Goldegg Verlag, Berlin, 2018, ISBN 978-3-99060-076-4, 216 Seiten, Hardcover gebunden,
Format 22 x 14 cm, € 22,00

Immanuel Kant hat sich in seiner 1795 erschienen Altersschrift Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer
Entwurf Gedanken über einen möglichen Weg zum Frieden gemacht und darin auf von der Vernunft geleitete
Maximen und sie begründende Bedingungen gesetzt, die erfüllt sein müssen, damit Frieden zwischen den
Staaten dauerhaft und nachhaltig möglich wird. Seine erste von sechs Bedingungen lautete: „Es soll kein
Friedenssschluß für einen solchen gelten, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem künftigen
Kriege gemacht worden“. Kant hätte deshalb wohl weder den auf nationale Grenzen und Vorteile („America
first“) und militärische Dominanz setzenden Pax Americana noch den auf Militärstiefeln aufruhenden Pax
Romana als nachhaltig friedensstiftend bezeichnet. Wer Frieden schaffen will, muss zwingend die ganze
bewohnte Erde, die (altgriechisch) Oikumene in den Blick nehmen, so wie es der 1948 gegründete
Ökumenische Rat der Kirchen unter anderem mit seiner Flüchtlingspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, der
von ihm angestoßenen Nachhaltigkeitsdebatte (just, participatory and sustainable society) und seinem
Antirassismusprogramm getan hat. Sein Antirassismusprogramm ist zu einem der Bausteine der
Überwindung der Apartheid in Südafrika geworden.

Der grenzüberschreitende Blick auf die ganze bewohnte Erde scheint in Zeiten, in denen internationale
Zusammenschlüsse aufgekündigt werden, nicht mehr im Vordergrund zu stehen. An seine Stelle sind
nationale Eigeninteressen getreten, die notfalls mit Gewalt durchgesetzt werden. Deshalb fällt jede Initiative
auf, die vorbehaltlos Welten verbinden will, so der seit 2007 im Rahmen der Tollwood Festivals in München
stattfindende Weltsalon, der auf prominent besetzte Podiumsdiskussionen, Vorträge, Konzerte, Performances
und interaktive Installationen setzt (vergleiche dazu https://www.tollwood.de/veranstaltungsort/weltsalon/),
und der namensgleiche Weltsalon, den die in Nürnberg aufgewachsene gelernte Politologin, Germanistin,
Musikwissenschaftlerin, Gründerin und Präsidentin der Connect Worlds Association mit Sitz in Zürich
Christina E. Zech in privater Initiative aufgebaut hat und seit 2010 durchführt.

Zech verbindet die im 18. Jahrhundert aufkommende, dem Ideenaustausch dienende Vorstellung einer
gleichberechtigten Kommunikation Verschiedener im privaten Rahmen mit dem Gedanken der Einspeisung
zukunftsrelevanter Informationen in noch gesprächsfähige Gruppen von bis zu 40 Personen und der Absicht,
die Teilnehmer in eineinhalb Tagen vom Erkennen zum Tun des Guten zu bringen. Sie verspricht sich von
ihren Weltsalons wegweisende Impulse für „eine friedliche, wohlhabende und ökologisch intakte Welt. Diese
Impulse gehen zu einem Teil auf Erkenntnisse der bisherigen Weltsalons zurück, in denen profilierte
Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik, Bildung und Kultur […] mit engagierten Bürgerinnen und
Bürgern unterschiedlicher Lebenswege diskutiert haben. Zu einem anderen Teil stelle ich in diesem Buch
auch erstmals eigene Lösungswege und Konzepte vor […]. Warum es heute Orte des Zukunftsdiskurses wie
den Weltsalon braucht, ist schnell erklärt: Wir stehen vor politischen Herausforderungen, die weder die
Nationalstaaten noch die supranationalen Organisationen wie EU und UNO allein bewältigen können.
Klimawandel, Migration, weltweite Ressourcenverknappung, globale ökonomische Ungleichgewichte,
wieder aufflammende Kriege und nicht zuletzt die Folgen der Digitalisierung und Automatisierung […]
brauchen die gemeinschaftliche Anstrengung aller Menschen […]. Um die komplexen Aufgaben zu lösen,
brauchen wir neue Formen der weltweiten Kooperation. Wenn wir diese entwickeln, können wir sogar mehr
als die genannten Probleme lösen. Wir haben dann endlich die Chance auf einen dauerhaften Weltfrieden und
auf Wohlstand für alle“ (Christina E. Zech S. 9f.).

