Böhlau Verlag, Köln. Weimar. Wien, 2017, ISBN 978-3-412-50379-6, 278 Seiten, 45 schwarzweiße und 170
farbige Abbildungen, Hardcover gebunden, Lesebändchen, Format 28,5 x 22,5 cm, € 34,99 (D) / € 36,00 (A)
Evangelische Kirchen werden im kollektiven Gedächtnis im Gegensatz zu den katholischen eher karg und
schmucklos erinnert. Auf die reformierten Kirchen in der Schweiz und auf die an sie angrenzenden
lutherischen Kirchen in Württemberg trifft das in aller Regel zu. Dass es auch anders geht, zeigt die in den
Jahren 1565 –1576 erbaute und mit 70 Gemälden des flämischen Malers Martin de Vos ausgestattete
Schlosskapelle in Celle: Der rund zwanzig Jahre nach dem Tod von Martin Luther entstandene Kirchenraum
erscheint ungemein prächtig. Er ist das wohl einzige vollständig erhaltene Beispiel früher protestantischer
Kircheneinrichtungen mit einem überreichen Bildprogramm (vergleiche dazu https://www.google.de/search?
q=schlosskapelle+celle&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ved=0ahUKEwjDwJrPwI7XAhWIAxoKH
ZCNBeoQsAQIPw&biw=1500&bih=936, abgerufen am 26.10.2017). Für den Kunsthistoriker Rolf Bothe
steht Celle zusammen mit 134 weiteren protestantischen und einzelnen katholischen Kirchen und Kapellen
unter anderem aus Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Nordhessen, Franken, Brandenburg, Niedersachsen
und Mecklenburg für die Folgen, die die Reformation für den Gottesdienst und den Kirchenraum gehabt hat.
Die Publikation wendet sich insbesondere an Leser, „die bislang wenig oder kein Interesse für Kirche und
Religion hatten“. Es ist ihr Ziel, „anhand des Themas deutlich zu machen, dass unsere Geschichte und Kultur
auf der griechischen und römischen Kultur gründen und von der jüdisch-christlichen Tradition geprägt und
geformt wurden“ (Rolf Bothe S. 22). Das erklärt Bothes Exkurse in die Kirchen-, Kultur- und
Kunstgeschichte und seine Einführung in Grundbegriffe der Ekklesiologie, Christologie und Liturgie. Im
Zentrum aber stehen Fragen der mit der Reformation einhergehenden Veränderungen in der
Kirchenausstattung, „von denen der Kanzelaltar und die Emporen die prominentesten sind. Diese wiederum
waren die Folge der in der Reformation aufgestellten Sitzbänke, die ihrerseits viel Platz im Kirchenraum
einnahmen und so zum Einbau von Emporen führten“ (Rolf Bothe S. 34).
Für Luthers Verständnis des Gottesdienstes war das in der Predigt lebendig zugesprochene Wort Gottes
zentral und damit die Predigt von der Kanzel. Zwar gab es bereits im 13. Jahrhundert in Italien steinerne
Kanzeln. Aber ausschließlich der Predigt dienende Kanzeln haben sich erst im späten Mittelalter verbreitet.
„Die älteste Kanzel Deutschlands entstand 1422 in Sankt Martin zu Landshut. Vor allem kurz vor der
Reformation entstanden äußerst aufwendige und prachtvolle Kanzeln wie die um 1512 geschaffene im
Wiener Stephansdom“ (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Kanzel_des_Stephansdoms_(Wien),
„die berühmte Tulpenkanzel im sächsischen Freiberg (um1505)“ (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/
wiki/Freiberger_Dom) „oder die um 1518 entstandene Kanzel in Sankt Annen zu Annaberg-Buchholz“ (Rolf
Bothe S. 37 ff.). Die Kanzel steht traditionell am südlichen Teil des Triumphbogens. In der 1544 von Luther
persönlich eingeweihten Schlosskapelle von Torgau ist sie an der Längsseite angebracht (vergleiche dazu
https://www.google.de/search?biw=1500&bih=936&tbm=isch&sa=1&ei=7-
DyWY66F4u4aYuJv5AD&q=schlosskapelle+torgau&oq=Schlosskapelle+Torgau&gs_l=psy-ab.
1.0.0.597737.607559.0.611144.21.21.0.0.0.0.155.2048.20j1.21.0….0…1.1.64.psy-ab..
