Aus dem Englischen von Anne Emmert

Berenberg Verlag, Berlin, ISBN 978-3-946334-31-6, 152 Seiten, Halbleinen, Fadenheftung,
Format 23 x 16,3 cm, € 22,00

Wer einen Islam sucht, der den Koran nach der Anstrengung der historischen Kritik im Feuer der Aufklärung
wahrnimmt und die jüngeren Umbrüche in der arabischen und islamischen Welt ebenso kennt wie die
politische und intellektuelle Landschaft der Gegenwart, ist bei Suleiman Mourad bestens aufgehoben. Der in
einer sunnitischen Familie im Südlibanon geborene Mediävist und Religionswissenschaftler hat
richtungsweisende Forschungen über die hermeneutischen Methoden der Koran-Exegese, die Umdeutung
des Dschihad-Gebots im 12. Jahrhundert zur uneingeschränkten Pflicht auch gegenüber der schiitischen
Fatimedenherrschaft in Ägypten und über Gegenströmungen der Toleranz beim Aufeinandertreffen der
muslimischen und christlichen Welt im Nahen Osten des Spätmittelalters auf den Weg gebracht.

„Dies ist der cursus eines Historikers, der mit seiner Arbeit in der überaus anspruchsvollen Tradition einer in
die Moderne überführten philologischen Gelehrsamkeit steht […]. Ausgehend von der Entstehung des
Korans und seiner Beziehung zu jüdischen und christlichen Formen des Monotheismus, wendet er sich der
Literatur über das Leben Mohammeds zu und beleuchtet die frühen arabischen Eroberungen und die
Streitigkeiten über die Nachfolge des Kalifats, die später die Spaltung zwischen dem sunnitischen und
schiitischen Islam herbeiführten. Gegensätzliche mittelalterliche Interpretationen des Dschihad-Gebotes […]
leiten über in eine Analyse der modernen salafistischen Glaubenslehren. Die Geschicke der reformatorischen
Moderne einerseits und der Neubelebung des Wahhabismus in jüngster Zeit andererseits, die theologische
Einordnung von Bewegungen wie den Muslimbrüdern […] in Ägypten oder der AKP in der Türkei, die
Ursachen für die augenfällig unterschiedliche politische Entwicklung der Schia in Syrien und im Irak, die
Faktoren, aufgrund derer Nordafrika von einer einst vorherrschenden schiitischen zu einer homogenen
sunnitischen Region wurde, der Niedergang der klassischen islamischen Rechtsschulen, die Zunahme
religiöser Feindseligkeiten im gesamten Nahen Osten seit der iranischen Revolution: All diese Fragen und
mehr beleuchtet Suleiman Mourad in unnachahmlicher Ruhe, Klarheit und Unparteilichkeit“ (Perry
Anderson S. 10f.).

Das Mosaik des Islam dokumentiert das in gleicher Weise gelehrte, kurzweilige und überaus informative
Gespräch zwischen dem britischen Historiker Perry Anderson und Suleiman Mourad während eines
gemeinsamen Aufenthalts am Institut d´Etudes Avancées in Nantes. Die nachfolgend zitierten Abschnitte aus
dem ersten Kapitel Der Koran und Mohammed könnten vielleicht dazu anregen, das ganze Buch in die Hand
zu nehmen und mit großem Gewinn zu studieren.

Auf die Frage, wann der Koran vermutlich verfasst wurde und wieviele Schichten er aufweist, antwortet
Mourad unter anderem: „Der islamischen Überlieferung zufolge wurde der Koran dem Propheten […] über
einen Zeitraum von zweiundzwanzig Jahren zwischen 610 und 632 unserer Zeit offenbart; Muslime glauben,
dass Mohammed des Lesens unkundig war und daher den Koran nicht selbst niedergeschrieben haben kann.
Er lernte ihn auswendig, wie auch einige seiner Anhänger Teile auswendig lernten oder aufschrieben. Als
Mohammed 632 starb, gab es noch keinen Kodex im eigentlichen Sinne. Verschiedene Schüler hatten
unterschiedliche Varianten aufgeschrieben, und so wurde es um das Jahr 650 notwendig, eine kanonische
Version zu erstellen […]. So lautet die traditionelle Darstellung dessen, wie der geschriebene Text zustande
kam, der Mitte des siebten Jahrhunderts kursierte. Aus dem siebten Jahrhundert selbst haben wir so gut wie
keine schriftlichen, sondern nur mündliche Überlieferungen, deren Authentizität angesichts der vielen
Widersprüche schwer zu verifizieren ist […]. Es gibt aber […] Ausnahmen, etwa die Inschrift im Felsendom
von Jerusalem (erbaut 692), die einige Verse aus dem Koran dokumentiert […].