Auch wenn man Zechs Antworten auf die Frage, warum unsere Welt so ist, wie sie ist, für
diskussionsbedürftig hält, ihr mit Erasmus von Rotterdam auf den freien Willen setzendes Menschenbild
nicht teilt und statt von einer Höherentwicklung von kontingenten Entwicklungen in der
Menschheitsgeschichte ausgeht, bleibt ihr Festhalten an der Vorstellung eines dauerhaften Weltfriedens und
eines Wohlstands für alle bemerkens- und bedenkenswert.

Dass der für Zechs Modell eines systemischen Wandels zum Besseren zentrale Ideengeber, der New Yorker
Psychologe Clare W. Graves (1914 – 1986) davon ausgegangen ist, dass die sich autopoetisch im
menschlichen Gehirn als Antwort auf existentielle, soziale und kulturelle Probleme entwickelnden
neuronalen Systeme „keine Garantie für eine Kontinuität der Entwicklung oder […] für die Richtung der
Entwicklung“ geben: –„Sowohl Fortschritt wie auch Rückschritt sind in seinem Modell möglich“ – (Clare W.
Graves in: https://de.wikipedia.org/wiki/Clare_W._Graves), scheint sie nicht zu stören. Sie bezieht sich auf
das von seinen Schülern Don Beck und Chris Cowen weiterentwickelte Graves-Modell und scheint damit
Graves’ Option eines offenen Ausgangs für die Vorstellung einer Höherentwicklung zu opfern: Demnach soll
die Menschheit sich vom physischen Überlebenskampf über magisch-mystische Weltbilder, das Recht des
Stärkeren, den Glauben an eine absolute Wahrheit, den Wettbewerb mit anderen, die Wahrnehmung des
Vorrangs der sozialen Orientierung, die ökologisch orientierte Selbstentfaltung, die Demut und die
Akzeptanz der Grenzen des begreifenden Verstandes hin zu einer universalen Perspektive entwickeln, in der
brillante Klarheit, unendliche Liebe und umfassende Kommunikation herrschen (vergleiche Christina E.
Zech S. 200 f. und https://de.wikipedia.org/wiki/Spiral_Dynamics).

