Katalog zur gleichnamigen Ausstellung vom 6. September bis 12. Oktober 2013 in der Galerie Max Hetzler,Berlin mit Texten von Daniel Mendel-Black, Philipp Schwalb und einer Diskussion zwischen André Butzer und Daniel Mendel-Black
Galerie Max Hetzler Berlin / Holzwarth Publications, 2013. ISBN 978-3-935567-66-4, 64 Seiten, 32
Farbabbildungen, Hardcover gebunden, Format 32 x 34,4 cm, € 35.00
André Butzer hat mit seiner Hinwendung zur Abstraktion für gehörige Irritationen gesorgt und in der
Kunstkritik und bei Sammlern eine wohl noch lange nicht abgeschlossene Diskussion über die Frage
ausgelöst, ob sich diese Kehre als konsequente Weiterentwicklung seines bisherigen Malwegs verstehen lässt oder ob er mit seinen neuen, im ersten Moment schwarz – weiß erscheinenden Bildern vielleicht nicht doch einen Haken geschlagen und den Ausstieg aus seiner bisherigen, immer wieder von Comics und Cartoons heimgesuchten Bildwelt probiert hat.
Philipp Schwalb plädiert in seinem Essay „Gemeinsame Quelle von B.U.N.T. (O.) ist Formfarbbildfrage“ für einen Mittelweg, für die Kombination der alternativ angedeuteten Möglichkeiten und damit für ein
Miteinander von Kontinuität und Neuanfang. Er sieht Butzers Weg in die Abstraktion in den in späteren
Bildgruppen mehrfach transformierten schwarz-weißen Augen seiner Friedens-Siemens-Bildergruppe
angelegt und seinen Ausstieg aus dem um die Jahrtausendwende gängigen Bildbegriff in eben dieser
Bildergruppe vorbereitet: „Im Bild und im Licht haben wir jene verborgene Wesenheit zu suchen und zu
fragen, die imstande ist, sich ein Auge zu schaffen. Vorproduziert Augen sind als Ausgang für die Friedens- Siemense (2000-2008) zu sehen und zu nehmen. Die genommenen Augen bilden die Voraussetzung für Form und Farbe der Friedens-Siemens-Bildergruppe, erzeugen das Bild. Diese Bildergruppe ist Teil einer Vorbereitung, um den Ausstieg und die Abgrenzung vom Bildbegriff, der das Bildverständnis am Ende des 20. Jahrhunderts weitläufig dominiert, zu suchen … Die Friedens-Siemense drehen die Richtung … Das zum Produkt Gefrorene wird durch Liebe, Frieden, Licht und Farbe erhitzt. Die in diese Bilder eingesetzten Augen sind eine sich im Sterben befindende Gesellschaftskunst, eine umkommende Vorstellung von Kunst,die explizit und implizit auf materielle Wirkung setzt …“ (Philipp Schwalb S. 51). Diese Augen erlauben es,auf die drei die Bilder bestimmenden Elemente „Organ, Fleisch und Kopfgestalt“ zurückzublicken, anders gesagt auf das „Einsetzen, das Ausbreiten und die Grenzbildung“ (Philipp Schwalb S. 52) von Licht, Farbe und Form in der Fläche. In gewisser Weise können die von Butzer „das N/die N-Bilder“ genannten Bilder dann durch die Augen der Friedens-Siemense gesehen werden. „Das N/die N-Bilder … sind das, was die Friedens-Siemens-Bilder … sehen bzw. gesehen haben. Also eine (visuelle) Projektion von FS nach N“ (Philipp Schwalb S. 54).
Was wird in den „N-Bildern“ gezeigt? „N“ stand noch im Jahr 2008 für Nasa und der Weg in den
„N-Himmel“ für eine an die Nasa- Bemühungen erinnernde technische Himmelfahrt (vergleiche dazu und zum
Folgenden Helmut A. Müller in: Kommando Tilman Riemenschneider, Edition Hospitalhof Stuttgart 2008, S.
23). In Butzers starkfarbiger Malerei „N-Himmel“, 2006, 280 x 220 cm herrscht ein übergroßes Gedränge.
