Herausgegeben und mit einer Einführung von Hans Joas. Aus dem Englischen von Christine Pries
Verlag Herder, Freiburg im Breisgau, 2020, ISBN: 978-3-451-38333-5, 904 Seiten, Hardcover gebunden mit Schutzumschlag, Format 23,2 x 15,5 cm, € 99,00
Der US-amerikanische Religionssoziologe und Zeitdiagnostiker Robert N. Bellah (1972 – 2013; vergleiche dazu https://de.linkfang.org/wiki/Robert_N._Bellah) verknüpft in seinem 2011 unter dem Titel ›Religion in Human Evolution‹ bei Harvard University Press erschienen und jetzt auf Deutsch vorliegenden Alters- und Hauptwerk ›Der Ursprung der Religion‹ die Religionsgeschichte mit einer Geschichte des sozialen Wandels, dem seinerseits die kosmologische und biologische Evolution zugrunde liegt. Menschliche und religiöse Geschichte sind demnach in die biologische und kosmische Evolution hinein verwoben. Von besonderer Bedeutung sind für Bellah „die verhaltensbezogenen und symbolischen Aspekte der Evolution, die auf genetischen Veranlagungen beruhen, selbst aber nicht genetisch gesteuert sind, weil wir wahrscheinlich an dieser Stelle die meisten Quellen für Religion finden werden – kulturelle Weiterentwicklungen biologischer Anfänge … Es gibt eine Reihe von Kontinuitäten zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Säugetieren und Vögeln, von denen einige genetisch eng verwandt sind und andere ziemlich weit auseinanderliegen … Zu ihnen gehören Empathie, gelegentlich sogar Empathie mit Angehörigen anderer Arten, ein Sinn für Gerechtigkeit und die Fähigkeit zu vielerlei Formen der Kooperation. Das möglicherweise mit einigen Ausnahmen nur bei Säugetieren und Vögeln vorkommende Spiel stellt ein besonders signifikantes evolutionäres Erbe dar … Was die Evolution im Ganzen bedeutet, verstrickt uns in weitreichende Fragen, die fast unweigerlich zu Fragen nach dem letzten Sinn werden, die sich mit den Fragen der Religion überlappen …
Ich habe versucht anzudeuten, dass … in [der Evolution] sehr wohl Platz für Sinn und Zwecke ist und dass sich Sinn und Zwecke evolutionär entwickeln. Mich interessiert an der Evolution besonders die Entwicklung von Fähigkeiten, die einen bemerkenswerten Anteil am Gesamtgeschehen hatten: die Entwicklung der Fähigkeit, Sauerstoff zu erzeugen; der Fähigkeit, umfassende, komplexe Organismen zu bilden, nachdem es einige Milliarden Jahre lang nur einzellige Organismen gegeben hatte; der Fähigkeit zur Endothermie als dem Vermögen von Vögeln und Säugetieren, eine gleichbleibende Körpertemperatur zu bewahren, was ihr Überleben bei extrem heißen oder kalten Temperaturen erlaubt; der Fähigkeit, Tage oder Wochen im Fall vieler Säugetiere und Vögel, Jahre im Fall von Schimpansen und anderen Menschenaffen oder Jahrzehnte im Fall von Menschen mit der Aufzucht von hilflosen Säuglingen und Kindern zuzubringen, die auf sich allein gestellt nicht zu überleben vermöchten; der Fähigkeit, Atombomben zu bauen. Die Evolution gibt uns keine Garantie, dass wir diese Fähigkeiten sinnvoll und richtig nutzten. Diese Art von Fähigkeit kann uns eine Hilfe sein oder uns zerstören, je nachdem, was wir mit ihr anfangen …
Doch was verstehe ich unter Religion und worin besteht die Evolution von Religion? … Religion [ist] ein komplexes System, das sich nicht leicht definieren lässt. Für den Anfang möchte ich auf Clifford Geertz’ bekannte Definition zurückgreifen. Mit Geertz gesagt ist Religion ein Symbolsystem, das bei seinem Nachvollzug [enactment] durch Menschen starke, durchdringende und lang anhaltende Stimmungslagen und Motivationen erzeugt, die in Bezug auf die Vorstellung einer allgemeinen Seinsordnung Sinn ergeben“ (Robert N. Bellah S. 6 ff.). Wie Geertz geht Bellah davon aus, dass Symbole grundlegend für Religion sind und Religion im ausgesprochenen Sinn wie Wissenschaft erst durch die Entwicklung von Sprache möglich wird. Sie hat Anteil an der kulturellen Wirklichkeit, vielfältige Ausprägungen und Gestalten, stellt die Alltagswirklichkeit infrage, weist über sie hinaus, chiffriert sie in Ritualen und Mythen und denkt über den Sinn und Zweck des Ganzen nach.
