Mai 24

Skulptur ist, wenn …

Von Helmut A. Müller | In Kunst, Rezensionen

Daniel Beerstecher / Jan Löchte / Gabriela Oberkofler / Tino Panse / Werner Pokorny / Stefan Rohrer
/ Anne Römpp / Rose Rücker / Kestutis Svirnelis / Manuela Tirler / Pablo Wendel
Publikation zu den gleichnamigen Ausstellungen vom 27.01. – 17.03.2013 in der Kunsthalle
Göppingen und vom 22. 3. – 28.04.2013 im Kunstverein Wilhelmshöhe Ettlingen e.V.
Hrsg. von Werner Meyer und Werner Pokorny mit Texten unter anderem Werner Meyer, Vivian
Sigmund und Stephan Samen
Kunsthalle Göppingen, Kunstverein Wilhelmshöhe Ettlingen, 2013, ISBN 978-3-927791-79-4, 134 S.,
zahlreiche Farbabbildungen, Hardcover gebunden, Format 24,6 x 17,3 cm, € 15.–
Zehn von elf in der Ausstellung ‚Skulptur ist, wenn …‘ gezeigten bildhauerischen Positionen sind mit
Werner Pokorny verbunden. Werner Pokorny hat seit 1988 die Professur für allgemeine
künstlerische Ausbildung mit dem Schwerpunkt Bildhauerei an der Staatlichen Akademie der
Bildenden Künste Stuttgart inne und geht 2013 in den Ruhestand. Er hat den freien, spielerischen
Umgang seiner Studenten mit den überkommenen künstlerischen Disziplinen durch seinen
„interdisziplinären und medienübergreifenden Begriff von Skulptur und bildhauerischen
Arbeitsweisen“ (Werner Meyer) entscheidend gefördert und mit zu ihrer Meisterschaft beigetragen.
Die elfte Position der Ausstellung steuert Pokorny selbst bei. Seine Installation ‚Spiel‘, 2011, erweitert
die 2008 auf dem Taufstein der Hospitalkirche Stuttgart gezeigte Urfassung der Arbeit um das
Element der großen Rolle, die in gewisser Weise an die Stelle der Säulen- und Beckenform des
Taufsteins tritt. Für Werner Meyer bietet Pokorny mit ‚Spiel‘ „eine weiterführende Sicht und
Interpretation seines bildhauerischen Werks. Wenn er seine elementaren Formen in der Größe … wie
in ihrer offenen Anordnung als zum Spiel ausgebreitete Bauklötzchen in Szene setzt, dann verweist er
auf einen Spielraum der Imagination, mit dem die einzelnen Teile aufgeladen … und zu kleinen
Welten zusammengebaut werden können. Wenn er kleine und monumentale Ausführungen der
Elemente … zusammen bringt, können wir erinnert sein an … Johathan Swifts Gulliver … Schließlich
ist das ‚Spiel‘ eine Interaktion des Systems, des Spielraums seiner bildhauerischen Praxis mit
möglichen Strategien, sich darin auf der Suche nach neuen Bildern zu bewegen. … Das Spiel ist in
diesem Sinne nicht nur künstlerisches Konzept, sondern Modell der Ökonomie jeglichen
schöpferischen Handels“ (Werner Meyer). Im Kreis der ehemaligen Schüler weitet Daniel Beerstecher
den überkommenen Skulpturenbegriff auf die ganze bewohnte Erde aus und wird als
Weltenwanderer zu ihrem Teil. In seinem Video ‚Sand am Meer‘, 2010 durchquert er mit einem
Surfbrett unter dem Arm eine Wüste, um dann schließlich am Meer anzukommen. Gabriela
Oberkoflers schon verschiedentlich gezeigtes Video ‚Tourterelle‘ spielt mit der Wehmut, die
aufkommt, wenn eine Taube die ihr angebotene Freiheit ausschlägt und in den offenen Käfig
zurückkehrt. Stefan Rohrer thematisiert wie schon HA Schult das Auto als Fetisch. HA Schult hatte
einem Ford Fiesta Flügel verliehen, ihn golden lackiert und auf den Turm des Kölner Stadtmuseums
gestellt. Ein zweiter goldener Fiesta wurde in einen Eisblock eingefroren und auf dem Platz vor dem
Kölner Dom wieder aufgetaut. Ein dritter in seine Einzelteile zerlegter goldener Fiesta wurde dann
1991 in der Hospitalkirche unter der Kanzel und in den Kirchenbänken als „gestürzter Engel“
präsentiert. Stefan Rohrer baut in ‚Helios‘, 2011 aus einem Porsche 911 die Sitze, die Lenkung, den
Motor und alles andere aus, was nicht zur Karosserie gehört. Anders als Schult greift er nicht in die
Karosserie ein; er vergoldet sie und bemalt sie mit dem Symbol des Sonnenrads. Manuela Tirler
schließlich führt in ‚Tumbleweed‘ bei Abrissarbeiten aus Stahlbeton herausgefressene Armiereisen
einer neuen Form zu: Die Armiereisen werden wie die aus Western bekannte gleichnamige Pflanze
‚Tumbleweed‘, zu deutsch Steppenläufer, Steppenroller oder Steppenhexe von den Abbruchbaggern
scheinbar spielerisch leicht zu zentnerschweren Nestern geformt. Tirler erklärt sie zu autonomen
Skulpturen. Im Kunstkontext ausgestellt feiern sie ihre Rettung vor dem Hochofen.
(ham)

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