Begleitpublikation zu den gleichnamigen Ausstellungen vom 21.6. bis 14.9.2014 in der Kunsthalle Rostock und vom 24.1. bis 19.4.2015 in der Kunsthalle Jesuitenkirche, Museen der Stadt Aschaffenburg, herausgegeben von Richard Hüttel mit Texten von Eduard Beaucamp, Matthias Bormuth, Michael Triegel und dem Herausgeber
Kunsthalle Rostock, Kunsthalle Jesuitenkirche, Aschaffenburg, Galerie Schwind, Leipzig, Frankfurt am Main, Berlin, Hirmer Verlag, München, 2014, ISBN 978-3-7774-2286-2,192 Seiten, 113 farbige Abbildungen, Leinen, gebunden mit Schutzumschlag, Format 30,5 × 25 cm, € 34,90.- (D) / € 35,90.- (A) / CHF 45,80.-
Michael Triegel skizziert in seiner Nachschrift zu seinem vor einigen Jahren entstandenen künstlerischen Credo „Gräber und Auferstehung“, warum ihm Nietzsches Wille zur Kunst zwischenzeitlich um einiges fremder und gleichsam historisch geworden ist.
In seinem künstlerischen Credo hatte er erklärt, dass Kunst, die ihn am tiefsten berührt, meist eine solche ist, „die eine unerfüllte, vielleicht immer unerfüllbare Sehnsucht zur Voraussetzung hat, Sehnsucht nach Überwindung des Schmerzes, nach Auferstehung und Erlösung. Bei all meiner formalen Vorliebe für die Renaissance ist diese Haltung wohl hier der problematischen Natur der Manieristen und der Romantiker von Pontormo bis Tasso, von Novalis bis Wagner verwandt. Das Werk des letztgenannten thematisiert immer wieder diese Sehnsucht nach Erlösung… Mir bietet die Kunst ein utopisches Potenzial, das sich dem Hedonismus unserer Tage entgegenzustellen versucht… Was aber scheint eine Sehnsucht zu zählen angesichts des Materialismus unserer kapitalistischen Gegenwart, liegt doch das Heilsversprechen des Marktes gerade in der Behauptung, jede Sehnsucht erfüllen zu können. Jedes Sehnen und Hoffen soll gleich im Hier und Heute Erfüllung finden, alles sei nur eine Frage des Preises. Ich kann an ein Leben nach dem Tode nicht glauben, so sehr ich mich danach sehne. Wohl kann der Geist, vielleicht die Kunst Auferstehungen ermöglichen, zu erzwingen aber sind sie nicht. Ein Leben mit Tatkraft, Anstand und Verantwortung in der Gegenwart zu führen, ist Aufgabe genug… Der Künstler, der Prophet, singt im Fluss der Zeit, er kündet von Vergänglichkeit, von seinem und anderer Leben, selbst von den Toten, zu denen er hinab gestiegen war. Indem er sich und die Menschen, von denen er singt, seine Welt dem Vergessen entreißt und die Erinnerung bewahrt, erreicht er über den leiblichen Tod hinaus eine Art Auferstehung, die keine des Fleisches sein muss. Er sublimiert Schmerz und Krankheit, Verlust und Todesfurcht – und spricht so von der Fülle des Lebens aus seiner Liebe heraus. Das mag wohl mein credo sein.
Friedrich Nietzsche, dieser Schmerzensmann und Dionysos wusste im Grablied seines Zarathustra: >>Und nur wo Gräber sind, gibt es Auferstehungen.-<<“ (Michael Triegel)
Jetzt konstatiert Triegel, dass die Kunst auch dem Sänger Orpheus die Geliebte nicht ersetzen kann. „Die Kunst vermag wohl Leben zu sublimieren, nicht aber Surrogat für nicht gelebtes Leben zu sein“ (Michael Triegel).
