E.A. Seemann Verlag, Leipzig, 2024, ISBN 978-3-86502-529-6, 144 Seiten, 85 Farbabbildungen, flexibler Einband (Klappenbroschur), 25 x 19,5 cm, € 25,00 (D) / € 25,70 (A)
Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 7. März bis 16. Juni im Museum der bildenden Künste Leipzig
Der am 30. Juli 1929 in Schönebeck an der Elbe geborene und am 27. Mai 2004 in Leipzig verstorbene Maler, Zeichner und Grafiker Werner Tübke (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Tübke und https://www.galerie-schwind.de/kuenstler/werner-tuebke/) war einer der bedeutendsten Maler der DDR und gehörte mit Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer und Heinz Zander zur sogenannten Leipziger Schule. Sein Gemälde ›Arbeiterklasse und Intelligenz‹,1970 – 1973, Öl und Tempera auf Pressspanplatten, 268,5 x 1377 cm, zählt zu den Hauptwerken der Leipziger Schule und gilt als eines der bedeutendsten Beispiele realistischer Malerei im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts (vergleiche dazu https://www.kustodie.uni-leipzig.de/fileadmin/Einrichtung_Kustodie/Besuch/Tafel_Tuebke_Besuch_Campus_10.pdf ). Weit über die DDR hinaus bekannt geworden ist Tübke mit seinem monumentalen Bauernkriegspanorama ›Frühbürgerliche Revolution in Deutschland‹, 1976 – 1983, 1400 x 12300 cm, Bad Frankenhausen/ Kyffhäuser (vergleiche dazu https://www.panorama-museum.de/de/bildsaaltour.html), das für den Kunsthistoriker Eduard Beaucamp ein apokalyptisches Welttheater darstellt und als historische Parabel menschlicher Irrungen und Wirrungen verstanden werden kann.
Dass Tübke 1971, 1972 und 1974 trotz der heftigen Kritik an seinem symbolischen Stil mit seinen Rückbezügen auf die Renaissancemalerei und der kontroversen Diskussion um sein Propagandabild ›Arbeiterklasse und Intelligenz‹ (vergleiche dazu https://www.welt.de/kultur/article4393010/Leipzig-haengt-Tuebkes-DDR-Propaganda-Bild-auf.html) nach dem für viele DDR-Bürger unerreichbaren Italien reisen konnte, ist ungewöhnlich. Aber es zeigt sein Durchsetzungsvermögen und war aus seiner Sicht konsequent, weil der Dreh- und Angelpunkt seiner Kunst Italien war. „Von den rund 400 Gemälden seines Œuvres sind etwa 15 % sicher von Italien direkt beeinflusst. Indirekt dürften es weit mehr sein. Dasselbe ließe sich von seinen rund 530 Aquarellen und Tausenden von Zeichnungen sagen. Dabei interessierte sich der … in Leipzig verstorbene Künstler hauptsächlich für die Epoche des Humanismus und der Renaissance, für das klassische Italienbild also. Insofern war Tübke ein Klassizist. Doch das ist natürlich nur die halbe Wahrheit … Tatsächlich birgt die ›bittersüße Quelle der Klassik‹ nolens volens eine Ambivalenz. Denn zum einen sind Renaissance und Humanismus nicht zwingend Synonyme für Menschlichkeit und zum anderen standen diese Begriffe in einem latenten Widerspruch zur gesellschaftlichen Realität. Es ist daher folgerichtig, dass Tübkes Interesse nicht allein den traditionellen Kompositionsprinzipien von Antike und Renaissance galt, sondern mehr noch dem antiklassischen Stil des Manierismus“ (Frank Zöllner S. 11).
Seine frühe Neigung zum Manierismus zeigt am besten sein Gemälde ›Am Strand Roma Ostia II‹ von 1974 (vergleiche dazu https://www.sister-mag.com/artzine/tuebke-und-italien-im-mdbk-leipzig/). „Antiklassisch und damit manieristisch sind hier die langen Gliedmaßen, die nervöse Struktur der Muskulatur sowie die exzentrischen Posen und das exotische Kolorit“ (Frank Zöllner a. a. O.). Der Manierismus erlaubte ihm aufgrund seiner inhaltlichen Widersprüchlichkeit und Ambivalenz größtmögliche Gestaltungsspielräume und war daher besonders geeignet, Spannungen eines Künstlers in einem autoritären Staat auszuhalten. So scheint sein Gemälde ›Der Tod in Venedig‹ von 1973 (vergleiche dazu https://100schaetze.klassik-stiftung.de/objekt/werner-tuebke-der-tod-in-venedig-1973/) eine Bootsfahrt der besseren Gesellschaft zu schildern. Die Zügel der von metallenen Pferden gezogenen Gondel hält ein Mischwesen aus Bischof, Tod und Teufel in seinen Händen. Im hinteren Teil des Boots und auf der Brücke sind Vertreter der besseren Gesellschaft zu erkennen, vor dem Eingangsportal der Kirche San Moisè ein Bettelmönch und eine Gruppe aus den unteren Schichten. In der Entwurfsfassung seines Triptychons ›Der Mensch – Maß aller Dinge‹ von 1975 für den Palast der Republik kombinierte Tübke klassische und manieristische Stilelemente. Hauptsächlich manieristisch sind hingegen die monochromen Predellabilder gestaltet (vergleiche dazu https://www.google.com/search?client=safari&rls=en&q=Werner+Tübke,++Entwurf:+Der+Mensch-+Maß+aller+Dinge&ie=UTF-8&oe=UTF-8#vhid=5i0ByO9VgVOI4M&vssid=l&ip=1).
Als Emilio Bertonati im Jahr 1971 Werke von Werner Tübke in seiner Galleria del Levante in Mailand ausgestellt hat, war er bereits ein angesehener Galerist (vergleiche dazu https://www.mart.tn.it/de/mostre/symbolismus-und-neuer-sachlichkeit-die-galleria-del-levante-153045). Bertonati scheint durch sein Interesse an der Neuen Sachlichkeit und seine Forschungen zu Otto Dix auf Tübke gestoßen zu sein und hat dann offiziell um eine Ausstellung angefragt. „Die Entscheidung des Ministeriums für Kultur (MfK), Tübkes Ausstellung nach Bertonatis Anfrage als offizielle DDR-Ausstellung zu befürworten und diese Chance zu nutzen, den eigenen Staat im westlichen Ausland zu präsentieren, hatte der damals in der DDR noch umstrittene Künstler nicht zuletzt seinem Förderer Alfred Kurella, einem DDR-Kulturfunktionär, und vermutlich dessen Ehefrau Sonja Kurella zu verdanken … Die Bilderschau verhalf Tübke, seinen lang gehegten Traum, nach Italien zu reisen, in die Tat umzusetzen: Ihm wurden acht Aufenthalts- und zwei Reisetage genehmigt, sodass er an der Vernissage seiner ersten Ausstellung in Italien am 11. Mai 1971 teilnehmen und anschließend Stationen in Florenz, Fiesole und Rom machen konnte“ (Elisabeth Lingthaler S. 43). Die Ausstellung bei Bertanoti verhalf Tübke zu seinem internationalen Durchbruch.
Der zur Ausstellung zum 20. Todestag von Werner Tübke im Museum der bildenden Künste in Leipzig erschienen Katalog versammelt die besten und bekanntesten Italienbilder des Künstlers und stellt sie seinen italienischen Vorbildern gegenüber (vergleiche dazu https://mdbk.de/ausstellungen/tuebke-und-italien/).
ham, 6. April 2024