Sebastian Volz, Lovers

 

Sebastian Volz, Aus der Erinnerung. Malerei und Zeichnungen

Nordheimer Scheune, 21. Oktober 2023 Sebastian Volz, Lovers

Liebe Freundinnen und Freunde der Nordheimer Scheune, sehr geehrte Damen und Herren,

wir leben in konfliktreichen Zeiten und können kaum alles aufzählen, was uns in den 23 Jahren seit Beginn des 21. Jahrhunderts erschüttert hat: Ich erinnere nur an die Terroranschläge vom 9. September 2001, die völkerrechtswidrige Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im Frühjahr 2014, den von Putin am 23. Februar 2022 der Ukraine erklärten Krieg und den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 mit seinen 1300 toten und 4562 verletzten Israelis und seinen bis dato 3500 getöteten und 13000 verletzten Palästinensern, wenn man den dieser Tage veröffentlichten Zahlen Glauben schenken darf. Allein diese wenigen Hinweise zeigen, dass sich der amerikanische Politologe Francis Fukuyama im Sommer 1989 fundamental geirrt hat. Sie erinnern sich: Fukuyama hatte nach dem Zusammenbruch der UDSSR die These vertreten, dass die Geschichte am Ende sei. Der Liberalismus würde sich im Laufe der Zeit weltweit durchsetzen, weil Demokratie und Marktwirtschaft das Bedürfnis nach Anerkennung besser als andere Systeme befriedigten. Seine Kritiker haben ihm vorgeworfen, die inneren Widersprüche des Kapitalismus zu verschweigen. Der Kapitalismus schaffe Ungleichheit, bringe Gewinner und Verlierer hervor und der Westen hätte keinerlei Interesse daran, an seinem Verhältnis zu den südlichen Ländern etwas zu verändern. Er profitiere ja vom jetzigen System.

Zu den ungleichen Wirtschaftsverhältnissen kommen derzeit nicht weniger als weltweit 363 Kriege, Dürre-, Umwelt– und Hungerkatastrophen unter anderem in Somalia, Äthiopien, Burkina Faso, in der Demokratischen Republik Kongo und im Südsudan. Deshalb braucht man, wenn man alle Krisen, Konflikte und Naturkatastrophen überblicken will, Listen wie die Emergency Watchlist 2023 des internationalen Rettungskomitees oder einen Einblick in die von der Unicef und von Brot für die Welt unterstützten Projekte. Aber wenn man dann die erdrückende Not der Welt schwarz auf weiß vor Augen hat, fühlt man sich von den sich vielfach überlappenden Krisen überfordert. Es kommt, wie der Kultur- und Kognitionswissenschaftler Fritz Breithaupt von der Indiana Universität Bloomington sagt, zu einem Empathie-Burnout. Die derzeitige Nachrichtenlage ist in der Tat alles andere als leicht zu ertragen. Wenn man versucht, sich auf das Erleben anderer Menschen, den Schmerz und die Not der Welt einzulassen, tut man etwas Menschliches. Aber kaum einer kann all das ertragen, was Tag für Tag auf einen einstürmt. Es gibt zwar individuell unterschiedliche Schmerzgrenzen. Aber zu viel Schmerz führt zum Selbstverlust. Man kommt dann mit sich selbst und mit der Welt nicht mehr zurecht. Man blockt und schaltet buchstäblich ab. Ich hatte gelegentlich mit Menschen zu tun, die keine Zeitungen gelesen und keinerlei Nachrichten gehört und gesehen haben und habe das überhaupt nicht verstanden. Heute weiß ich, was sie dazu bewegt hat.

