Herausgegeben von Dorothea Weltecke
Schriften des Historischen Kollegs, herausgegeben von Hartmut Leppin, Kolloquien 109
Walter de Gruyter, Berlin/Boston, 2025, ISBN 978-3-11-077349-1, 528 Seiten, Hardcover, gebunden, Format 23,8 x 16 cm, € 99,95
Wer in der Zeit der Studentenrevolte Theologie studiert hat, hat zwar den Protest gegen die im Vietnamkrieg ausgeübte Gewalt wahrgenommen und womöglich mit dem Schlachtruf »Hồ-Hồ-Hồ Chí Minh« gegen sie demonstriert, aber zugleich die in der hebräischen Bibel dokumentierte Gewalt in aller Regel für veraltet und überholt erklärt (vergleiche dazu „Michael Reitz, Gewalt in der Bibel. In: https://www.deutschlandfunk.de/gewalt-in-der-bibel-gott-ist-der-hass-100.html). Der für das Neue Testament maßgebliche Jesus von Nazareth wurde von seiner Feindesliebe her gelesen und verstanden („Ihr habt gehört, dass gesagt ist ⟨3. Mose 19,18⟩: »Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.« Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel.« ⟨Matthäus 5, 43 ff.⟩). Seine Aussage »Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert« ⟨Matthäus 10,34⟩ machte damals und auch heute noch Schwierigkeiten und wird in der Regel von den Konflikten her interpretiert, die Jesu Botschaft hervorrufen kann (vergleiche dazu die Predigt von Martin Dutzmann zur Stelle unter https://www.ekd.de/dutzmann-predigt-zu-matthaeus-10-34-39-69121.htm).
Deshalb verwundert es nicht, dass das Stichwort ›Gewalt‹ im im Jahr 2000 erschienenen renommierten Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft »Religion in Geschichte und Gegenwart« zwar anthropologisch, philosophisch, politisch, juristisch und praktisch-theologisch erläutert wird, aber ›religiöse Gewalt‹ auslässt (vergleiche dazu die vierte Auflage von RGG Band 2 F–H, Tübingen, 2000, Spalte 882–886). Die von Jan Assmann mit seinen Büchern »Herrschaft und Heil. Politische Theologie in Altägypten, Israel und Europa«, München 2000, »Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus«, München 2003, und »Monotheismus und die Sprache der Gewalt«, 2006, angestoßene Debatte über einen möglichen Zusammenhang von Monotheismus und Gewalt macht die Auseinandersetzung mit religiöser Gewalt zwingend (vergleiche dazu »Jan Assmann, Monotheismus und Gewalt«. In: https://www.perlentaucher.de/essay/monotheismus-und-gewalt.html und »Monotheismus unter Gewaltverdacht«, herausgegeben von Jan-Heiner Tück, Freiburg 2015).
Der von Dorothea Weltecke herausgegebene Sammelband »Religiöse Gewalt in historischer Dimension« erlaubt einen durch den historischen Abstand unaufgeregt gewordenen Zugang zur Debatte (vergleiche dazu https://www.historischeskolleg.de/mediathek/publikationen/schriften-des-historischen-kollegs-kolloquien/religioese-gewalt-in-historischer-dimension/). Er geht von den Gewaltphänomenen aus und befragt diese detailliert auf ihre Formen und Funktionen, ihre Normen und ihre Legitimierung. Dabei erhebt er nicht den Anspruch, einen Überblick über gesichertes Wissen und eine systematische Darstellung methodischer Zugänge zu bieten. Dafür sei es möglicherweise zu früh. Die Ansätze seien noch zu divers, und es bestünden unterschiedliche Auffassungen zu den basalen Fragen, was Religion, Gewalt und religiöse Gewalt sei. Die von den 21 Autorinnen und Autoren des Bandes gewählten unterschiedlichen Definitionen von religiöser Gewalt nähren weiterhin die viel diskutierte Kontroverse, ob religiöse Differenz die Ursache für religiöse Gewalt ist oder nicht. „Überdies gehen die Positionen zur Frage des Verhältnisses zwischen Ursache und Folge ebenfalls weit auseinander. Ist es der sogenannte absolute Wahrheitsanspruch der ›Religionen‹, genauer der ›monotheistischen Religionen‹, der Gewalt verursacht, sogar notwendig verursacht? War es die Erinnerung an den Moment am Sinai, der zwischen wahr und falsch unterschied und nichts anderes mehr zuließ? Ist daher die religiöse Differenz bereits eine hinreichende und notwendige Ursache? Oder hat kultisch gerahmte Gewalt dieselben Ursachen wie andere Formen von Gewalt? Muss und kann Gewalt als kommunikatives Geschehen für sich betrachtet werden, dessen ideologische Rahmung austauschbar ist?