Triegels Nachschrift ist seiner großformatigen Tafelmalerei „Deus absconditus“, 2013, Mischtechnik auf Maltafel, 160 × 62 cm gegenübergestellt. Auf dem Bild „ist eine Rumpelkammer der Geschichte zu sehen, eine tote Bühne der Kunst vor der Dunkelheit eines ewigen Nichts. Die Schwärze und Lehre des Hintergrunds wird zugestellt mit Dingen und Bedeutungen: ein Abendmahlstisch, doch ohne versammelte Gemeinde; ein Zettel mit dem abstrakten Erklärungsversuch der dreieinigen Gottheit…; auch Christi Auferstehung ist nur noch ein Symbol - eine in einem kippenden Holzkasten eingesargte gothische Holzskulptur, kostbar zwar, doch tot… Das Menschliche ist aus dem prunkenden Gewändern gewichen; die Schreibmaschine… produziert keine Texte mehr; das Leben ist geopfert und die Überbleibsel dieser Schlachtung stehen im Pappkarton unter dem Tisch. Während sich der Horror vacui bemüht, die saugende Leere zu füllen und zu überblenden, verstellt er gerade dadurch den Blick auf das Zentrum des Bildes“ (Michael Triegel). Im Zentrum findet sich ein an drei dünnen Seilen aufgehängtes großformatiges Tuch. Es changiert zwischen weiß und chamois und deckt den Gekreuzigten im Hintergrund so ab, dass man nur noch die Kontur seines Körpers und seine durchbohrten Hände sieht. Halb rechts vor der Kreuzigung liegt ein Apfel, der an den Sündenfall erinnert. Im Vordergrund rechts kniet eine in ein Tuch gehüllte, maßstäblich auf die Hälfte ihrer Normalgröße verkleinerte Figur. Auch dieses Tuch und der spitze Hut über den Augenschlitzen changieren zwischen weiß und chamois. Die inkarnatfarbenen Hände zeigen, dass die Figur lebt. Die Hände sind wie zum Beten aneinander gelegt. Zwischen den Fingerspitzen berühren sie eines der Seile, das das Tuch vor dem Kruzifixus in die Höhe hält. Das Seil hat sich am Abendmahlstisch und an der Kiste verheddert, in der die Skulptur mit dem Auferstandenen begraben liegt. Man möchte der Figur zurufen, dass sie das Seil mit beiden Händen packen, an ihm ziehen und so das Geheimnis des Deus absconditus lüften soll. Aber dann sieht man ein, dass sie das nicht vermag und unterlässt den Ruf. Man könnte sich allerdings fragen, ob sich hinter der Maske und dem spitzen Hut der Künstler versteckt… Seine Nachschrift schließt die Vermutung nicht aus, bestätigt sie aber auch nicht: „So scheint mir das Gemälde kritische Selbstbefragung und Kritikversuch an der gegenwärtigen Gesellschaft gleichermaßen. Werden wir nicht täglich versucht, durch die Produktion, die Anhäufung, den Konsum von Dingen eine innere Leere zu füllen? Indem wir diese Leere mit Gegenständen verstellen, erzeugen wir eine Enge, die uns unbeweglich macht. Archimedes lehrt, dass da, wo ein Körper ist, kein zweiter sein kann. Heute lernen wir, dass durch die Übermacht toter Dinge kein Raum bleibt für die immateriellen Werte der Menschlichkeit“ (Michael Triegel). Triegels Gegenbild ist seine gleich nach dem „Deus absconditus“ gemalte „Kreuzabnahme“ von 2013. Sie stellt einen toten Körper ins Zentrum, dessen formale Schönheit und kraftvolle Physis „den Keim zu einer österlichen Auferstehung in sich“ zu tragen scheinen. „Der Hintergrund des Bildes zeigt nicht mehr die Schwärze des Todes, sondern das Grünen und Wachsen eines ‚Karfreitagszaubers‘ “(Michael Triegel), den auch Parzival nach einem langen Winter erlebt, als er sich durch Mitleid und Liebe aus Selbstbezogenheit und Hedonismus befreit sieht. An die Stelle der Sublimation durch Kunst sind Mitleiden und Liebe getreten, an die Stelle von Nietzsche Wagner.