Wenn wir uns als Historiker mit dem Koran befassen, fällt uns als Erstes auf, dass es sich um einen sehr
schwierigen Text handelt. Er ähnelt nicht der jüdischen Bibel und lässt sich auch nicht mit den Evangelien
vergleichen. Der Koran erzählt uns nicht die Geschichte einer Person oder eines Volkes […]. Wenn wir nur
den Koran lesen, erfahren wir sehr wenig über Mekka, Mohammed und Arabien. Die Muslime haben den
Koran immer zusammen mit den Büchern über das Leben Mohammeds gelesen und so den Korantext mit
detaillierten historischen Schilderungen angereichert und erklärt. Das ist in dieser Form einzigartig […].

Moderne Historiker sind der Auffassung, dass der Koran von einem Menschen verfasst wurde, aber gab es
nur einen Autor oder mehrere Autoren? Lange Zeit gingen […] Forscher〔wie〕John Wansbrough […]
davon aus, dass der Koran Ende des achten oder Anfang des neunten Jahrhunderts vollendet wurde.
Wansbroughs Sicht gilt […] als widerlegt, seit man frühe Inschriften und jüngst auch Teilmanuskripte des
Korans fand, die sich auf das späte siebte und frühe achte Jahrhundert datieren lassen […]. Von den wenigen
alten Pergamenten […], die auf Alt-Hidschasi verfasst sind, wissen wir, dass […] in ihnen […] bereits eine
maßgebliche Abweichung von der kanonischen Version des Korans erkennbar“ ist. „Im kanonischen Koran
wird in einem Vers der Imperativ ›sag‹ (qul) verwendet, – Gott erteilt Mohammed einen Befehl –,
wohingegen es im Text von Sanaa in demselben Vers ›er sagte‹ (qala) heißt. Das lässt vermuten, dass einige
frühe Muslime den Koran als Wort des Propheten betrachtet haben könnten und seine überlieferten Worte
erst später zum göttlichen Befehl wurden“ (Suleiman Mourad S. 13 ff.).

Das Mosaik des Islam, so Mourad in seinem Nachwort zur deutschen Ausgabe, will aufzeigen, dass der
Islam immer als eine Vielzahl von Islamen begriffen werden sollte. Zum anderen plädiert die Publikation für
einen Verzicht auf strikte Definitionen des Islam und einen Verzicht auf die linearen Betrachtungsweisen der
islamischen Traditionen und Geschichte. Sie will stattdessen die Originalität der Muslime stärker in den
Blick nehmen, die den ›Islam‹ im Lauf der Jahrhunderte neu gedacht und an die jeweiligen aktuellen
Belange und Anforderungen angepasst haben. Das Erbe des Kolonialismus wird in diesem Buch nur
gestreift, der islamische Feminismus nicht behandelt.

Die in Amerika, Russland und Europa propagierte Islamophobie werfe, so Mourad, einen riesigen Schatten
nicht nur auf das Studium des Islam, sondern auch auf die Diskussion in den Medien und im Internet. „Eine
solche Islamophobie produziert selbstverständlich auch eine Paranoia unter den Muslimen, die häufig
zwischen Polemik und Apologetik schwanken – beides wenig hilfreich. Apologetik ist keine Antwort auf
Islamophobie. Probleme können wir nur behandeln und hoffentlich auch lösen, wenn wir sie anständig
diagnostizieren und niemals trivialisieren. Deshalb kommt Wissenschaftlern eine wichtige Rolle zu,
vorausgesetzt, Kultur und Politik sind willens, sie in ihrer Arbeit zu unterstützen“ (Suleiman Mourad S. 135).

ham, 20. März 2018

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