Katalog zur gleichnamigen Ausstellung vom 17. November 2017 bis 28. Januar 2018 im MKM Museum
Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg, herausgegeben von Walter Smerling und Christian Malycha
mit Texten von Demosthenes Davvetas, Kay Heymer und den Herausgebern
Stiftung Kunst und Kultur, Bonn / Wienand Verlag, Köln, 2017, ISBN 978-3-86832-402-0, 264 Seiten, 117
Farbabbildungen, Hardcover gebunden mit Leinenrücken, Format 28,5 x 24,7 cm, € 48,00 / CHF 58,60
Malereien von Bernd Koberling konnte man in den ersten 1980er Jahren in dem von Christos M.
Joachimidis, Norman Rosenthal und Nicholas Serota 1981 zur gleichnamigen Ausstellung in der Royal
Academy of Arts, London herausgegebenen Katalog A New Spirit in Painting, 1982 in der vom Neuen
Berliner Kunstverein im Martin-Gropius-Bau in Berlin verantworteten Ausstellung Zeitgeist und 1984 unter
anderem in den Katalogen Die wiedergefundene Metropole. Neue Malerei in Berlin und Ursprung und
Vision. Neue Malerei in Deutschland begegnen. Helmut Klotz hat Koberling im selben Jahr in seiner
Annäherung an die heftige Malerei als eines der „einflußreichsten Vorbilder der Neuen Wilden“ bezeichnet
(Heinrich Klotz, Die Neuen Wilden in Berlin, Stuttgart 1984, S. 7). Bernd Zimmer bestätigt das, wenn er
erzählt, dass er, als er nach einem Mexiko-Aufenthalt beschlossen hatte, alles andere an den Nagel zu hängen
und Maler zu werden, „zu Bernd Koberling gegangen“ sei und zu ihm gesagt habe: „›So, nun hilf mir mal‹.
Koberling wohnte über mir im selben Haus, und er hat mir die erste Leinwand aufgespannt“ (Bernd Zimmer
in Heinrich Klotz, a. a. O. S.182).
Wer bisher nur Bilder aus Koberlings neoexpressiver Phase und den 1980er Jahren gekannt hat, ist von der
Spannweite seines Gesamtwerks und von seinen immer neuen malerischen Zugriffen auf seine
Lebensthemen Natur und Landschaft als Sinnbild des menschlichen Daseins geradezu überwältigt
(vergleiche dazu etwa https://www.google.de/search?
q=bernd+koberling+k%C3%BCppersm%C3%BChle&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ved=0ahUK
EwjDuu6O_sXYAhXBCOwKHcByChAQsAQIUg&biw=1633&bih=935).
Wenn man die von Christian Malycha für Koberlings Retrospektive im MKM Küppersmühle
vorgeschlagene Gliederung mit der Anzahl der Neuformulierungen seiner Malerei gleichsetzt, hat der in
Berlin und Island lebende und arbeitende Ausnahmemaler seine Malerei in den letzten 60 Jahren nicht
weniger als neunmal neu erfunden. Am Anfang stehen die Fjorde und Hüttenbilder (1963 –1964) und seine
Bilderfindung der Überspannungen (1965-1969), bei denen über eine mit Bäumen, Bergen oder Felsen
bemalte und getrocknete erste eine zweite Nesselschicht gespannt wird. „Auf dieser trägt Koberling nun
Horizont, Himmel und Wolken ein. Das Dauerhafte liegt zuunterst, das Wechselhafte darüber. In einem
abschließenden dritten Schritt wird die Leinwand mit einer weißen, halbtransparenten Kunststofffolie
überzogen, denn die eigentliche Landschaft bildet sich erst aus beiden Ebenen. Durch die Folien verstärkt,
durchdringen sich Grund und Oberfläche. Die farbigen Gegensätze und Kontraste nähern sich einander und
werden zu einem unauflösbaren Ganzen. Mit den ›Überspannungen‹ erfindet Koberling eine Bildform, die
völlig aus der Zeit fällt“ (Christian Malycha S. 43).
Es folgen die in einer Schaffenskrise in der Villa Massimo in Rom entstandenen intensiven und emotional
hoch aufgeladenen Rombilder (1969 – 1970), die in Kunstharz und Öl gemalten Jutebilder (1974 – 1982),
die neo-expressiven Mensch- und Tierbilder (1982 – 1987) und Ende der 1980er Jahre die Hinwendung zum
Mikrokosmos (1988 – 1990). „Mit gereiftem Verständnis für eine Farbigkeit, die in sich naturhaft ist, erneuert
Koberling ab Mitte der 1990er Jahre seine Malerei. Von Grund auf. Zu den einzelnen, unsteten Phänomenen
treten nun die umfassenden und elementaren Lebenskräfte der Natur hinzu: die Elemente, der Zyklus der
Jahreszeiten und die Zeit“. Malycha spricht jetzt von Grundkräften (1990 – 1998) (Christian Malycha S.
151). 1999 – 2011 entstehen die in Acryl auf Kreidegrund auf Aluminium gemalten Pattenbilder, in denen
die Farbe alles „Starre“ und „Festgewordene“ verliert und wie bei Aquarellfarben in immaterielle, körperlose
„Transparenz“ und reine „Sichtbarkeit“ übergeht (Christian Malycha S. 171). Man liegt sicher nicht falsch,
wenn man bei der Formfindung, Farbwirkung und Aura dieser abstrakt-lyrischen Bilder auch an Sam Francis
denkt. 2012 kehrt Koberling wieder zu Öl und Ölbildern zurück. „Koberling weitet sie zu einem
allumfassenden Erfahrungsraum, in dem das hell aufblühende Eigenlicht der Farbe, ihr in immer neuer
Resonanz erklingendes Beziehungswesen und ihre vom überquellenden Fluss der Erinnerungen und
Empfindungen getragene Geschichte unauflösbar miteinander verbunden sind“ (Christian Malycha S. 199).
Im Kontext der Ausstellung Vitales Echo: Bernd Koberling und seine Schüler hat der Maler 2016 davon
gesprochen, dass die Malerei für ihn eine „never-ending story“ und wie „einatmen und ausatmen“ sei und
dass sie von Krise und Erneuerung lebe. „Krisis heißt auf Altgriechisch Entscheidung, wo das Alte nicht
mehr ganz zutrifft und das Neue noch nicht richtig angefangen hat. Nur aus diesem Konflikt entstehen neue
Formen und intensive Bilder, – eigentlich bin ich ein Krisenliebhaber!“ (Bernd Koberling im Interview mit
seinem Schüler Peter Stauss. In: http://www.artberlin.de/vitales-echo-professor-koberling-und-seineschueler-
im-kuenstlerhaus-bethanien/). Walter Smerling fasst sich kurz und knapp. Für ihn ist Bernd
Koberling nichts weniger als ein „Bewahrer und Erneuerer der malerischen Möglichkeiten nach der
Moderne“, „der sich immer neu erfunden hat“ und „die Malerei als Forschungsfeld mit offenem Ausgang
versteht“ (Walter Smerling S. 11). Beidem ist nichts hinzuzufügen.
ham, 7. Januar 2018