Zu den diskursiven Konstruktionen gegenwärtiger Religiosität
Reihe Religion und Medien Band 2, hrsg. von Oliver Krüger in Verbindung mit Gregor Ahn, Peter Bräunlein, Christiane Brosius, Anne Koch, Jürgen Mohn, Hubert Mohr, Michael Schetsche und Joachim Trebbe
Transcript Verlag Bielefeld, 2013, ISBN 978-3-8376-1940-9, 412 S., Broschur, Format 22,5 x 14,9 cm,
€ 33,80
Die empathisch geschriebene blitzgescheite Publikation diskutiert die Frage, warum heutige religiöse Akteure „gegenwärtig ihre Religiosität genauso und nicht anders“ (Nadja Miczek) gestalten und wie sie es schaffen, aus unterschiedlichen religiösen Welten rezipierte religiöse und rituelle Elemente wie das für Jesus zentrale Gebet, das Vaterunser, Reiki und fernöstliche Meditationstechniken in eine für sie stimmige Vorstellung von Identität einzubinden. „Warum wählen sie bestimmte religiöse Elemente für sich aus und verwerfen gleichzeitig andere? Ist diese Auswahl völlig beliebig oder kann man von übergeordneten Steuerungsmechanismen ausgehen, die hier eingreifen? Welche Rolle spielen bei diesen Prozessen moderne Medien?“ (Nadja Miczek). Für die Bearbeitung dieser Fragen wird die Einsicht zentral, dass Menschen Geschichtenerzähler sind und dass sich Subjektkonstruktionen über die Analyse biografischer Narration erschließen lassen. Die Narration erscheint dabei als Scharnier zwischen den gesellschaftlichen, inter- und innersubjektiven Aushandlungsprozessen von Religion und erlaubt es unter anderem, die religiösen Identitätskonstruktionen der Akteure und der Gesellschaft näher zu bestimmen. „In den diskursiven Aushandlungen gegenwärtiger Religiosität werden zum einen verschiedene narrative Muster und Topoi zur Übernahme durch die Akteure verhandelt und bereitgestellt, die eine kohärente Identitätsbildung trotz der Diversität religiöser Elemente und sich teilweise widersprechender Bedeutungszuschreibungen an diese Elemente gewährleisten. Zum anderen werden bestimmte Positionierungsleistungen verwendet, die eine … erfolgreiche Diskursteilnahme ermöglichen“ (Nadja Miczek). In der religiösen Rekonstruktion des eigenen Lebenslaufs ist neben der Rede von einem besonderen Kind und religiösen Schlüsselerlebnissen die aus der Tradition übernommene, aber anders gewendete Wegmetapher zentral. „Nicht mehr das Gottesreich wird als Endpunkt des Weges angegeben, sondern … die Vollendung der eigenen religiösen Entwicklung“ (Nadja Miczek). Der Umgang und Einbau der religiösen Elemente aus unterschiedlichen Traditionen erfolgt einerseits unter Zuhilfenahme gesellschaftlich geprägter diskursspezifischer Muster. „Als Kriterium für eine Auswahl geben die Akteure einerseits individuelle Vorlieben und Geschmäcker an. Andererseits machen sie deutlich, dass die Wahlprozesse vor dem Hintergrund des Weg-Topos zu verstehen sind. Welches religiöse oder rituelle Element zu welchem Zeitpunkt biographisch verarbeitet wird, gilt … als vorbestimmt“ (Nadja Miczek). In diesen Rezeptions- und Adaptionsprozessen ist aber auch zu beobachten, dass sich die Akteure durchaus Gedanken darüber machen, „ob die verschiedenen verwendeten Elemente zueinander passen. Ist dies nicht der Fall … werden vielfach Synchronisationsprozesse vorgenommen. Hier findet die Zuschreibung einer neuen Bedeutung statt. Besonders sichtbar wurde dies bei der Synchronisation von Elementen, die dem kirchlichen-christlichen Diskurs entstammen. Engelvorstellungen, die Konzeption von Jesus aber auch verschiedene Ritualelemente werden von ihren ehemaligen kirchlichen Deutungshorizonten entkleidet und meist unter Zuhilfenahme dominanter narrativer Muster und Topoi für den Gebrauch im Diskurs gegenwärtiger Religiosität angepasst… Legitimiert wird dies vor allem durch den Verweis auf die individuelle Erfahrung, aber auch durch die Referenz auf dominante Sprecher des Diskurses (z.B. bekannte Autoren)“ (Nadja Miczek). Gegenüber den verfassten Kirchen und ihren Ritualen grenzt man sich in der Regel ab. Dafür schafft man sich ein Repertoire von eigenen Ritualen, die sich gut anfühlen, und propagiert diese in eigenen Hompages und Publikationen im Miteinander und in Abgrenzung zu den anderen Akteuren.
Im Ergebnis zeigt sich in der Studie, dass gegenwärtige Religiosität als Untersuchungsgegenstand durch ihre offensichtliche Komplexität, Pluralität und Dynamik „geradezu dazu herausfordert, neue theoretische und analytische Zugänge für religionswissenschaftliches Forschen zu erproben. Die hier vorgeschlagen Verbindung von subjekt- und diskussorientierten Ansätzen ist eine Möglichkeit dafür, die jedoch mit Sicherheit an einigen Stellen noch weiterer Reflexion und theoretischer Einbettung bedarf“ (Nadja Miczek).
ham, 23.10,2013
Download: Nadja Miczek: Biographie, Ritual und Medien
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