Herausgegeben von Cornelis Kok
Aus dem Niederländischen von Frank Bestebreurtje

Pathmos Verlag 2018, Ostfildern 2018, ISBN 978-3-8436-1014-8, 238 Seiten, Hardcover gebunden mit
Schutzumschlag und Lesebändchen, Format 22 x 14 cm, € 22,00 (D) / € 22,70 (A)

Über die Fragen, ob es Gott gibt oder nicht und ob man Gott und sich selbst erkennen kann, wird seit
Menschengedenken gestritten. Und das mit gutem Grund, geht es doch um nichts weniger als um das, was
Menschen über ihre Endlichkeit und das Vergessen hinausheben könnte. Deshalb verwundert es nicht, dass
auch christliche Theologen streiten, wenn sie ihren Glauben in Bekenntnissen und Katechismen
zusammenfassen. So wurde im ersten Konzil von Nizäa im Jahr 325 gegen Arius aus Alexandria entschieden,
dass in der christlichen Vorstellung Gott Vater und der Sohn zwei Personen, aber wesensgleich sein sollen.
Arius wurde zum Ketzer erklärt, weil er den Logos als Gottes Geschöpf verstand, Gott unterordnete und als
nicht von gleichem Wesen betrachtet hat. Nach seiner Auffassung hat die Rede von zwei Personen gegen das
Gebot verstoßen, dass Gott einer ist. Mit dem Konzil von Konstantinopel gilt ab 381 als rechtgläubig, wer
die Gottheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes glaubt. Knapp zwölfhundert Jahre später
brandmarkt der Heidelberger Katechismus die katholische Messfeier als „vermaledeite Abgötterei“, weil sie
das „einzige Opfer“ und Leiden Jesu Christi verleugnet (vergleiche dazu den Heidelberger Katechismus
Frage 80, siehe https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/heidelberger_katechismus.pdf S. 53 und https://www.uniheidelberg.
de/md/theo/fakultaet/downloads/sonderheft.heidelberger.pdf). Eine streng lutherische Minderheit
attackiert den Heidelberger Katechismus als widergöttlich, weil er das Abendmahl zum Gedächtnismahl
ermäßigt und die reale Gegenwart Christi im Abendmahl in Zweifel zieht.

Selbst im Apostolischen Glaubensbekenntnis formulieren evangelische und katholische Christen
unterschiedlich. Nach evangelischem Verständnis glaubt man „an den Heiligen Geist, die heilige christliche
Kirche und die Gemeinschaft der Heiligen“ und nach katholischem Verständnis an „den Heiligen Geist, die
heilige katholische Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen“. Deshalb dürfte auch der nach Texten von Huub
Oosterhuis zusammengestellte Katechismus Alles für alle zumindest bei denen, die sich für rechtgläubig
halten, nicht unbedingt auf ungeteilte Zustimmung stoßen: Der 1933 geborene niederländische katholische
Theologe und Dichter ist 1952 in die Gesellschaft Jesu eingetreten, wurde 1964 zum Priester geweiht und
1965 als Studentenpfarrer bei der Amsterdamer Studentenekklesia angestellt. Er hatte schon 1960
geschrieben und die Gemeinde als Pfarrer zu einer Werkstatt und einem Versuchsfeld nicht nur für das neue
geistliche Lied, sondern auch für die nachvatikanische Erneuerung der liturgischen Sprache und Formen in
den Niederlanden ausgebaut. Seine 1967 ins Deutsche übersetzte Gebetssammlung „Ganz nah ist Dein Wort“
hat überkonfessionelle Beachtung und Eingang selbst in den evangelischen Gottesdienst gefunden. Viele
seiner Lieder galten dagegen in den römisch-katholischen Bistümern Utrecht und ’s-Hertogenbosch noch
2010 als für den liturgischen Gebrauch nicht geeignet, gerade weil sie die konfessionellen und religiösen
Grenzen überschreiten.

Oosterhuis wurde „entscheidend geprägt von sowohl jüdischer wie auch protestantischer und katholischer
Seite: von Abel Herzberg und Rabbi Yehuda Léon Askénazi, der biblischen Theologie der Amsterdamer
Schule, der lateinamerikanischen Befreiungstheologie sowie der politischen Bibelauslegung von Ton
Veerkamp“ (Cornelis Kok S. 227). Er orientiert sich an der Tradition der jüdischen und urchristlichmessianischen
Erzählungen und will alle Menschen guten Willens erreichen, auch die Skeptiker und
„Ungläubigen“. 1970 hat Oosterhuis geheiratet; es kam zu Konflikten über den Zölibat und die Rolle des
Priesters bei der Eucharistie und danach zur Konstituierung der unabhängigen ökumenischen
Personalgemeinde Ekklesia Amsterdam. Die Ekklesia Amsterdam steht nicht mehr unter der Verantwortung
des Bischofs, sieht sich aber weiterhin als katholisch im Sinne von „allgemein“ und „mit der ganzen Welt
verbunden“.