Die Bildfläche wird von unzähligen Köpfen mit schwarz-weißen, vertikal ausgerichteten Augen, also von
Friedens-Siemens-Menschen, von Köpfen mit leeren Augenhöhlen, Butzer nennt sie Schande-Menschen, und
von offenen und geschlossenen Linien und Strukturen überwuchert. In dieser Bildwelt ist es eng geworden. Es herrscht ein heilloses Durcheinander. Und es wird ein Ausweg, ein Aus- oder ein Überstieg gesucht. Die überwiegende Mehrheit der Siemens-Friedens- und der Schande-Menschen steckt in den Strukturen dieser Bildwelt fest. Aber einzelne schaffen den Aus- und den Aufstieg. Sie kommen im Blau des „N-Himmels“ an.Ob Butzers „N-Himmel“ zur Atmosphäre und sein die Bildfläche dominierendes Blau zur bloßen Farbe geworden ist, bleibt offen. Aber sein Blau ergießt sich wie das Blau in Giottos Fresken in der Arena – Kapelle von Padua über den ganzen Bild- und Weltenraum. Damit könnte auch Butzers „N-Himmel“ zum Sehnsuchts- und Schwellenraum geworden sein, in dem die Dichter und Künstler das Neue erwarten. Für den Betrachter formuliert dieser Bildraum ein mögliches Transzendieren, einen Überstieg. In der Butzer – Zeichnung „Ohne Titel“ Nr. 15 für den Hospitalhof Stuttgart von 2007 tritt ein an einen Clown und Munchs Schrei erinnernder Scream-Mensch vor ein Haus, das zwei Fenster, aber keine Türen kennt. Auf den Hausgiebel ist ein großes „N“ geschrieben, das das Haus zum „Nasaheim“, einem Haus in der Weite des Weltalls macht. Am linken Fenster lehnen Striche wie ein Bündel Haselnussstecken. Sie lassen vermuten,dass der Zeichner den Zugang durch das Fenster erzwingen will. Aber das Fenster und das Haus bleiben verschlossen. Diese Unzugänglichkeit erinnert an die Abgeschlossenheit klassischer Tempel und an die Unterscheidung von heilig und profan. Als profan galt den Römern, was vor dem Heiligtum lag, also der vom eigentlichen Tempel abgegrenzte und jedermann zugängliche Vorraum. Das den Göttern geweihte Sacrum, das Heiligtum war im Tempel verborgen und stand nur den Priestern offen. Wenn man Butzer nach 2004 gefragt hatte, wer in seinem N-Haus wohnt, hat er auf die Maler verwiesen, die ihm zum Vorbild geworden sind. Um 2008 sind abstrakte Lineaturen auf grauem Grund in das N-Haus eingezogen. Roberto Ort spricht 2009 davon, dass in dem N-Haus „abstrakte Kunst versammelt ist, unsichtbar, also im doppelten Sinn unerreichbar“ (Roberto Ort, Dreizehn Würfel. In: André Butzer, Viele Tote im Heimatland. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Kunsthalle Nürnberg, 2009, S. 18).