Spannend sind Fragen wie die, wie sich Rituale aus dem Spielen von Tieren weiterentwickelt haben und daraus Mythen und Theorien im Sinne von Ganzheitsschauen geworden sind, die, was Religion zur Ausbildung, Überhöhung und Destruktion von gesellschaftlichen Machtstrukturen und Vorstellungen von Gott, König und Volk beigetragen haben und warum im Israel der Achsenzeit die Vorstellung eines göttlichen Bundes mit dem Volk aufkommt, den das Volk und Gott in seiner Besonderheit wechselseitig anerkennen und dass im Deuteronomium das Wort Gottes an die Stelle Gottes tritt (vergleiche dazu und zum Folgenden Robert N. Bellah S. 434 – 452): Nach dem Deuteronomium ist Gott König geblieben, auch wenn sich Israel den assyrischen Großkönigen Assurs unterwerfen musste, denn Assur handelte im Namen Jahwes. Zugleich wird das Königtum immer unwichtiger, was sich auch an Mose zeigt: Im Gegensatz zum Pharao ist Mose kein Großkönig; aber er handelt wie einer und wird doch in einem anonymen Grab in Moab begraben und nicht in einer Pyramide (vergleiche dazu Deuteronomium 34,6). Israel darf sich dann zwar einen König wählen, aber wichtiger ist die Thora, an die sich der König und jeder Einzelne halten soll. Deshalb muss alles, was Mose nach dem Deuteronomium gesagt haben soll, vollständig aufgeschrieben werden (Deuteronomium 31, 24). Letztlich wird damit die Thora wichtiger als der König und die Propheten.
Gott ist im Himmel, aber durch sein Wort ist er immer in Reichweite. Im Glaubensbekenntnis „Höre Israel! Der Herr unser Gott ist einer. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft“ (Deuteronomium 6, 4 f.) wandert der bildlose Gott gleichsam in die Herzen der Gläubigen: Gott ist zum Wort geworden und das Judentum zur ortsunabhängigen Textreligion. In der Folge geht es letztlich um die lebenspraktische Auslegung des Doppelgebots der Gottes- und der Nächstenliebe und das Recht des Fremdling, wie ein Einheimischer im Land zu leben (Leviticus 19,34). Und jedem steht es frei, zu reflektieren, was gut ist und was Gott von ihm fordert. Damit emanzipiert sich der Einzelne von der Kette der Geschlechter und der Willkür der mythischen Mächte (Jürgen Habermas, vergleiche dazu Robert N. Bellah S. 443).
„Insgesamt ist der historische Rahmen der Hebräischen Bibel zwar ungemein meganarrativ, doch handelt es sich dabei um eine Metaerzählung, der keine Kultur, die sie verinnerlicht hat, je entkommen zu entkommen vermochte. Und um eine Metaerzählung, die so wirkmächtig und flexibel war, dass alle Bewegungen und Gegenbewegungen, etablierte Theorien und Irrlehren auf sie zurückgreifen konnten, um ethische / soziale / politische Programme rechtfertigten, die – nicht immer auf positive Weise – zu allen folgenden historischen Dynamiken beitragen sollten. Auch darin haben wir es mit einer neuen kulturellen Form zu tun, die so gewaltige Auswirkungen hat, dass wir sie als Teil des achsenzeitlichen Wandels verstehen müssen.