Martin Luther hatte sein Verständnis des christlichen Glaubens in seinem Kleinen Katechismus von 1528
entlang den fünf Hauptstücken des christlichen Glaubens Die Zehn Gebote, Der Gaube, Das Vaterunsers,
Das Sakrament der Taufe und Das Sakrament des Altars oder das Heilige Abendmahl entfaltet. Das
Glaubensbuch für das 21. Jahrhundert orientiert sich dagegen am Bekenntnis des Konzils von Nizäa-
Konstantinopel zum dreieinigen Gott. Gott erscheint im ersten Hauptstück von Alles für alle als der, der
innerhalb der Geschichte und entgegen dem etablierten Chaos „das Leben als eine Möglichkeit der Liebe
besingt“ (Huub Oosterhuis S. 54). Weitere Kapitel diskutieren die Optionen eines fürsorglich „vorsehenden“,
allmächtigen, geliebten und liebenden Gottes.

In das zweite Hauptstück Jesus von Nazareth fließt eine befreiungstheologische Meditation zum dreieinigen
Gott ein. Demnach haben die Götter- und Herrscherbilder der altorientalischen Welt eine politische
Dreieinigkeit verkörpert. In dieser Figuration erscheint Gott als Herr und Meister; die Göttin an seiner Seite
und der Erbe garantieren „die Kontinuität der Macht […]: Gott–Göttin–Erbe, Vater–Mutter–Sohn, diese
Dreieinigkeit bildete die Grundstruktur des Göttlichen – in dieser Dreieinigkeit war die Macht des Stärkeren
konzentriert, bis tief in die ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung hinein, bis vor und nach dem ersten
Konzil von Nikaia (325). Wer in dieser Welt von Ausbeutung und Tyrannei, so fragte sich jede kleine oder
größere Ekklesia in Nordafrika und Südeuropa, wer ist Gott für uns? Das Konzil von Nicäa entwarf eine
neue Dreieinigkeit. Gegen jeden Kult von Gott–Göttin–Erbe proklamierte das Konzil […] einen anderen
drei–einen Gott: der Vater, Befreier – Schöpfer von Erde und Himmel, der Sohn Jesus, ›eines Wesens‹, einer
Leidenschaft und Vision mit jenem Vater, und der Heilige Geist, der die Gegenkraft zu aller Ausbeutung und
Tyrannei, der Atem und die Beseelung alles menschenwürdigen Lebens ist“ (Huub Oosterhuis S. 74 f.).
Weitere Kapitel diskutieren Jesu Leiden, Tod und Auferstehung und fragen nach seiner Messianität.

Das dritte Hauptstück Leben aus dem Geist setzt mit dem Gebet ein und schließt mit dem Versuch, den
Glauben an die Utopie eines Jenseits in Worte zu fassen. Für die meisten Menschen steht dieser große Traum
nicht im Widerspruch zur Utopie einer besseren Welt und ist „keine Sublimierung. Aber für alle gilt […],
dass jede irdische Utopie und jedes soziale Ideal mit dem anfängt, was man für einen anderen zu tun bereit
ist“ (Huub Oosterhuis S. 216 f.). Die als vom Himmel herabkommend geglaubte „neue Welt ist eine Stadt
aus einem Guss, von klarer Gestalt, mit einem Blick überschaubar – während es doch unsere Erfahrung ist,
dass eine Stadt vielschichtig und unübersichtlich ist, Vielfalt, die auf die Nerven geht, Uneinigkeit,
gegensätzliche Interessen, unabsehbare Reihen von Gesichtern und Verhaltensweisen, voneinander irritierten,
einander diskriminierenden Bevölkerungsgruppen, Farben, Rassen, Typen. Das ist eine Stadt: Wer kann sich
mit einer solchen Mannigfaltigkeit identifizieren? Diese Mannigfaltigkeit wird zur Einheit, zur Gemeinschaft
werden. Wir werden aus der Kraft der Tora gelernt haben, miteinander zu leben. Dies wird uns in dieser
Vision im Bild der ›heiligen Stadt‹ kundgetan. Und er sprach: ›Siehe ich mache alles neu!‹“ (Huub
Oosterhuis / Offenbarung 21,5 S. 218 f.).

Dieses Leben in versöhnter Verschiedenheit wäre das Neue, das in die Welt kommen kann; dieses Miteinander wäre
realisierte Liebe. „Unter Liebe verstehe ich: jene tausendfachen Nuancen von Freundlichkeit und Freundschaft,
von Takt und Geduld, von bedächtigem Respekt und Erbarmen, von langer Treue und Spontaneität, von Höflichkeit
und Leidenschaft, von gutem Willen und Ergriffenheit, mit denen Menschen einander begegnen. Unter Liebe
verstehe ich die Kraft des Denkens und der Intuition, die Weisheit und die Wissenschaft und alle Fantasie und
Beharrlichkeit und allen Optimismus, mit denen die Erde aufgebaut wird, immer wieder, gegen alles Abreißen.
Alles, was zum Guten ist, alles, was mehr Gerechtigkeit und Frieden für mehr Menschen führt, das nenne ich
Liebe“ (Huub Oosterhuis S. 222).

ham 18. Juni 2018

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