Zech gesteht zwar zu, dass sich systemische Veränderungen in komplexen Systemen nicht erzwingen lassen.
„Es ist jedoch möglich, die Bedingungen positiv zu beeinflussen, unter denen systemische Veränderung
stattfinden kann. Dieser positive Einfluss ist dann am stärksten, wenn er auf möglichst unterschiedlichen
Ebenen gleichzeitig ansetzt und nachhaltig wirkt. Projektweises Handeln setzt meist nur auf einer Ebene an
und ist wenig nachhaltig. Der Straßenbau in Afrika mit Mitteln der Entwicklungshilfe ist zum Beispiel von
oben gesteuert und setzt nur bei äußeren Strukturen an. Es müssten Maßnahmen und Initiativen
hinzukommen, die auch von unten ansetzen und auch von innen wirken […]. Aus der grundsätzlichen
Unterscheidung zwischen >von oben< (Top-down) und >von unten< (Bottom-up) sowie ⟩von außen⟨ und ⟩von innen⟨ ergeben sich vier Quadranten als Handlungsfelder. Maßnahmen und Initiativen zu einer globalen positiven Veränderung können also auf vier verschiedene Weisen ansetzen: • bottom-up innen • bottom-up außen • top-down innen oder • top-down außen. Die größten Chancen zu einer nachhaltigen systematischen Veränderung ergeben sich, wenn möglichst in allen Quadranten gleichzeitig etwas passiert“ (Christina E. Zech S. 174). Genau dies ist nach Zech in der Demokratisierung Westdeutschlands nach 1945 passiert, als der Marshallplan, die demokratische Umerziehung, der Wiederaufbau vor allem durch die Trümmerfrauen und die neu entstehende demokratische Kultur zusammengekommen sind. Wo soll man also anfangen, die Welt zu verändern? „Am besten auf vielen Ebenen gleichzeitig!“ (Christina E. Zech S. 176). Die 1975 gegründeten Initiative Pro Ökumene – Initiative in Württemberg, die sich der Umsetzung des konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung verschrieben hat, hat dem vergleichbar auf der Orts- und auf der Weltebene und angesetzt und im kirchlichen Kontext zahlreiche äußere und innere Veränderungen angestoßen (vergleiche dazu etwa http://www.ecunet.de/ecunet/oeknetze/ netze.wuerttemberg/ProOekumene/ProOekumene.4/). Trotzdem müssen sich auch die Protagonisten von „Pro Ökumene“ fragen lassen, warum es immer noch Krieg, Umweltzerstörung und bei weitem nicht für alle Gerechtigkeit gibt. Werner Gebert, einer der Sprecher von Pro Ökumene, hat in seinem Grußwort zum 70. Geburtstag des Ökumenischen Rats der Kirchen angedeutet, dass das Weiterbestehen von Ungerechtigkeit und Krieg daran liegen könnte, dass die Stimmen der Mächtigen die Stimmen der weniger Mächtigen übertönen und an die Forderung von 122 UNO-Mitgliedern erinnert, Atomwaffen zu verbieten. „Ein entsprechender Vertrag, der allerdings nur für die Unterzeichnerstaaten gilt, trat im September 2017 in Kraft. Die Atommächte sowie alle NATO-Staaten ignorieren ihn. Die G20-Staaten dominieren die öffentliche Meinung aufgrund ihrer übermächtigen wirtschaftlichen Stärke. Die restlichen 173 UNO-Mitgliedsstaaten, die sich gegen die neoliberale G20-Wirtschaftspolitik wenden, haben als arme Schlucker nichts zu melden. Eine beabsichtigte Folge der Stimmgewalt der Mächtigen ist, dass sich die, die mit ihrer Stimme nicht durchdringen, als klein und bedeutungslos einschätzen. Sichtbar wird das daran, dass sich kaum jemand wehrt, wenn die UNO als schwach und wirkungslos lächerlich gemacht wird. Ganz ähnlich sind die Reaktionen, wenn der Ökumenische Rat der Kirchen kleingeredet wird […]. Dabei gibt es Grund genug, auf den ÖRK stolz zu sein. Er hat die wertvollsten Traditionen des Christentums, darunter die Gewaltlosigkeit und die Barmherzigkeit aufgenommen, gepflegt und weitergeführt“ (Werner Gebert in Pro Ökumene. Informationsdienst 2/2018 S. 1). Der in Osnabrück lehrende Systematische Theologe Gregor Etzelmüller hat die christliche Orientierung an der Nächstenliebe und der Barmherzigkeit in den Kontext von Evolution, Schöpfung und Neuschöpfung gestellt und daran erinnert, dass schon Darwin davon ausgegangen ist, dass die evolutionäre Durchsetzung des Rechts des Stärkeren und damit die „natürliche Selektion […] ein Wesen“ hervorbringt, „das sich über das Prinzip der Selektion, dem es seine Existenz verdankt, hinwegsetzen kann […]. Darwins Position steht derjenigen des britischen Philosophen Herbert Spencer, der im Blick auf die Armen schrieb: >Alles Leben
der Natur geht dahin, dieser Leute ledig zu werden, die Welt von ihnen zu befreien und Platz für bessere zu
schaffen<, also diametral entgegen. Weil aber Gemeinschaften, die durch wechselseitige Unterstützung und Selbstzurücknahme zugunsten anderer bessere Überlebenschancen haben, fördert die natürliche Selektion solche caring communities. Verallgemeinernd kann Steven Pinker formulieren: >Heute zweifelt kein Biologe
mehr daran, dass eine Evolutionsdynamik mit Mutualismus, Verwandtschaft und verschiedenen Formen der