Was Breithaupt beschreibt, ist die innere, die psychische Seite der narrativen Krise, von der der koreanisch-deutsche Philosoph, Kulturwissenschaftler und Autor Byung-Chul Han gesprochen hat. Was will Han mit der Diagnose „Krise der Narration“ sagen? In den sozialen Medien, aber nicht nur dort, werden vor allem belanglose Nichtigkeiten verbreitet. Neuerdings kommen kaum noch zu ertragende Schockbilder hinzu. Aber es gibt kaum mehr Geschichten, die Sinn vermitteln und Orientierung fürs Leben geben können. Sebastian Volz hat diese Krise der Narration und ihre innere Seite wie Han empfunden, als er sich auf seine Ausstellung in der Nordheimer Scheune vorbereitet hat. Er ist deshalb nach einem kurzen Ausflug zur malerischen Abstraktion wieder zur Narration zurückgekehrt, weil er als Maler relevante und tragende Geschichten erzählen will und weil er überzeugt ist, dass geschichtsträchtige Bilder an universelle Wahrheiten erinnern: Sie evozieren Fantasien, die unsere jetzigen Zustände transzendieren. Und sie beschwören Emotionen, die Veränderungen in die Wege leiten können.

Dazu erfindet Volz Bildfolgen wie die der deformierten Köpfe, die uns vorführen, wie Nach- und Schocknachrichten Köpfe aus ihrer Form bringen. In seinen Hauptarbeiten „Lovers“ und „Ohne Titel“ greift er auf Narrative der Kunst-, Kultur- und Religionsgeschichte zurück und schreibt sie in unsere Gegenwart weiter. Damit gibt er uns die Möglichkeit, ihre kultur- und zeitübergreifenden Hinweise, Anregungen und Anstöße in unseren Kontexten aufzugreifen. Zur ästhetischen Erscheinung seiner Bilder kommt also immer auch eine anthropologische Botschaft: Schaut her und schaut genau hin und überlegt, was ich sagen will: Die Welt muss nicht so bleiben, wie sie ist. Alles könnte auch anders sein. In seinen Zeichnungen aus diesem Jahr knüpft er an Michelangelos Jüngstes Gericht aus der Sixtinischen Kapelle an.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sebastian Volz, Ohne Titel

 

 

Ich beginne mit seiner im Flur gezeigten Reihe der Köpfe. Der Künstler hat ihre Grundversion aus einer aus Lehm aufgebauten Plastik heraus entwickelt. Aus dem Lehmkopf sind Fleischköpfe geworden. Wir treffen sie in vielen Malereien und Gemälden von Volz an. Im Flur hält sich ein erster Kopf seine Ohren so kräftig zu, dass sich das Gesicht in eine doppelte Furche verwandelt und die Augen in die Furchen hineingekrochen sind. Auf dem zweiten Kopf liegt die ganze Last der Welt. Dieser Kopf geht in die Breite und verliert dabei den Überblick. Den dritten trifft die Nachrichtenflut wie ein Faustschlag ins Gesicht. Ihm geht die Nase verloren. Der vierte versucht zu lächeln. Aber der Versuch misslingt. Sein Lächeln wird zu einem blöden Grinsen; es wirkt nur lächerlich.

 

 

 

Sebastian Volz, Ohne Titel

 

 

Die von einem stechenden Blau, einem neutralen Grau, einem schmutzigen Gelb, einem bösen Rot und dem Inkarnat, also der Fleischfarbe beherrschte vier Meter breite und zweieinhalb Meter hohe Hauptarbeit „Lovers“ könnte für die Welt stehen, die wir heute erleben. Auf „Lovers“ wird die Welt bildnerisch zu einem alles verschlingenden Schlund. Der aufgerissene Rachen ist aus der babylonischen, kanaanäischen und jüdischen Mythologie entlehnt. Er wird dem kosmischen Seeungeheuers Leviathan zugerechnet und stellt nichts anderes als die Hölle dar. Leviathan trägt die Züge eines Krokodils, eines Drachens, einer Schlange oder eines Wals und wird nach jüdischem Glauben am Ende der Welt von Gott höchstselbst besiegt. In der angelsächsischen Kunst des 9. Jahrhunderts formiert sich Leviathan zum Höllenschlund um; bei Thomas Hobbes wird er zur Metapher für die Allmacht des Staates und in neuerer Zeit gilt er als Chiffre für die alles beherrschende Rolle der Finanzmärkte und der bedrohten Natur. 

