Mai 24

Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 10.12.2011 – 19.02.2012 in der Kunsthalle Nürnberg
im KunstKulturQuartier mit einem Essay von Richard Grayson, Texten von Jörg Heiser und einem
Vorwort von Ellen Seifermann
Kunsthalle Nürnberg / Verlag für moderne Kunst Nürnberg, 2011, ISBN 978-3-86984-282-0, 80 S., 100
Farbabbildungen, Hardcover gebunden, Format 26,5 x 2,5 cm, € 24,–
Paranormale Fähigkeiten pubertierender Jugendlicher haben Grenzwissenschaftler und Filmemacher
schon immer interessiert, so das Tische- und Gläserrücken und das Schwebenlassen von
Gegenständen durch den Raum. Die staunen machende innige Gläubigkeit von Kindern, die zu
Kinderkreuzzügen und Kinderpilgerreisen führt, eher Theologen, Entwicklungspsychologen und
Historiker. Beide Phänomene interessieren auch die 1940 in Tallahassee, Florida, geborene und seit
1969 in London lebende konzeptionell arbeitende Künstlerin Susan Hiller. In ihrer Video-Installation
‚Wild Talents‘ von 1997 zeigt sie dokumentarische Sequenzen über pilgernde Kinder, deren
Erweckungserlebnisse sich in ihren Gesichtern spiegeln. In ihrer Video-Installation ‚Psi Girls‘ von 1999
spielt sie Szenen aus Mainstreamfilmen vor, die junge Mädchen zeigen, die der Telekinese fähig sind.
Dabei interessiert sie weniger der zweifelsfreie empirische Nachweis der Existenz dieser Phänomene
und mögliche Erklärungsmuster als ihre manifeste Existenz im kollektiven Gedächtnis. Fast jeder hat
schon einmal von diesen Phänomenen gehört und interessiert sich dafür, ob es paranormale
Phänomene wie Telekinese, Ufos und die Erscheinung von Verstorbenen gibt.
‚Wild Talents‘ und ‚Psi Girls‘ stehen im Zentrum von Hillers erster großer Einzelausstellung in
Deutschland. Zu den genannten Arbeiten kommen unter anderem ihre ‚Homage to Marcel Duchamp‘
von 2011, die sich mit der Aura-Fotografie auseinandersetzt und ihre ‚Homage to Yves Klein‘ von
2011: Sie geht dem Phänomen der Levitationen nach. Die titelgebende Arbeit ‚From Here to Eternity‘
von 2008 setzt sich mit dem Labyrinth in der Kunst- und Kulturgeschichte auseinander. „From Here to
Eternity (2008) besteht aus drei Leinwänden, auf die passgenaue Animationen projiziert werden, bei
denen jeweils ein farbiger Punkt durch ein Labyrinth wandert. Eines ist rund, eines achteckig und
eines achteckig mit kleineren Vielecken an vier Seiten… Das Labyrinth ist ein erstaunliches Stück
menschlicher Kultur: Eine komplexe Architektur, die einen langen Gang über ein System von
Umwegen und Sackgassen führt. In der drei Jahrtausende alten griechischen Mythologie ist diese
Struktur von Daedalus erbaut, auf dass dort der Minotaurus gefangen gehalten werde…; und in der
drei Jahrzehnte alten japanischen Mythologie von Namco Ltd., um dort den Pac Man auf die Reise zu
schicken, auf dass er kleine gelbe Punkte fresse und sich dabei vor den bösen Geistern Blinky, Pinky,
inky und Clyde in Acht nehme… Für Susan Hillers Arbeit spielt diese gesamte kulturhistorische
Spannbreite mit, dazu noch die Verwendung des Labyrinths in der Kunst (sie selbst nennt Mondrian,
Miro, Stella) und nicht zuletzt die nordfranzösischen gotischen Kathedralen von Chartres, Reims und
Amiens. Dort wurden im 12. bis 14. Jahrhundert die Böden mit komplexen Labyrinthen geschmückt,
denen die Funktion zugeschrieben wurde, rituell-symbolisch die Mühen und Umwege einer
Pilgerfahrt nach Jerusalem zu veranschaulichen. Man mag in Hillers Werk eher eine minimalistische
Antwort auf Pac-Man sehen; doch die Augen des Betrachters versuchen unweigerlich, den drei
Punkten jeweils zu folgen, was tatsächlich ein seltsames Schwanken zwischen Mühe und Meditation
erzeugt, das letztlich doch eher an die symbolische Pilgerfahrt der mittelalterlichen Gläubigen
erinnert“ (Jörg Heiser).
(ham)

Download: Susan Hiller – From Here to Eternity

 

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