Die sozialen Errungenschaften einer Völkerschaft ohne Monarchie, eines dem göttlichen Gesetz und nicht willkürlicher staatlicher Herrschaft gehorchendes Volk und eines aus verantwortlichen Individuen bestehenden Volkes müssen wir letztendlich als Ergebnis der vom alten Israel erreichten rhetorischen und narrativen Neuerung verstehen. Hierfür war die nachexilische Entstehung der Synagoge entscheidend … : eine religiöse Gemeinde, die überall dort zustande kommen konnte, wo sich ein Quorum Juden versammelte, eine Gemeinschaft, die sich in äußerlichen Dingen jedem Staat unterordnen würde, der an der Macht war, den Gläubigen aber eine alternative Lebensregel zur Verfügung stellte. Dies war auch die Keimzelle sowohl für die christliche Kirche als auch für die islamische Umma. Es handelt sich nicht um ›die Ausdifferenzierung von Kirche und Staat‹, aber um einen Ansatzpunkt, von dem aus dieser Gedanke vorstellbar war“ (Robert N. Bellah S. 452 f.)
Aus dem alten Griechenland haben die Vorstellung einer demokratisch geordneten Polis als einer der Alternativen zum Tyrannenstaat ebenso überlebt wie die fast vollständig erhaltenen Werke von Platon und Aristoteles, „während wir über vielleicht weniger als die Hälfte von Heraklits so kleinem, aber wertvollen Büchlein verfügen, ganz zu schweigen vom überwiegenden Teil der griechischen Tragödien, die verloren gegangen sind. Aber besonders in jenen ersten Jahrzehnten nach Sokrates ist genug, ja mehr als genug von dem erhalten geblieben, was geschaffen wurde, um die Welt für immer von Grund auf zu verändern. Und als die Traditionen des achsenzeitlichen Israels sich zu einer merkwürdigen Hassliebe mit den Traditionen des achsenzeitlichen Griechenlands zusammenfanden, war das Ergebnis, im Guten wie im Schlechten, in mehr als geringem Maße die Welt, wie sie heute ist“ (Robert N. Bella S. 560).
Aus dem China des späten ersten Jahrtausend kommt unter anderem der in seinem Einfluss mit Platon auf das Abendland vergleichbare Konfuzius (552 v. Chr. – 479 v. Chr.; vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Konfuzius) zur Sprache. Weiter der nach dem Tod von Konfuzius im Jahr 479 v. u. Z. geborene Mo di oder Mozi (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Mozi), der Daoismus (vergleiche dazu etwa https://de.wikipedia.org/wiki/Daoismus), Mengzi (um 370 v. Chr. – um 290 v. Chr.; vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Mengzi) und schließlich auch noch Xunzi (um 300 – 239 v. Chr.; vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Xunzi).
„Die sozialen Bedingungen, denen Xunzi sich im dritten Jahrhundert gegenübersah, waren eher noch schlechter als die Bedingungen, die Mengzi im vierten vorgefunden hatte, und er setzte die Tradition der scharfen Gesellschaftskritik fort. Obwohl er eine hierarchische Gesellschaftsordnung vertrat …, war für ihn wie für Mengzi, nach wie vor das Volk das Barometer für die Legitimation eines Herrschers … Wenn die Herrscher … ›begierig stets nach dem aus sind, was andere haben‹, führe dies zu einer drückenden Steuerlast auf Seiten des Volkes, das dazu gezwungen werde, ihre verschwenderischen Pavillons und Parks zu bauen, und Wehrdienst in ihren Kriegen ableisten müsse, und bringe dies schließlich ihre Staaten in Gefahr. Wenn jemand auf Sicherheit bedacht sei, ›gibt es nichts Besseres für ihn, als für eine ausgeglichene Regierung zu sorgen und auf das gewöhnliche Volk Rücksicht zu nehmen‹“ (Robert N. Bellah S. 646). Trotzdem hat Xunzi einige der radikalsten Gedanken unterstrichen, die sich „im frühchinesischen Denken finden, vor allem: ›Dem Dao zu folgen und nicht dem Fürsten, der Gerechtigkeit zu folgen und nicht dem Vater‹. Angesichts des großen Nachdrucks, der im Konfuzianismus der Kaiserzeit auf dem Gehorsam gegenüber Herrschern und Vätern gelegt wird, der verlangt, dass man gegenüber solchen Höhergestelltem Einwände erhebt, ihnen aber niemals den Gehorsam verweigert, wenn man nicht ihrer Meinung ist, wirkt dieser kurze Satz geradezu revolutionär“ (Robert N. Bellah S. 652).
