24. Mai bis 28. September in der Alten Keller Fellbach

Gewidmet dem Gründer der Triennale Kleinplastik Fellbach, Friedrich-Wilhelm Kiel

Nach der feierlichen Eröffnung der 16. Triennale Kleinplastik in der eigens dafür aufgebauten Zelthalle gehen wir in zwei Runden durch die in der Alten Kelter ausgerichtete Ausstellung. Am Ende der zweiten Runde begrüßt uns Christian Jankowski und wir kommen miteinander ins Gespräch. Ich signalisiere ihm, dass ich sein eindrückliches Set von 18 gerahmten Fotografien gesehen habe und ich mich freue, dass er an der Triennale beteiligt ist. Er erwidert, dass die Fotografien Teil seiner 2023 entstandenen Installation »Smell Maneuver« sind, zu der auch das in der Nachbarschaft der fotografischen Reihe abgespielte Full-HD, 16:9-Video und das Set mit 18 in Glasflaschen abgefüllten Parfüms gehören. 

Ich frage ihn, wie es ihm an der Kunstakademie Stuttgart geht, und er berichtet, dass er dabei ist, mit seinen Studenten einen Auftritt zur Art Basel vorzubereiten. Ich entgegne, dass ich nicht mehr auf die Art Basel gehe, weil es mich ärgert, dass man dort Leute wie mich nicht mehr sehen will, wenn man für eine Tageskarte 69 Franken verlangt. Jankowski erläutert, dass die mit seinen Studenten geplante Aktion in der Stadt Basel stattfinden, damit öffentlich sein wird und von jedermann gesehen werden kann. Ich sage ihm, dass ich das gut finde. Jankowski hat jetzt Hunger und will sich auf den Weg machen. Ich empfehle ihm, in die Zelthalle zurückzugehen. Der dort angebotene Hefezopf und der von Markus Heid vom gleichnamigen Fellbacher Weingut für die Triennale kreierte Weißwein seien sehr gut. Er brauche etwas Festeres, sagt Jankowski. Und mit einem jetzt getrunkenen Glas Wein würde er umkippen.

Wir starten zu unserer dritten Runde und sehen zwei Frauen vor Jankowskis Video sitzen. Im Nachgang lese ich in dem ihrem Gründer Friedrich-Wilhelm Kiel (1934–2022) gewidmeten Triennale-Katalog, dass Christian Jankowskis multimediales Werk »Smell Maneuver« für die 16. Biennale de Cuenca in Ecuador entstanden ist und „eine speziell hergestellte Parfümlinie, eine ortsspezifische Performance mit der Guardia Ciudadana Cuenca (Bürgerbrigade) Ecuadors und eine Fotoserie im Format einer Kampagne vereint. Zusammen mit einem Parfümeur entwickelte Jankowski 18 verschiedene Düfte, die jeweils mit aussagekräftigen Titeln wie »Soft Power«, »Conspiracy Theory«, »Democracy«, »Race and Gender Factors« und »Ideologie« versehen wurden. Diese Schlüsselwörter wurden direkt aus dem Kurator✷innenkonzept der Biennale entnommen und dienten dem Parfümeur als Inspiration für neue Duftkompositionen. Durch diesen Prozess wurde die Parfümlinie Smell Maneuver geboren, abgefüllt und etikettiert. 

Die Bürgergarde wurde dann zu einer verlassenen Siedlung in den ecuadorianischen Anden gebracht, wo sie an einer Übung mit der Parfümlinie teilnahm. Anstelle der traditionellen Formen des Einsatztrainings führten die Wachen ein einzigartiges »Manöver« durch, das den Geruchssinn der Teilnehmer✷innen herausforderte. Die Ordnungshüter✷innen wurden in zwei gegnerische Gruppen zu je neun Personen aufgeteilt, die jeweils mit einer Körperkamera ausgestattet und mit einem der 18 Parfüms besprüht wurden, und mussten dann den Duft ihrer Gegner identifizieren, während die Drohnen- und die Körperkameras die Veranstaltung aufzeichneten. Sobald das Parfüm einer✷s Teilnehmers✷in identifiziert war, brach dieser zusammen, was eine Niederlage im Kampf symbolisierte. Auf diese Weise wurde die Verwendung von Düften zu einer spielerischen und doch intensiven Erkundung zeitgenössischer sozialer Themen“ (Mica Levine im Katalog zur Ausstellung, S. 75).

Mit Arbeiten wie Bendedict Hipps »Songs from the Orbs«, 2021–2025, Angelika Loderers »Schüttlöchern«, 2024, den »Rare Earthenware«, 2015 des Künstler✷innenkollektivs Unknown Fields und der Arbeit »Misu na Misu«, 2025 des Duos Christ Mukenge und Lydia Schellhammer ging es mir ähnlich: Benedikt Hipps »Songs from the Orbs« erschließen sich, wenn man im Katalog liest, dass er sich in seiner Mikrometeoriten nachempfunden Keramik mit der These befasst, dass das Leben durch Nukleobasen in Meteoriten auf die Erde gelangt sein könnte, die Meteoriten die greifbare Verbindung zwischen Himmel und Erde darstellen und die Erde nach dem heutigen Stand der einzige belebte Planet ist (vergleiche dazu Claudia Emmert im Katalog S. 73).

