E.A.Seemann Verlag, Leipzig, 2019, ISBN 978-3-86502-408-4, 192 Seiten, komplett illustriert, Hardcover, Flush Cut, Format 21,5 x 16,2 cm, € 19,95 (D) / € 20,60 (A)

Das als Bürgerkirche gebaute und von den Ulmer Bürgern finanzierte Ulmer Münster wurde 1377 begonnen und nach einem Baustillstand zwischen 1543 und 1844 im Jahr 1890 vollendet. Es gilt als größte Kirche des Protestantismus mit dem höchsten Kirchturm der Welt. Seine Bauhütte könnte 2019 immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe werden und als solches dazu beitragen, das Wissen und Können der Bauhütten in die Zukunft zu tragen und durch Innovationen zu aktualisieren. Das nach dem Zivilisationsbruch des Ersten Weltkriegs am 12. April 1919 in Weimar eröffnete „Staatliche Bauhaus“ sollte nach dem Willen seines Gründungsdirektors Walter Gropius junge Menschen aus aller Welt ausbilden, um den „Bau der Zukunft“ zu erschaffen, „der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei […] als Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens“. Zwischen seiner Eröffnung und Schließung lagen nur 14 Jahre. Gleichwohl hatte und hat es wie das Ulmer Münster und der Kölner Dom eine weltweite Ausstrahlung. Was war und was ist das Bauhaus und warum wirken die Ideen dieser Kunstschule des Designs, der Architektur und der Moderne bis in die Gegenwart weiter?

Gesine Bahr gibt 50 pointierte Antworten und Halina Kirschner findet dazu die jeweils treffenden Illustrationen in den Bauhausfarben Rot, Gelb und Blau. Auf die Frage „Wer hat das Bauhaus aus Weimar vertrieben?“ antwortet Bahr, dass das Bauhaus als staatliche Einrichtung „finanziell von der Förderzusage durch die Politik abhängig war. Wegen seiner Modernität, seiner utopisch-progressiven Ausrichtung, seiner Internationalität und Weltoffenheit war das Bauhaus in konservativen und rechtsnationalen Kreisen alles andere als wohlgelitten […]. Als die Rechtskonservativen dann 1924 die Wahlen gewannen und eine Mehrheit im Thüringer Landtag innehatten, flatterte auch bald die Ankündigung der Mittelkürzung und vor allem der Kündigung auf den Schreibtisch des Bauhausdirektors. Der Bauhausgemeinschaft war klar, dass dies dem Abwürgen der Schule gleichkam“ (Gesine Bahr). Mannheim, München, Frankfurt, Hamburg, Darmstadt und Dessau wollten „die neuen Bauhausstädte werden. ›Das Bauhaus ist eine Art lustige Witwe, und es mehren sich die Freier. Der Schönste bekommt’s‹, kommentierte Oskar Schlemmer 1925. ›Der Schönste‹ war dann das mitteldeutsche Dessau – eine Stadt mit Porenzial. Die mit 70 000 Einwohnern eher kleine, dafür aber ehrgeizige und aufstrebende Industriestadt (Junkerswerke, IG Farben) schien der ideale Ort für das gewünschte ›Labor der Moderne‹ zu sein – ein ›Silicon Valley‹ der Zwanzigerjahre“ (Gesine Bahr).

Auf die Frage „Konnte das Bauhaus in Dessau endlich Kunst und Technik vereinen?“ antwortet Bahr: „Man arbeitete auf jeden Fall intensiv daran, den neuen Leitspruch ›Kunst und Technik – eine neue Einheit‹ beim Neustart in Dessau zu verwirklichen. Denn wenn Weimar die Wiege des Bauhauses war, war Dessau das Labor. Drehte es sich in Weimar um Handwerk und Gemeinschaft, waren in Dessau Typ, Funktion, Technik und Standards die Leitthemen […]. In Dessau wurde das große Ziel der Schule – den ›Bau der Zukunft‹ zu bauen – auch endlich umgesetzt. Es gab ab 1927 eine eigene Architekturabteilung, die tat, was sie sollte und konnte, nämlich bauen: die experimentelle Arbeitersiedlung in Dessau-Törten, das Stahlhaus, das Kornhaus, das Dessauer Arbeitsamt, die Laubenganghäuser und die Trinkhalle von Mies. Darum gibt es weltweit keinen anderen Ort mit einer größeren Dichte an Bauhausbauten als Dessau. Allerdings stammten die berühmtesten (Meisterhausensemble, Schulgebäude, Törtensiedlung) und auch das Dessauer Arbeitsamt vom Gropius’schen Baubüro“ (Gesine Bahr; vergleiche dazu https://www.bauhaus-dessau.de/de/architektur-19.html).

Dass die im Bauhaus ausgetragenen Richtungsstreitigkeiten ebenso zur Sprache kommen wie die Lieb- und Leidenschaften einzelner Direktoren und der zeitweise Einfluss der Bauhütten-Romantik, der Freimaurerei, der Theosophie, der Anthroposophie, der Astrologie und weiterer Parawissenschaften macht den Band über den Anlass des Jubiläums hinaus lesenswert. Aber wie Gropius an das Bauhaus glauben muss heute niemand mehr. Wer sich fragt, was das Bauhaus 100 Jahre nach seiner Gründung ist, muss es sich „gar nicht im Heute vorstellen: Das Bauhaus ist auch heute noch in seiner Vielfalt und radikalen Experimentierwut eine scheinbar nie versiegende Inspirationsquelle für Gestalter, Künstler und Architekten. Das zeigen auch die vielen Projekte der Nachfolgeinstitutionen wie Bauhaus Dessau, Bauhausarchiv Berlin oder Klassik Stiftung Weimar, die versuchen, die Bauhausideen ins Heute zu übertragen, lebendig zu halten und mehr zu sein als ein Museum“ (Gesine Bahr).

ham 26. März 2019

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