Im Kapitel über das alte Indien führt Bellah unter anderem vor, dass die äußere Wirklichkeit im weitesten Sinne (brahman) in den „Gleichungen“ der Brahmanas und die tiefste innere Wirklichkeit (ātman) identisch geworden sind. „Wenn die Upanishaden auf der metaphysischen Ebene den Anfang theoretischer Reflexion markieren, für den Metaphern nach wie vor zentral sind, aber der Begriffsklärung dienen, und die Argumentation sich auf der Ebene von universeller Wahrheit bewegt, können sie in kognitiver Hinsicht zu Recht als achsenzeitliches Moment in der Entwicklung des frühindischen Denkens verstanden werden“ (Robert N. Bellah S. 712). Beim Vergleich der Brahmanen im alten Indien und der Konfuzianer im alten China kommt Bellah zu folgender Einschätzung: „Beide waren Hüter der normativen Ordnung, dharma im Fall von Indien, li im Fall von China, und es sei daran erinnert, dass beide Begriffe ursprünglich Opferritual bedeuteten, auch wenn sie so stark erweitert wurden, dass sie die normative Ordnung im Ganzen umfassten. Im Hinblick auf den Staat besteht nun aber zwischen beiden ein auffälliger Unterschied: Ein Konfuzianer verstand den Staat als potenzielle Verkörperung der idealen Sozialordnung und fühlte sich deshalb in erster Linie zu öffentlichen Ämtern berufen; für einen Brahmanen war die Sozialordnung in einem beträchtlichen Maße vom Staat unabhängig, auch wenn dieser sie als ideale Ordnung verteidigte, und er fühlte sich in erster Linie dazu berufen, Religionslehrer und Priester zu werden. Aufgrund dieses Unterschieds hielt man im Westen China für ›säkular‹ und Indien für ›religiös‹, obwohl der chinesische Idealstaat im selben Maße religiöse Werte verkörpern sollte wie die ideale indische Sozialordnung“ (Norbert N. Bella S. 728).
Der Verwandlung der brahmanischen Ideologie und ihrer achsenzeitlichen Ethisierung im Buddhismus geht nach Bellah eine doppelte Umkehrung der grundlegenden soteriologischen Gleichung der Upanishaden voraus: „ātman (Ich) ist gleich brahman (äußere Wirklichkeit). Buddha bestritt, dass ātman oder brahman über essentielle Wirklichkeit verfügen, und setzte deshalb die upanishadische Gleichung 1 = 1 auf die buddhistische Gleichung 0 = 0 herunter. Die anattā-Doktrin, das heißt die Lehre vom Nicht-Ich, findet in der Aufforderung Ausdruck, nichts als Ich anzusehen: ›Dies ist nicht meins, dies bin nicht Ich, dies bin ich nicht selbst‹. Auf dieser Prämisse beruhen sogar die Vier Edlen Wahrheiten“ (Robert N. Bella S. 735). „Die Erste Edle Wahrheit lautet, dass alles Leben Leiden ist (dukkah). Die Zweite Edle Wahrheit lautet, dass die Ursache von Leid bzw. Unzufriedenheit Begehren (tanha), Verlangen oder Anhänglichkeit ist. Die Dritte Edle Wahrheit lautet, dass die Unzufriedenheit endet, wenn das Verlangen, Begehren oder die Anhänglichkeit endet, und die Vierte Edle Wahrheit ist die Art und Weise, wie sich dieses Ende erreichen lässt, nämlich durch den ›Edlen Achtfachen Pfad‹. Der Pfad kann sehr anspruchsvoll sein, aber die ersten Schritte … kann jeder machen“ (Robert N. Bellah S. 736 f.). Dementsprechend predigte Buddha nicht nur zu potenziellen religiösen Virtuosen, sondern zu Laien und Laiinnen.