Angelika Loderer beschäftigt sich mit tierischen Habitaten, die sich zumeist der menschlichen Wahrnehmung entziehen. So hat sie Abdrücke von Maulwurfsgängen, Grillenlöchern oder Brutzellen der Mörtelwespe und von Spechten ausgehöhlten Baumlöchern angefertigt. Mit Wachs, Lehm, Metall oder Gips bringt sie diese verborgenen Lebensräume in die Ausstellung (vergleiche dazu Ina Neddermeyer im Katalog, S. 77). Die dunkelbraunen Vasen des Künstler✷innenkollektivs Unknown sind aus dem Giftschlamm geformt, der bei der Förderung seltener Erden in der Inneren Mongolei bei Baotou entsteht. Die Größe der Gefäße „entspricht der Abfallmenge, die bei der Produktion von einem Smartphone (380 g Giftmüll), einem Laptop (1,22 kg Giftmüll) und der Batteriezelle eines Elektroautos (2,66 kg Giftmüll) entsteht. Jedes Gefäß wird zu einem Zeugnis für den ›giftigen Schatten, den unsere Alltagsgegenstände auf die Erde werfen‹“ (Claudia Emmert, S. 139).

Das für die Triennale entstandene Objekt »Misu na Misu« des Duos Christ Mukenge und Lydia Schellhammer bezieht sich auf einen populären Song aus Kinshasa, der vom Tanzen handelt und nach dem Ursprung und sozialen Kontext bestimmter Tanzstile fragt. „Auch in der Skulptur geht es um international zirkulierende Symbole, deren Bedeutung sich in verschiedenen sozialen Räumen verändert. Traditionelle afrikanische Wachsstoffe werden mit gefälschten Markensymbolen und digitalen Zeichen bedruckt, Lounge Bars in Kinshasa heißen beispielsweise ZOOM und SIGNAL. Namensrechte haben hier offenbar wenig Bedeutung, sodass die digitalen Plattformen Eingang in die analoge Welt finden konnten. Über ein Video erhalten die Betrachter- ✷innen Einblick in diese Bars. Durch das digitale Übersetzungsmedium des Films erfährt der analoge Raum eine Hybridisierung, die über Augmented-Reality-Elemente noch gesteigert wird. Digitale Zeichnungen schwirren durch die abgefilmten Räume. Reale und imaginäre Bildwelten verdichten sich so zu etwas Neuem. Diese digitale Verfremdung wiederum erhält eine analoge Präsenz durch die Einbindung des Videos in ein skulpturales Objekt, das durch seine Bemalung als Malerei im Raum gedeutet werden kann“ (Claudia Emmert, S. 155).

Arbeiten wie »Ore Organization (Tellurion)« der Preisträgerin des Ludwig Gies-Preises für Kleinplastik von der LETTER Stiftung Köln Mariechen Danz, Sven Windszus’ »Lebensraum«, Emma Adlers »POV: o Mutter deine Blumen / bleich wie du im Neonlicht«, Anna Dumitrius »Cholera Dress«, Anke Bolls »please don´t wattier me, ihm artificial (2)« oder »Extiction to go/The Football, AI aided sculpture« des Preisträgers OA Krimmel sind zugänglicher: 

Danz fragt, was man wissen kann und wie man zu Wissen kommt. Sie verortet die Wissensproduktion im menschlichen Körper. Im Körper ist es das tradierte, intuitive Wissen präsent, das alle Lebewesen generationsübergreifend prägt. Die Vorstellung vom Himmelskörper hat sich im Gegensatz dazu stark gewandelt. Er wurde vom Ort des Glaubens über den Raum der Hoffnungen und Erwartungen zu einem Ort möglicher Ressourcen und zukünftiger Habitate. Indem Danz den Himmelskörper aus fossilisierten, in Metall gegossenen Spuren menschlicher Organe formt, verweist sie auf die Subjektivität und Selbstbezogenheit der Menschen. Ihr Impuls ist es, die prägende Zweiteilung westlichen Denkens … aufzugeben – und stattdessen in Rundungen zu denken. Die Organe des Himmelskörpers bilden Inseln. Ein sinnlicher Verweis der Künstlerin auf das archipelische Denken von Édouard Glissant, das er mit der Metapher der Insel beschreibt und dem kontinentalen Denken gegenüberstellt (vergleiche dazu Claudia Emmert im Katalog S. 66).

 Windszus’ »Lebensraum« zeigt, dass das Wachstum der Erdbevölkerung den Meeresspiegel steigen lässt, Anna Dumitriuas’ »Cholera Dress« erinnert an die Cholera und andere durch Bakterien und Viren verursachte Menscheheitskatastrophen. Anke Boll greift den in Fellbach gepflegten Anbau von Spargel auf. Aber ihre aus dem Rohmarterial von Plastikflaschen im 3D-Ducker produzierten Spargelstangen brauchen kein Wasser. Und OA Krimmel, der zweite Träger des Ludwig Gies-Preises, spielt mit der Furcht vor einer möglichen atomaren Katastrophe, wenn er mit seinem scheinbar unscheinbaren Lederkoffer auf die im atomaren Ernstfall eingesetzten mobilen Kommandozentralen verweist.

Die Arbeiten der rund 60 Künstler✷innen sind den sechs Abteilungen kultivierte, verlorene, toxische, postkoloniale, hybride und zukünftige Habitate zugeordnet. Sie erschließen sich, wenn man ihre Hintergründe kennt. Deshalb geht es auch in Fellbach um informiertes Sehen.

Der von Claudia Emmert und Ina Neddermeyer zur Ausstellung herausgegebene Katalog »Über_Lebensräume« kann dabei gute Dienste leisten. Er hat die ISBN-Nummer 978-3-948258.02-3, 226 Seiten, zahlreiche Farbabbildungen, eine Klappenbroschur und kostet in der Ausstellung 25 €.

ham, 27. Mai 2025

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