0.21.2043…0i24k1.0.IHsOC7rYwZQ#imgrc=J-p8nu1kZMPT0M:). Die zwischen 1581 und 1590 erneuerte
Schlosskapelle in Rotenburg ob der Fulda ist wie Torgau eine Querkirche „In der Rotenburger Schlosskapelle
sind Kanzel und Altar erstmals übereinander angeordnet. Es ist der Beginn einer rasanten Entwicklung des
Kanzelaltars“ (Rolf Bothe S. 86). „Auf einen einfachen Nenner gebracht, bezeichnet er den
Zusammenschluss des Altars mit der darüber angebrachten Kanzel und damit die Verbindung von Wort und
Sakrament […]. Die frühesten Kanzelaltäre entstanden 1581 […] und 1590 in Schmalkalden. Der
Schmalkaldener Kanzelaltar besteht noch aus drei Prinzipalstücken: dem freistehenden Altartisch, der
darüber angebrachten Kanzel und der Orgelempore im Obergeschoss. Bereits 1612 wurde die
Friedhofskapelle in der oberhessischen Stadt Schlitz mit einem Kanzelaltar versehen (vergleiche dazu Rolf
Bothe S. 97 und https://www.google.de/search?
q=Friedhofskapelle+Schlitz&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ved=0ahUKEwj18K272I7XAhUFuBo
KHRpdAOsQsAQIPA&biw=1500&bih=936#imgrc=A3jZgd5jnzqaoM:). „In den Schlosskapellen von
Gotha, Weimar und Weißenfels verschmilzt der Kanzelaltar allmählich zu einer Einheit, gefolgt von den
aufwendigen Altären in Eisenberg und Saalfeld […]. Der Kanzelaltar wird zum gottesdienstlichen Zentrum
der Kirche. […] Peter Poscharsky formulierte 1963 resümierend; ›Wir können also nicht umhin, dem
Kanzelaltar und dem durch ihn bestimmten Kirchenraum höchstes Lob zu zollen; eine derartige
Übereinstimmung von zeitgenössischem Wollen und Erfordernissen der gottesdienstlichen Praxis hat es im
lutherischen Kirchenbau nie zuvor und nie danach gegeben‹“ (Rolf Bothe / Peter Poscharsky S. 97 f.;
vergleiche dazu https://www.google.de/search?
q=kanzelaltar&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ved=0ahUKEwiP77Ht147XAhWMXhoKHcTiCLIQ
sAQIRA&biw=1500&bih=936)).
Wie Altäre waren Emporen auch schon im Mittelalter zu finden. Aber im Protestantismus veränderte sich
ihre Funktion und ihre Einbindung in eine neue Raumkonzeption. „Vor allem die Emporenbrüstungen
wurden für bildliche Darstellungen und Textstellen aus der Bibel sowie Porträts von Aposteln und Propheten
genützt“ (Rolf Bothe S. 42). Gestühl gab es im Mittelalter außer dem Chorgestühl für die Geistlichkeit nicht.
„Sitzgelegenheiten für die Gemeinde tauchen erstmals gegen 1500 in einigen Gemeinden in Rheinhessen auf
[…]. Die katholische Kirche lehnte das Sitzen in der Kirche zunächst grundsätzlich ab. Erst als das
Kirchengestühl um 1600 in protestantischen Kirchen zur Regel wurde, hat sie das Gestühl ähnlich wie die
Kanzel und die Orgel zögernd akzeptiert“ (Rolf Bothe S. 42 f.). „Bilderstürmer wie Andreas Karlstadt
lehnten Musik in der Kirche ab – Luthers Begeisterung für die Musik ebnete jedoch der Orgel und der
Instrumentalmusik in den Kirchen den Weg. ›Ich liebe die Musik. Auch die Schwärmer gefallen mir nicht,
weil sie die Musik verdammen. Denn sie ist 1. ein Geschenk Gottes und nicht der Menschen; 2. sie macht
fröhliche Herzen; 3. sie verjagt den Teufel; 4. sie bereitet unschuldige Freude. Darüber vergehen Zorn,
Begierden, Hochmut. Den ersten Platz nach der Theologie gebe ich der Musik‹“ (Rolf Bothe / Martin Luther
S. 71 f.).
Weitere Kapitel befassen sich mit den Bildern, den Bildwerken, und dem Bildersturm in protestantischen
Kirchen, dem Tabernakel-Hochaltar und Retabel-Kanzelaltar in Thüringen und Franken, der Neugotik als
Kirchenstil und den theologischen Streitigkeiten auf dem Weg von der Reformation zur Aufklärung.
ham, 27. Oktober 2917