verbands Bildende Künstler Deutschlands, Abgeordnete des sächsischen Landtags für den Kulturbund bis 1952, danach bis 1957 für den Bezirkstag Dresden. 1958 gab es im Albertinum in Dresden die erste große Personalausstellung von Hans und Lea Grundig. Am 11. September 1958 starb Heinz Grundig. 1961 wurde Lea Grundig Mitglied der Deutschen Akademie der Künste in Berlin, 1963 Mitglied des Zentralrats der SED, 1984 Präsidentin des VBK der DDR. Als Künstlerin hat sie nach ihrer eigenen Aussage gemalt, was sie gedacht und wie sie gelebt hat (vergleiche dazu https://www.adk.de/de/archiv/kunstsammlung/neuigkeiten.htm?we_objectID=67559 und das Lea Grundig Werkverzeichnis unter https://lea.grundig-grafik.de/).
Ellen Auerbach und Lea Grundig sind sich nie begegnet. „Sie nutzten als Fotografin beziehungsweise als Grafikerin unterschiedliche Ausdrucksmittel und verfolgten unterschiedliche künstlerische Ziele. Was sie verbindet, ist die jüdische Herkunft, die Emigration aus Nazideutschland, die Notwendigkeit, sich im von vielen Konflikten zwischen britischer Mandatsmacht, zionistischen Organisationen und arabischen Gruppen geprägten Palästina eine Existenz aufzubauen oder doch zumindest eine Lebensperspektive zu entwickeln. Weder Auerbach noch Grundig kamen freiwillig nach Palästina. Sie waren, wenngleich sich die Umstände bei der Letztgenannten dramatischer gestalteten, als Flüchtlinge mit den Lebensumständen und Arbeits- hindernissen des Exils konfrontiert. Der Neuanfang im fremden Land musste mit Unsicherheit und Neugier, mit Trauer und Aufbruch, mit Verlust eines sozialen Umfelds und Gewinn neuer Bindungen einhergehen. So gesehen reihen sich die erhaltenen Zeichnungen und Fotografien in die Flucht – und Exilerfahrungen ein, die auch heute wieder von beklemmender Aktualität sind“ (Kurt Winkler S. 39).
ham, 22. Mai 2025