herausgegeben von Andrea Zaumseil und Johannes Honeck zur gleichnamigen Ausstellung vom 9.8. – 20.9.2015 aus Anlass der Verleihung des Hans-Thoma Preises des Landes Baden-Württemberg 2015 im Hans-Thoma-Kunstmuseum Bernau mit Texten von Johannes Honeck, Dirk Teuber und Andrea Zaumseil
Hans-Thoma-Kunstmuseum Bernau / Kerber Verlag Bielefeld Berlin 2015, ISBN 978-3-7356-0152-0, 32 lose Karten im bezogenen Pappschuber, 56 farbige Abbildung, Format 22 x 17 cm, € 20,00 / CHF 25,30
Die 1957 in Überlingen am Bodensee geborene und heute an der Burg Giebichenstein, Halle lehrende Andrea Zaumseil ist schon in den mittleren 1980er Jahren nach ihren Studien der Germanistik und der Geschichte an der Universität Konstanz und der Bildhauerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart durch ihre eigenständigen, entfernt an organische Formen erinnernden, zugleich widerständigen und eleganten Eisenskulpturen und ihre atmosphärische Stimmungen aufgreifenden großformatigen schwarzen Pastellzeichnungen aufgefallen. Zaumseil hat ihr angestammtes bildhauerisches und zeichnerisches Formenrepertoire in seltener Konsequenz beibehalten, weiterentwickelt und erweitert und sich mit neuen Ansätzen in die Ausbildung der Kunststudenten eingebracht. Deshalb ist es nur konsequent, dass ihr 2015 der mit einer Ausstellung, einem Katalog und 10 000.00 € verbundene Hans-Thoma-Preis des Landes Baden-Württemberg verliehen wurde. Neben ihrer langjährigen künstlerischen Praxis auf höchstem Niveau und ihrem Engagement in der Lehre hat die Jury insbesondere ihr 2004 fertiggestelltes Projekt „Die zerrissene Perlenkette“ überzeugt, mit dem Zaumseil den Opfern der Flugzeugkatastrophe von 2002 am Bodensee ein Denkmal gesetzt hat. In der Nacht vom 1. auf den 2. Juli 2002 waren im Luftraum nördlich des Bodensees nahe Überlingen zwei Flugzeuge zusammengestoßen. Dabei sind 49 Kinder und 22 Erwachsene ums Leben gekommen. Als Zaumseil gefragt wurde, ob sie sich an dem offen ausgeschriebenen Wettbewerb für einen Gedenkort am Waldrand von Brachenreuthe beteiligen wolle, drängte sich ihr „das Bild der zerrissenen Perlenkette auf, kein Monument … , sondern ein Gleichnis … Seit Mai 2004 liegt sie nun am Waldrand von Brachenreuthe, die zerrissene Perlenkette, in Erinnerung an das jähe Reißen des Lebensfadens der Opfer. Sie befindet sich zum Teil im Dunkel einer Waldschneise, zum Teil außerhalb des Waldes. Manche Perlen haben sich bereits vom Faden gelöst, liegen auf abschüssigem Gelände. Sie hätten weiterrollen können, in Richtung der nahe gelegenen Stadt … Zwei weitere Perlen liegen an einer anderen Stelle: eine auf der anderen Seite des Waldes, in einem Gebiet, in dem weitere Opfer gefunden wurden … und eine 15 Kilometer weiter nördlich von Troisdorf“ (Andrea Zaumseil, S. 2). „Die einzelnen Perlen aus gebürstetem Edelstahl reflektieren die sie umgebende Landschaft und eröffnen einen ungewohnten Blick auf den Himmel, der sich durch die gewölbten Oberflächen wie in einem Spiegel zu zerdehnen scheint … In einer Art Rollentausch wird der letzte Blick der Absturzopfer als beklemmendes Sinnbild erfahrbar: einzelne Stücke Himmel, auf die Erde gestürzt“ (Johannes Honeck).
„Die Rinde von Bäumen, Fasrig-Organisches, geologische Faltungen, Riffelungen, Wolkenhaufen, Rauch, Krater, architektonische Raster … Dafür setzt Andrea Zaumseil ausschließlich und radikal schwarze Pastellkreide ein, um in nuancenreicher Vielfalt die Bildstruktur zu entfalten … In den Bildern und durch die Bilder findet eine Art Versicherung statt. Das Bild ist Bild, durch Materialität und Fraktur nie reine Illusion … , aber auch nie ohne Referenz zur Erfahrungswirklichkeit … Oberfläche und Tiefenraum, das Konkrete und das Unwägbare sind zusammengeführt“ (Dirk Teuber). „Die Zeit des Bildes ist immer Jetzt“ (Andrea Zaumseil).
ham 7.10.2015