Gegenseitigkeit zur Selektion psychologischer Eigenschaften führen kann, die Menschen unter den richtigen
Umständen zu friedlicher Koexistenz veranlasst< […]. Dabei besteht nach Darwin beim Menschen ein besonderer Zusammenhang zwischen seiner spezifischen Körperlichkeit, nämlich seiner Verletzlichkeit, und seiner besonderen Angewiesenheit auf Kooperation […]. Es ist demnach eine Dimension seiner evolutionär gewordenen körperlichen Verfasstheit, nämlich seine besondere Verletzlichkeit, die den Menschen zu einem sozial-kooperativen Geschöpf macht“ (Gregor Etzelmüller, Neues ist geworden. Evolutionäre Anthropologie in pneumatologischer Perspektive. In: Evangelische Theologie 5-2018, S. 356 f.). Lebendige Organismen passen sich ihrer Umwelt nicht nur an, sondern gestalten sie auch mit und bringen sie in diesem Sinn auch hervor. Wenn man Frans de Waal folgt, entstanden die sozialen Instinkte vermutlich bei der Brutpflege. „In 200 Millionen Jahren Säugetierevolution hatten Weibchen, die sensibel auf ihre Nachkommen eingingen, größeren Reproduktionserfolg als Weibchen, die kalt und distanziert waren. Wenn Welpen, Jungfüchse, Kälber oder Babys unterkühlt, hungrig oder in Gefahr sind, müssen ihre Mütter augenblicklich reagieren […]. Weibchen, die nicht reagieren, können ihre Gene nicht weitergeben“ (Gregor Etzelmüller, a. a. O. S. 356). Demnach sind die sozialen Instinkte schon in der Evolution angelegt und die „entscheidende, wenn auch nur graduelle Differenz“ läge „im Bereich des Kognitiven“. Was „den Menschen von anderen lebenden Organismen unterscheidet, scheint die spezifische Fähigkeit zu kulturellem Lernen zu sein. Menschen lernen >nicht nur vom anderen, sondern auch durch den anderen< […]. >Durch den
anderen< zu lernen, heißt aber elementar, durch Nachahmung seines körperlichen Verhaltens zu lernen. >Nachahmung verlangt eine Identifikation mit einem Körper aus Fleisch und Blut. Wir beginnen zu ahnen,
in welch starkem Maße menschliche und tierische Kognition sich über den Körper vollzieht.< Indem wir den anderen nachahmen, mit ihm synchron werden, erleben wir die Welt aus seiner Perspektive – gleichsam durch seinen Leib“ (Gregor Etzelmüller / M. Tomasello / M. Jung, S.a. a. O. 358 f.). So lernen schon Kinder „durch mimetisches Handeln, wie man sich anderen, auch Armen und Hilflosen, gegenüber verhält“ (Gregor Etzelmüller a. a. O. S. 359). Hier schließt sich der Kreis zu Pro Ökumene und zum Weltsalon von Zech: Beim Nachdenken über die Frage, wie Orts- und Weltperspektive zusammenkommen, wurde in der Untergruppe „Ökumenische Didaktik“ von Pro Ökumene schon in den letzten 1970er Jahren die Einsicht propagiert, dass alles darauf ankommt, die Zentrierung auf den eigenen Kirchturm zu verlassen und zu lernen, in den Schuhen anderer zu gehen. Es spricht also alles dafür, bei in komplexen Systemen angestrebten systemischen Veränderungen auf die Kommunikation unter Anwesenden, auf die Bereitstellung zukunftsrelevanter Informationen und auf gemeinsames Lernen zu setzen und darüber hinaus auf Prinzipien wie die Gewaltfreiheit und das Gebot der Nächsten- und Fernstenliebe. Wenn man Gregor Etzelmüller abschließend fragt, wie sich die naturale Evolution anti-selektionistischer Kräfte theologisch deuten lässt, spricht er von Gleichnissen der Neuschöpfung innerhalb des Reiches der Natur. Gottes Geist, der nicht auf Gewalt, sondern das Wort setzt, würde dann nicht nur Menschen, sondern auch jeden anderen Organismus dazu verlocken, „lebensförderliche Umgebungen aufzubauen […]. Der Vorteil einer solchen theologischen Deutung wäre, dass man der mit der radikalen Entgegensetzung von Evolution und Neuschöpfung verbundenen These, dass die Evolution im Römischen Reich ihr Ziel erreicht, dass die Evolution also einlinig auf den Erfolg des Gewalttätigen ziele, widersprechen kann. Es gilt zwar, dass der Natur und damit auch dem menschlichen Leib qua Evolution eine Tendenz eingeschrieben ist, die eigenen Interessen – notfalls mit Gewalt auf Kosten anderer – durchzusetzen. Doch zugleich kommt uns, weil Gottes Geist immer schon in der Natur gegenwärtig ist, von der Natur auch Hilfe zu. Nach Steven Pinker hat uns die Natur sowohl mit ⟩inneren Dämonen⟨ als auch mit ⟩besseren Engeln⟨ ausgestattet ⟩ […]. Zur Natur des Menschen gehören Motive wie Raublust, Herrschaftstrieb und Rache, die uns zu Gewalt drängen, aber auch Motive, die uns – unter den richtigen Voraussetzungen – zu Frieden veranlassen, wie Mitgefühl, Gerechtigkeitsgefühl, Selbstbeherrschung und Vernunft⟨“ (Gregor Etzelmüller / Steven Poker a. a. O. S. 360). Insofern ist der Geist, der in der Neuschöpfung an der Erneuerung des Menschen arbeitet, auch schon in der Schöpfung heilsam gegenwärtig (vergleiche Gregor Etzelmüller a. a. O. S. 361). ham, 31. Oktober 2018 Download

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