Butzers ab 2010 entstehenden abstrakten „N-Bildern“ lassen auf eine Öffnung schließen. Das N-Haus und
„Nasaheim“ sind nicht länger verschlossen. Dem Künstler wird jetzt wie vormals nur dem Priester Zutritt zum Allerheiligsten gewährt. Die im Folgenden zitierte, an Traumsequenzen gemahnende außerordentlich dichte Textpassage chiffriert diese Öffnung als Seherlebnis, als nicht erzwingbare, aber vom Künstler sehnlichst erwartete Teilhabe an den Proportionen des Lichts und als Miteinander von Zerstörung und Stiftung von Anfang. „Für mich geht es um einen Traum. Ich muss …zerstören. Ich habe das Readymade zerstört. Wir malen nur für Kirchen. Jedes Bild zerstört endlos alles andere. Ich bin allein und ich kann eine Proportion des Lichts sehen. Wir sind halb Mensch, halb Gott, oder wir sind niemand. Wir können nicht schöpfen. Ich warte auf das heilige Ding, und ich habe es bereits in Perspektive gesehen. Es wird wieder kommen. Es hat mit Tod und Zerstörung zu tun. Es hat nichts mit den Menschen zu tun, weil keine Kunst irgendetwas mit dem Menschen zu tun hat, es liegt näher an der Frequenz nichtwissenschaftlicher DNA, oder es zerstört diese Frequenz und ersetzt sie durch eine neue Frequenz von Licht … Wir sind nicht die Zerstörer.Es handelt sich um eine permanente Stiftung – es geht immer nur um den Anfang. Es ist die friedlichste Angelegenheit, etwas zu zerstören oder es geschehen zu lassen, dass >>es<< etwas zerstört, weil es ja sowieso um den Anfang geht. Das ist klassisch. Ich bin klassisch. Alles ist eins. Ich will Eines in Einen träumen. Meine Kirche ist klassisch. Die Götter müssen zurück kehren, um dieser permanenten Stiftung, die
wir Proportion des Lichts nennen, einen Rhythmus zu geben“ (André Butzer S. 10).
Nach dieser Passage löst sich für Butzer die Trennung von heilig und profan in der am Bildort erfahrbaren Alleinheit auf. Das Heilige ist aus dem Tempel, dem „Nasaheim“ aus- und in die Bildfläche eingewandert. Damit wird die Fläche auf neue Weise heilig. Die „Heiligkeit der Fläche ist mit einem Maß verbunden“ (Butzer S. 9), dem Maß „N“. Seine „N-Bilder“ orientieren sich an diesem von ihm „aufgerufenen künstlerischen Maß >>N<< … >>N<< ist keine errechenbare, rationale Größe, sondern stellt in Butzers Überlegungen … einen ewig wiederkehrenden, schwellenhaften Bild-Ort dar, der Ursprungscharakter aufweist“ (http:// www.maxhetzler.com/exhibtions/andre-butzer-2105/press-de).
Jedes neue Bild Butzers folgt seitdem seinem eigenen, jeweils bildspezifisch ausgeloteten und austarierten Bild-, Form- und Farbaufbau. Eine am Taylorismus orientierte Bildproduktion ist ausgeschlossen. Gegen jeden Augenschein gleicht kein „N-Bild“ einem anderen. Die 2013 bei Max Hetzler vorgestellten Malereien lassen Details aus dem Miteinander von Lasten und Tragen in klassischen griechischen und römischen Tempeln und damit das Miteinander von Architrav und Säule imaginieren. Man ertappt sich dabei, dass man diese Details mit im individuellen und kollektiven Bildgedächtnis abgespeicherten Vorstellungen von idealen Tempeln vergleicht. Die 2015 bei Hetzler gezeigten neuesten Arbeiten der Bildergruppe erinnern mit ihren aufrecht stehenden, schwellenden weißen Formen eher an Lichterlebnisse, die in archaischen Kultstätten wie Stonehenge beim Sonnenaufgang bis zum heutigen Tag herbeigesehnt und erfahren werden. „Je nach Lichtverhältnis und -einfall entfalten die Bilder eine eigene Spannung und Farbigkeit. So lassen schwarze und weiße Bereiche im Zusammenklang bei näherer Betrachtung verschiedenste Nuancen des gesamten Farbspektrums erkennen. Das leicht rötlich schimmernde Schwarz absorbiert das Licht nicht nur, sondern dient selbst lichtspendend der bildnerischen Gesamtheit, welche zur Lichtquelle wird“ (http:// www.maxhetzler.com/exhibtions/andre-butzer-2105/press-de). Jede gelungene Arbeit feiert auf je eigene Weise den neuen Tag und das Leben, das sich mit dem im Bild aufscheinenden Licht gegen Nacht und Tod durchsetzt. Der Künstler wird in dieser Feier wie der Dichter, frei nach Hölderlin, zum Mitstifter dessen, was bleibt: „Was aber bleibt, stiften die Künstler und Dichter".
ham, 18.9.2015
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