 

 

 

Volz denkt in Sebastian Volz, Covers, Detail

 

 

„Lovers“ Leviathan und die altgriechische Vorstellung vom Hades zusammen, in den Eurydike nach ihrem Tod verbannt worden ist. Dem Sänger Orpheus war es gelungen, Hades, den Herrscher der Unterwelt, mit seinem Gesang und dem Spiel seiner Leier so zu bezaubern, dass er von ihm die Erlaubnis erhielt, mit Eurydike auf die Erde zurückzukehren unter der einen Bedingung, dass er sich nicht nach Eurydike umdrehen wird. Die Liebe des Orpheus zu Eurydike hat also noch eine Chance. Sebastian Volz zeigt den Moment, in dem Orpheus sich fragt, ob Eurydike ihm tatsächlich folgt. Er ist dabei, seinen Kopf zu nach hinten zu wenden und merkt, dass sie ihm tatsächlich folgt. Aber damit ist schon alles zu spät. Das Getier, das Gekröse und die Schlangen der Unterwelt fangen Eurydike ein und ziehen sie in den Schlund des Hades zurück. Für sie gibt es kein Entrinnen. Die Welt ist zur Hölle geworden, die alles verschlingt und einmal selbst im kosmischen Reigen verschlungen werden wird. Orpheus kommt noch einmal davon. Aber auch er wird sterben. Ist dann der Tod das Letzte, von dem erzählt werden kann? 

Volz antwortet: Nein, denn es gibt noch einen weiteren Raum, es gibt noch einen umfassenderen Kreis. Diesen Kreis legt er als zweiten Kreis um seinen aus einer Kreisform entwickelte Höllenschlund. Dieser weitere Kreis wird aus geflügelten Bildschirmen gebildet, die die Welt wie Planeten umrunden. Medien versprechen ja Rettung und sie bringen uns Botschaften von Rettung ins Haus: In den 1968er Jahren war es die Hoffnung, dass der Krieg in Vietnam ein Ende hat. Heute sind es die Botschaften der Weltkonferenzen der Politiker, der Wirtschaft und der Industrie, der Fridays of Future, der blau / roten Partei und der LGGBTQIA, der wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gefühlten Geschlechts angefeindeten lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen / Transgender-, queeren, intersexuellen und asexuellen Menschen. Aber helfen all diese und die vielen anderen von den Medien herausgestellten neuen und neuesten Botschaften wirklich über den Kreis ihrer Protagonisten hinaus? Und lösen sie die zwischen den Zeilen versprochene Heilung auch ein? Volz bleibt skeptisch und legt mit dieser Haltung seinen Finger auf einen wunden Punkt. Aber auch ihm geht es in „Lovers“ um Rettung und in „Ohne Titel“ bei seinem von Monstern umschwirrten Embryo um mehr Menschlichkeit.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sebastian Volz, We’ll meet again

 

 

Volz weitet seinen Kreis noch ein zweites Mal. Er wählt für seine Zeichnungen die denkbar größte Perspektive, die Perspektive des Weltgerichts. Michelangelo hat dieser Perspektive in seinem für die Sixtinische Kapelle geschaffenen Weltgericht ein bis heute unvergessenes Gesicht gegeben. Auf dieses Gesicht greift Volz in seinen Zeichnungen zurück und übersetzt es in seinen zentralen Teilen in unsere Zeit. Michelangelos Jüngstes Gericht ist eine 1536 begonnene und 1541 beendete 180 Quadratmeter große Malerei mit rund 400 Figuren, in deren Zentrum der wiederkommende Christus steht. Festgehalten ist der Augenblick unmittelbar vor dem Urteilsspruch des Jüngsten Gerichts. In seinem unteren Teil stellt Michelangelo links die Auferstehenden, in der Mitte Charon, den Fährmann über den Totenfluss Styx, und rechts die Vorhalle der Hölle vor. Auf der zweiten Ebene schweben links die Seligen auf. Dazu kommen in der Mitte die sieben Posaunenengel auf den Wolken des Himmels daher und rechts die Verdammten. Letztere stürzen in die Hölle herab. In der zentralen dritten Ebene gruppieren sich um den in seiner Lichtaureole erscheinenden Weltenrichter Maria, die Mutter Jesu, Johannes der Täufer, Petrus mit dem Schlüssel zum Himmelreich, Märtyrer wie Laurentius und Bartholomäus und weitere Selige mehr.