Außerdem stellt sich bei näherer Betrachtung heraus, dass Betroffene und Täter kollektives Gewalthandeln unterschiedlich bewerten konnten: Es mag sein, dass nur die Ausübenden ihre Gewalt als Gottesdienst verstanden, die Erleidenden dagegen als Akt der materiellen Bereicherung. Es mag sein, dass nur die Ausübenden ihre Gewalt als materielle Bereicherung verstanden, die Erleidenden sie dagegen als Hass gegen ihren Glauben und ihre Schmerzen als Gottesdienst interpretierten. Hinzu kommt für die historische Forschung die irritierende Erfahrung der fehlenden Sicherheit, empirisch entscheiden zu können, ob ein Gewaltereignis tatsächlich religiös motiviert gewesen sei oder nicht. Denn kollektive Gewalt führt radikale Veränderungen herbei. Deshalb sind Zeugnisse davon schwer zu interpretieren, die den Zustand danach abbilden“ (Dorothea Weltecke, S. 2).
Das von Donald Trump zum 250. Geburtstag der USA am 4. Juli 2026 im Garten des Weißen Hauses angekündigte Ultimate-Fighting-Spektakel ist leichter zu interpretieren (vergleiche dazu und zum Folgenden https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/kultur/kampfsport-leitkultur-ufc-trump-weisses-haus-turnier-weisses-haus-e033328/?reduced=true): Im Ultimate Fighting Championship wird in einem Kampfkäfig aus Maschendraht „bis zur Bewusstlosigkeit weitergemacht, oder bis zur Aufgabe eines Kämpfers, die ›Submission‹ genannt wird – Unterwerfung. Im Sinne von Trumps politischer Theorie ist die Idee, ein eigenes Kolosseum im Garten des Weißen Hauses aufzubauen und brutale Schlägereien zu veranstalten, natürlich alles andere als absurd. Im Gegenteil. Eigentlich erschien kaum ein Gedanke aus dem Kopf des US-Präsidenten je schlüssiger. Und während sich der Rest der Rechtspopulisten im Leitkulturkampf noch an der Kultur festbeißt, konzentriert sich Trump auf den Kampf. Seine Leitkultur ist der Kampfsport. Immer deutlicher ist so Trumps autokratisches Projekt zu erkennen: die fundamentale Umstellung von demokratischer (Selbst)Regulierung der Bürger – mit all ihren nervenzehrenden Kompromissen – auf Herrschaft, also die uneingeschränkte Ausübung der Macht über das Volk durch den oder die Machthabenden. Der Kampfsport wiederum ist traditionell die Welt, in der die möglichst uneingeschränkte Herrschaft den höchsten Wert besitzt, wo das Naturrecht ganz einfach das Recht des Stärkeren ist. Und Champions seit jeher nicht einfach Meister ihres Fachs sind, sondern ›undisputed‹ – unbestritten. Der feuchte autokratische Traum schlechthin“ (David Pfeiffer, Jens-Christian Rabe, Kampfsport als Leitkultur. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 153, 7. Juli 2025, Seite 9).
ham, 7. Juli 2025.