Die Kunsthalle Vogelmann zeigt Elfriede Lohse-Wächtler bis 2. November 2025
Der 1891 in Untermhaus (heute Gera) geborene Otto Dix ist mit seinem veristischen Stil in Malerei und Grafik zum führenden Vertreter der Neuen Sachlichkeit geworden. Die Porträts von seiner Frau Martha (vergleiche dazu https://www.kuma.art/de/exponat/bildnis-frau-martha-dix) und von Anita Berber (vergleiche dazu https://www.lbbw.de/sammlung-lbbw/kuenstler/dix/dix_ac7n4mvrmy_d.html) sind noch heute im kollektiven Bildgedächtnis präsent. Der 1897 in Dresden geborene Grafiker und Maler des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit Conrad Felixmüller (eigentlich Conrad Felix Müller) ist dagegen nur noch Kunstkennern ein Begriff (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Conrad_Felixmüller). Aber die 1899 in Löbtau als Anna Frieda Wächtler geborene Malerin der Avantgarde und bedeutende Vertreterin des Expressionismus Elfriede Lohse-Wächtler ist heute weitgehend vergessen (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Elfriede_Lohse-Wächtler).
Elfriede Lohse-Wächtler wurde schon als Sechzehnjährige in die Modeklasse von Margarete Junge an der Kunstgewerbeschule Dresden aufgenommen und wechselte kurz darauf gegen den Willen ihrer Eltern in die Klasse für angewandte Grafik. 1916 zog sie aus ihrem Elternhaus aus und teilte mit ihrer Kollegin Londa von Berg ein Zimmer in der Dresdner Altstadt. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie von da an weitgehend mit kunstgewerblichen Arbeiten. Bei Gertrud Leistikow nahm sie Kurse in Ausdruckstanz. 1917 begegnete sie Konrad Felixmüller. Sie wurde Teil der Dresdner Avantgarde und machte die Bekanntschaft von Künstlern und Literaten wie Rudolf Adrian Dietrich, Walter Rheiner und Raoul Hausmann. 1819 begegnet sie Otto Dix, Otto Griebel und Kurt Lohse. Sie bewegte sich im Kreis der Dresdner Sezession und nahm an den DADA-Abenden im Atelier der Geschwister Viola und Erwin Schulhoff teil. 1921 heiratete sie Kurt Lohse. Die Ehe verlief glücklos. 1929 brach Lohse-Wächtler psychisch zusammen. In der Psychiatrie entstanden die von der Kritik begeistert aufgenommenen »Friedrichsberger Köpfe«. 1931 trennen sich die Eheleute. 1932 wird sie auf Veranlassung ihres Vaters dauerhaft in die Landes- und Pflegeanstalt Arnsdorf eingewiesen, wo sie weiterhin künstlerisch arbeitet. 1935 wird sie von Kurt Lohse wegen „unheilbarer Geisteskrankheit“ geschieden, entmündigt und zwangssterilisiert. 1937 werden mehrere ihrer Werke im Rahmen der NS- Aktion „Entartete Kunst“ aus öffentlichen Sammlungen beschlagnahmt und vernichtet. 1940 wird sie in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein im Rahmen der nationalsozialistischen Euthanasie-Aktion T4 ermordet.
Elfriede Lohse-Wächtler hat sich als eine der ersten Frauen in der von Männern dominierten Kunstwelt durchgesetzt. Heute gilt sie als eine der bedeutenden künstlerischen Stimmen des frühen 20. Jahrhunderts. Ihre dynamische, einfühlsame und unverwechselbare Bildsprache sucht im Realismus der Weimarer Zeit ihresgleichen. Schon deshalb verdient die von den Städtischen Museen Heilbronn in Kooperation mit dem Ernst Barlach Haus in Hamburg und dem Franz Marc Museum in Kochel am See in der Kunsthalle Vogelmann zu ihrem 125. Geburtstag organisierte Retrospektive »Elfriede Lohse-Wächtler – Ich als Irrwisch« alle Anerkennung (vergleiche dazu https://museen.heilbronn.de/kunsthalle-vogelmann/ausstellungen/aktuell.html).
Dazu kommt, dass die dort gezeigten rund 100 Arbeiten aus öffentlichen und privaten Sammlungen nicht wie in früheren Ausstellungen an Lohse-Wächtlers Biografie und damit an ihrem aus den Fugen geratenen Leben, sondern an Themenkreisen wie ihren Selbstbildnissen und Porträts orientiert sind. An ihren Selbstbildnissen lässt sich nachempfinden, wie sie sich immer wieder selbst überprüft hat. In ihrer Hamburger Zeit kann sie zwischen 1929 und 1931 noch Bilder vom Hamburger Hafen, schonungslose Selbstbildnisse und sensible Milieustudien aus dem Arbeiter- und Prostituiertenmilieu schaffen. Ihr Porträt von Lissy, die in einem Bordell auf der Reeperbahn eine Zigarette raucht, erinnert entfernt an das Bildnis der Tänzerin Anita Berber von Otto Dix. Aber Lohse-Wächtler zeigt sie nicht wie Dix als Femme fatale, sondern als selbstbewusste Frau (vergleiche dazu „Lissy“ von Elfriede Lohse-Wächtler. In: https://stories.staedelmuseum.de/de/ein-neues-gesicht-in-der-sammlung-kunst-der-moderne-lissy-von-elfriede-lohse-wachtler). Eine eigene Abteilung der Ausstellung widmet sich der Frage, wie es die Künstlerin trotz vieler Schicksalsschläge fertiggebracht hat, sich ihren Lebensunterhalt weitgehend selbst zu verdienen.
Der von Karsten Müller in Zusammenarbeit mit dem Förderkreis Elfriede Lohse-Wächtler, Hamburg, herausgegebene und 2025 im Verlag Kettler in zweiter Auflage erschienene Katalog »Elfriede Lohse-Wächtler, Ich als Irrwisch« hat die ISBN-Nummer 978-3-9-8741-162-5, 222 Seiten, zahlreiche Farbabbildungen, das Format 16 × 11,3 cm und kostet 19,50 €.
ham, 28. Juni 2025