Volz variiert in seiner Zeichnung „We’ll meet again“ Michelangelos innersten Kreis. Er zeigt uns Maria in Rot und Blau, Petrus statt mit seinem Schlüssel mit einem Handy und den gehäuteten Bartholomäus, der auf seiner abgezogen Haut Michelangelos Gesicht wiedergibt; Laurentius tritt mit dem Rost, seinem Marterwerkzeug, hinzu und in Grün wohl Johannes der Täufer. Den Weltenrichter spart Volz aus. Seine Aureole bleibt. In seiner Zeichnung „Ohne Titel“ auf der Wand neben dem Durchgang erinnert er an die Gruppe der sieben Engel mit ihren Posaunen. Bei Volz verkündigen sie aber nicht mehr wie der erste Engel in der Apokalypse, dass Hagel und Feuer, mit Blut gemengt, auf die Erde fällt und der dritte Teil der Erde verbrennt (vergleiche dazu Offenbarung 8, 6 ff.) und auch nicht wie der Siebte, dass die Reiche dieser Welt zum Reich Christi geworden sind und er sie von Ewigkeit zu Ewigkeit regiert (vergleiche dazu Offenbarung 11,15), sondern dass die fallenden und steigenden Dax-Kurse an die Stelle des Weltenrichters treten und eine Art Weltregierung geworden sind. Ab jetzt hängt das Ergehen der Menschen am Auf und Ab der Konjunktur. Auf einer weiteren Zeichnung auf dieser Wand reparieren Engel einen Stab aus Licht. In ihrer rechten unteren Ecke ist eine Pieta zu finden, aber eine Pieta ohne den verstorbenen Gekreuzigten. In den kleinen Zeichnungen sind Körperstudien aus Einzelfiguren von Michelangelos Jüngstem Gericht abgeleitet.

 

 

 

 

 

 

Sebastian Volz, Ohne Titel

 

Ich habe mich gefragt, warum Volz auf Michelangelos Jüngstes Gericht zurückgegriffen hat und gemutmaßt, dass er wie Michelangelo daran festhalten könnte, dass sich am Ende der Geschichte zeigt, wer ein größeres Maß an Menschlichkeit hatte. Dann kam mir der Aphorismus von Georg Friedrich Wilhelm Hegel aus dem Ende seiner Rechtsphilosophie in den Sinn „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht“  und damit die Vorstellung, dass die Idee eines gerechten Ausgleichs nicht mehr an ein göttliches Urteil, sondern an vernunftgeleitete Verbesserungen wie die Menschenrechten und vernunftgeleitete Staaten gebunden sind. Und schließlich bin ich auf Michael Welkers Beitrag für den Stuttgarter Hegelkongress gestoßen, der sich am Ende des 20. Jahrhunderts mit Hegels Ausspruch „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht“ auseinandergesetzt. Ich skizziere die Intervention des Heidelberger Systematischen Theologen und komme zum Schluss:

Welker erinnert in seinem Beitrag einleitend an die Formulierung des Apostolikums „Er sitzt zur Rechten Gottes […]. Von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten“ und daran, dass dieses Bild dem heutigen Common Sense erhebliche Verständnisschwierigkeiten bereitet. Wenn man dann auch noch auf die biblischen Bilder vom Weltenrichter zurückgreift, der auf den Wolken des Himmels mit seinen Engeln wiederkommt, ernte man, so Welker weiter, allenfalls ein müdes Lächeln. Dabei sind diese Bilder bildhafte Provokationen, die dazu nötigen, alle Konzeptionen von Welt, Wirklichkeit und Zukunft zu problematisieren. Unter Engeln werden in der biblischen Überlieferung die Repräsentanten von Gemeinden, Nationen und Epochen aller Zeiten und Weltgegenden verstanden (vergleiche dazu Mk 13,27). Die zum Bild vom Weltgericht gewordene Vorstellung einer aufwendigen Zusammenkunft aller Repräsentanten aller Zeiten aus allen Weltgegenden werde nach biblischer Vorstellung nötig, weil die geschöpfliche und geschichtliche Textur der Welt aufgelöst und transformiert werden muss, um sie an eine transitorische Universalität heranführen zu können. Interessanterweise gebe es in der biblischen Erlösungslehre aber auch eine zweite, von Individuen, Weltgegenden und Geschichtsepochen her gedachte Vorstellung von letzter Zeit. Nach dieser Vorstellung könnten wir schon jetzt und zu unseren Lebzeiten auf die richtenden und rettenden Aktivitäten im anbrechenden „Reich Gottes“ stoßen, so in der geglaubten Gegenwart des Auferstandenen, im Rechnen mit der Kraft des Geistes, im Glauben, in der Liebe und in den vielen anderen religiösen bzw. eschatologischen Formen in ihrer je eigenen Rationalität. In dieser zweiten Vorstellung vom sich schon jetzt vollziehenden Weltgericht könnte das göttliche Richten als graduelle Erschließung der Wahrheit, der Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung verstanden werden und als Metapher für den Weg, den Jesus für die Transformation der Welt vorgeschlagen hat: Wir kommen weiter, so Jesus, wenn wir uns an unseren geringsten Brüdern orientieren: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“. (Mt 25,40). Es geht nach Welker also letztlich um kreative Formen der Selbstzurücknahme zugunsten anderer. Danach werde am jüngsten Tag geurteilt. 

Welker bezweifelt, dass Hegels Konzept eines in staatliche Institutionen eingegangenen Weltgerichts einen dem biblischen Normenzusammenhang mit seiner Suche nach Gerechtigkeit, seiner Inkulturation des Schutzes von Schwachen, seiner durch Kultur und Bildung eingefleischten Gewissensprüfung und seiner Sensibilisierung für die Korrumpierbarkeit der Moral und der religiösen Formen der Selbstkritik gleichwertigen Kontext bereitstellen kann, der die komplexen individuellen und kulturellen Entwicklungs- und Bildungszusammenhänge steuern könnte. Der Theologe weist darauf hin, dass der biblisch gedachte Normenzusammenhang anders als staatliche Inkorporationen durch die Vorstellung des Jüngsten Gerichts den jeweils herrschenden Interessengruppen und Ideologien entzogen ist und dass das göttliche Wächteramt darauf besteht, dass diese Gesetze definitiv zu implementieren und zu erfüllen sind. Wenn Sie an den Tumult denken, den Slavoi Žižeks bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse für die Lage der Palästinenser gezeigtes Verständnis hervorgerufen hat, ahnen Sie, wie schwierig auch nur die Suche nach einer letzten säkularen, einer letzten innerweltlichen Wahrheit geworden ist. An ihre Durchsetzung mag man schon gar nicht mehr denken: 

Žižek hat in Frankfurt die terroristischen Angriffe der Hamas auf die israelische Bevölkerung verurteilt, aber auch dafür geworben, dass man auch den Palästinensern zuhören und den Hintergrund des Konflikts beachten muss, um ihn zu verstehen. Es kam dann beim Fortgang seiner Rede zu einem heftigen Disput mit dem hessischen Antisemitismusbeauftragten Uwe Becker um die Frage, ob Žižek den Terror der Hamas nicht mit der Politik und dem Vorgehen der israelischen Regierung vergleiche und den Terrorangriff der Hamas relativiere, in dessen Folge Becker und wohl auch Claudia Roth den Saal zeitweilig verlassen haben.

Putins Vorstellung eines durch die Historie gedeckten und gerechtfertigten Interesses an der Ukraine und sein durch diese Vorstellung legitimierter Krieg basieren auf vergleichbaren Dilemmata. 

Deshalb bezweifle ich mit Michael Welker, dass eine machtgestützte, intellektuell und technisch kontrollierte Selbstdurchsetzung der Vernunft in Gemeinwesen weltweit durchsetzbar ist und halte es für notwendig, sich wie Volz auch noch heute an Bildern des Weltgerichts und der Wiederkunft des Weltenrichters abzuarbeiten.

ham, 21. Oktober 2023

 

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