Mitleiden und Liebe wären womöglich auch eine Brücke zum Doppelgebot der Liebe und zum Deus revelatus, zum offenbaren Gott gewesen. Für Jesus von Nazareth gelten die Gebote, Gott zu lieben und seinen Nächsten wie sich selbst als die größten Gebote. An diesen beiden Geboten hängen das ganze Gesetz und die Propheten. Und wenn man dem Liederdichter Johannes Rist folgt, ist Gott am Kreuz gestorben: „O große Not! Gott selbst liegt tot! Am Kreuz ist er gestorben; hat dadurch das Himmelreich uns aus Lieb erworben“. Aber so weit geht Triegel in seiner Nachschrift nicht. Ihm genügt es, an Kundrys Ruf „Dienen… Dienen!“ im Parsifal und an Nietzsches Mitleid mit den misshandelten Pferden eines Droschkenkutschers in Turin zu erinnern und zu fragen, welches Wissen „dem Denker des Willens, des Übermenschen, der Zucht und Härte gegen sich und andere durch den Akt des Mitleidens mit der geschundenen Kreatur zugefallen sein“ mag (Michael Triegel).
Triegels Nachschrift schließt die bemerkenswerte Begleitpublikation zur Ausstellung „Zwei Meister aus Leipzig“ ab. Ihre gesteigerte Aufmerksamkeit für die existenzielle Bedeutung des Mitleidens verbindet den 1968 in Erfurt Geborenen ebenso mit dem fast 40 Jahre älteren Werner Tübke wie beider gemeinsame Liebe zu alten Meistern und ihren Techniken. Tübke war 1945 als Sechzehnjähriger aus dem Klassenzimmer herausgeholt und zuerst in seiner Heimatstadt Schönebeck an der Elbe und anschließend für acht Monate in Magdeburg in eine Folterhaft gesteckt worden. „Diese Erlebnisse haben sich tief ins beschädigte und gefährdete Menschenbild seines Werks eingegraben. Sie begründeten Tübkes besondere Sensibilität bei der Erspürung und Darstellung von Schmerzen, in der Schilderung von Passionen und Martyrien. Dem Leiden spürt der Künstler in der Geschichte wie im zeitgenössischen Umfeld, im Trivialen, Grotesken wie im Heroischen nach. Man könnte die Erfahrung des Leidens als Leitmotiv und Nervenstrang im vielgestaltigen Œuvre ansprechen. In dieser durchdringenden Sensibilität steckt die tiefe Humanität des Werks, sie gibt Tübkes Menschenbild die Tiefe und bei aller scheinbaren Altmeisterlichkeit eine radikale Modernität“ (Eduard Beucamp). Richard Hüttel unterstreicht in seiner Einleitung, dass neuerdings „das Zusammenwirken von ‚Handwerk‘ und ‚Denkwerk‘, die Verbindung von ‚manus‘ und‚ ingenium’ in der Kunsttheorie wieder Beachtung“ findet und dass eine „Kunstbetriebskunst, die sich kaum für die >> Hergestelltheit<< der Werke interessiert, aber >>immer mehr für ihre Ausgestelltheit<< “, auf hohen Touren ins Leere läuft. Für Hüttel schien es in einer solchen Situation lohnend, zwei wahre Meister gemeinsam zu präsentieren. Tübke und Triegel reihen sich für ihn in ihrem Dialog mit der Kunst und den Künstlern der Vergangenheit wieder in die durch die Moderne unterbrochene Kette der Kultur - und Kunstgeschichte ein und „kehren damit an den Ausgangspunkt des künstlerischen Selbstverständnisses zurück…,Ingenium‘ ist ohne Tradierung nicht möglich, es ist… wie es Michelangelo in einem Sonett nannte, …immer >> die Hand, die dem Intellekt gehorcht<<“ (Richard Hüttel).
ham, 16.8. 2014
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