Die Brenzkirche – ein „germanisierter Baukörper“
Zur Ausstellung von Florian Klette „Above us only sky“
„Above us only sky“ – die Ausstellung von Florian Klette ist in der Stuttgarter Brenzkirche noch bis zum 10.November zu sehen. Sie setzt sich mit künstlerischen Mitteln mit der bewegten Geschichte der Kirche während und nach der Nazizeit auseinander.
In der Nachbarschaft der berühmten Weißenhofsiedlung im Jahr 1933 erbaut, wurde sie bereits wieder 1938 umgebaut, weil der Stil des Neuen Bauens den Nationalsozialisten missfiel. „Wenn einem ein Gebäude leidtun könnte, dann die Brenzkirche“, sagte Pfarrer Karl-Eugen Fischer in seiner Predigt zur Ausstellungseröffnung.
Das Runde wurde 1938 eckig gemacht
1938 wurde eine architektonische Rundung eckig gemacht, das damals moderne Flachdach mit einem Giebeldach überbaut, der vormals offene Glockenturm eingemauert und die Fenster verändert. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche zerstört – und nach den Plänen des „ideologischen Korsetts“ – und nicht nach dem stimmigeren Original – wieder errichtet.
Die Ausstellung mit Werkstücken, Skulpturen, Zeichnungen, eine Installation im Dachstuhl sowie ein Sprecherstück für zwei Personen eröffnete Helmut A. Müller vom Bildungszentrum Hospitalhof. Klette habe sich mit der Geschichte eines Gebäudes beschäftigt, das zur NS-Zeit als „Seelensilo“ beschimpft wurde. Nach der Auseinandersetzung mit der Historie hätte sich der Künstler auch gefragt, warum der Evangelische Oberkirchenrat Stuttgart und der Kirchengemeinderat dem Drängen der Nationalsozialisten nachgegeben hätten. Der Künstler wählte jedoch in seiner Kunst eine bewusst naive Perspektive, um mit den architektonischen Formen und der Farbgebung der Kirche zu spielen. Was bedeutet es, wenn die Form – die Verpackung – funktionale, ästhetische und ideologische Seiten hat? Wenn sich Wert- und Moralvorstellungen von ganzen Nationen oder einzelnen Personen an einer Architekturform, einem eckigen Dach oder einem Flachdach festmachen?
Lähmende, bürokratische Strukturen
Das Stück für zwei Sprecher, das von den Schauspielern Barbara Denjean- von Stryk und Dietmar Ziegler dargeboten wurde, hat Klette collagenartig aus Fundstücken aus dem Archiv der Brenzkirche entworfen. Es fügte sich laut Müller eindrücklich in Klettes künstlerisches Spiel mit den Farben und Formen ein. So ließ er die Besucher der Brenzkirche erleben, wie sie gebaut, umgebaut, wiederaufgebaut und zum Denkmal wurde. Doch wie es wirklich gewesen ist, hielt der Künstler in der Schwebe. Er verurteilt nicht, er dokumentiert verschiedene Perspektiven – alles hätte auch ganz anders sein können…
Die ursprüngliche Modernität der Kirche, die nicht mit Spitzbögen und Säulen daherkam, sondern die auch wegen Kostengründen als schlichter Flachdachbau von Alfred Daiber entworfen worden sei, habe nicht der nationalsozialistischen Gesinnung entsprochen, betonte Pfarrer Fischer in seiner Predigt. Aus einer wohlproportionierten Kirche sei ein schwerfälliger und aufgeblasener „germanisierter“ Baukörper geworden – ungeliebt, vergewaltigt und arisiert. Der ursprüngliche Erbauer, der Architekt Daiber, sei allerdings wohl kein liberaler Geist gewesen, sondern schon 1932 der NSDAP beigetreten. Trotzdem habe er eine Kirche auf dem Weißenhof erbaut, die Liberalität ausstrahlte, so wie die benachbarte Weißenhofsiedlung, die mit ihren weißgetünchten Flachdächern als „Berberdorf“ vom NS-Regime verunglimpft worden sei.
Seit 1984 steht nun die Brenzkirche unter Denkmalschutz, weil sie den Kampf der Nazis gegen das Neue Bauen dokumentiere. „Aus der Traum von einer Rehabilitation der Brenzkirche“, bedauerte Fischer, der sich gegen den Stillstand der Entwicklung der Kirche wendet und gegen lähmende, bürokratische Strukturen. Anhand einer Geschichte aus dem Markus-Evangelium, in der die Freunde eines Gelähmten ein Dach bestiegen und es aufbrachen, um den Gelähmten ins Gebäude zu hieven, in dem Jesus sich befand, damit er ihn heilt, appellierte Fischer an die Gemeinde, wie wichtig es sei, auch aufs Dach zu steigen und Mauern aufzubrechen, wenn sie den Weg zur Heilung des Gelähmten versperren.
Es tropft auf das Flachdach
Helmut A. Müller erläuterte, wie der Künstler Klette sich dem aufgesetzten Satteldach in zahlreichen Zeichnungen, Umzeichnungen und Brechungen näherte. So skizziert er ein Hemd, das die Dachform nachbildet und überkopf mit seinen Ärmeln applaudiert – eine Anpassungsgeste an den Ungeist des Dritten Reichs. „Hitler hat nach 1933 von der Anpassungsgesten der anderen und dem Applaus der Claqueure gelebt“, so Müller.
Die ideologische Festigkeit des Dachs weicht Klette wiederum mit seiner Installation auf. Es tropft unter dem nachträglich aufgesetzten Dachgestühl auf das ursprüngliche Flachdach hinauf – in unzählige Eimer hinein. Somit lasse der Künstler ein Hörbild entstehen – Regentropfen wie in der Anfangszeit des Gebäudes, als aus dem offenen Himmel Tropfen in das flache Dach fallen. „Wer während der Ausstellung über den Glockenturm in den Dachstuhl steigt, um Tropfen in 30 Eimer und Gefäße fallen hört und sieht, kann das aufwändige Gestühl vergessen. Er stellt sich auf den offenen Himmel ein und denkt an John Lennons Zeile im Song „Imagine“ „Above us only sky“, sagte Müller.
Kleine Partyzelte aus Marmor
Im Foyer präsentiert Klette Skulpturen als Entwürfe, die absurde Architekturen ausloten. Was entsteht, wenn Verpackungen für bare Münze gehalten werden? Was passiert, wenn Alltagsgegenstände wie aufgefaltete Haushaltsverpackungen, Damenstrümpfe oder Schokoladenschachteln mit Gips überzogen werden und als Sockel Ikea-Möbel dienen – schwarzblau eingefärbt wie der blaue Bezug der Kirchenbänke der Brenzkirche?
Klette schlug aus Marmorblöcken Mini-Partyzelte heraus, Billigsymbole aus griechischem Marmor, der eigentlich nur Schiller- oder Goethe-Büsten vorbehalten ist.
Zehn Collagen im kleinen Format, die im Treppenaufgang der Kirche in gedeckten Pastellfarben zu sehen sind, faltet der Künstler so auf, dass Architektur – und Bildräume von großer Leichtigkeit und hoher farblicher Stimmigkeit entstehen.
„Alles stimmt in diesen Arbeiten mit allem zusammen. Und alles erinnert irgendwie auch an den Kirchenraum. Aber die sinnlich-räumliche Erfahrung ist eine andere. Deshalb schließt man, dass auch Kirchen vergleichbare Atmosphären brauchen, wenn man in ihnen aufatmen, angstfrei leben und in eine offene Zukunft schreiten können soll“, schloss Müller.
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