Im Schlussteil des Kapitels über das alte Indien der Achsenzeit widmet sich Bellah dem Epos als einer Bewältigungsstrategie zentraler ethischer und religiöser Probleme in der indischen Tradition. Das als „buddhistisches Epos“ bezeichnete Vessantara Jātaka erzählt von einem in den Wald verbannten idealen König, der wegen seiner extremen Großzügigkeit in den Konflikt mit der Öffentlichkeit gerät, besonders dann, als er den Staatselefanten weggibt, der über Zauberkräfte verfügt und Regen machen kann. Daraufhin wird er verbannt. Seine Frau und seine beiden Kinder ziehen sich in den Wald zurück, bis ein missmutiger Brahmane erscheint und die Herausgabe von Vessantaras Kindern verlangt und dieser zum Leidwesen seiner Frau einwilligt. Darauf erscheint der verkleidete König der Götter, Indra, und bittet ihn um seine Frau, um dem böswilligen Brahmanen zuvorzukommen. Indra offenbart sein wahres Gesicht und gibt Vessantaras Frau zurück, die „jetzt niemand mehr überlassen werden darf, weil ein Geschenk unantastbar ist … Collins Gesamtdeutung der Geschichte lautet folgendermaßen: ›Es handelt sich … um eine schmerzlich aufrichtige Konfrontation mit den Schwierigkeiten der Entsagung, die zeigt, dass tatsächliche menschliche Güter letztendlich bei der menschlichen Suche nach höchster Glückseligkeit aufgegeben werden müssen; und es handelt sich um den subtilsten und erfolgreichsten Versuch der Literatur auf Pali, asketische Werte in eine gewöhnliche, produktive und reproduktive Gesellschaft einsickern zu lassen. Zwangsläufig erhaschen wir am Ende der Geschichte nur einen kurzen Blick auf eine solche Gesellschaft, da eine bündige narrative Beschreibung über die [einer solchen Gesellschaft innewohnenden] Widersprüche und Paradoxien stolpern würde‹ … Es lohnt sich, darüber nachzudenken, dass die … Epen … die Fragen der Gewalt und ihrer Übel, eines guten Königs und einer guten Gesellschaft weitaus expliziter aufwerfen als die Ilias, die Odyssee oder die Aeneis … Am beeindruckendsten an den indischen Epen ist ihr narratives Vermögen, Einsichten aus dem systematischen Denken zu übernehmen und deren Komplexität und innere Widersprüchlichkeit unerschrocken vor Augen zu führen“ (Robert N. Bellah S. 779 ff.).
In seinen Schlussüberlegungen greift Bellah noch einmal die schon im zweiten Kapitel aufgeworfene Frage nach dem Metanarrativ seiner Erzählung auf. Gegenwärtig gilt die kosmische und biologische Evolution als durchgesetztes und wirkmächtiges Metanarrativ. „Für viele Wissenschaftler führt sie zu etwas, das sie selber als Gefühl der Ehrfurcht beschreiben. Das ist eine vollkommen natürliche und legitime Reaktion, doch handelt es sich dabei um einen Fall …, in dem die religiöse Sphäre und die wissenschaftliche Sphäre aufeinander zukommen und sich tatsächlich überlappen“ (Robert N. Bellah S. 177). Dass die Evolution meist zur Rechtfertigung der Gewinner und Verunglimpfung der Verlierer dient, zu Vorbehalten gegen eine als Daseinskampf verstandenen Geschichte führt und in die ökologische Krise und die Möglichkeit einer gegenseitigen Ausrottung durch die Atombombe einmündet, macht ihre Überzeugungskraft als Metanarrativ nicht kleiner. Wenn aber Universalgeschichte eine wertschätzende Darstellung unterschiedlichster Kulturen und Religionen über große Zeiträume hinweg möglich macht und eine Vorstellung von humaneren Zukünften vermittelt, ist nach Bellah nichts dagegen einzuwenden. Unter dieser Prämisse rekonstruiert Bellah, wie Menschen vom Paläolithikum bis zur Achsenzeit eine Fülle von Fähigkeiten und Bedürfnisse entwickelt und diese zu neuen Vorstellungen des Lebens und neuen Formen des Zusammenlebens geführt haben.
Nach Jürgen Habermas ist Bellas Alterswerk „die intellektuelle Ernte des reichen akademischen Lebens eines führenden Gesellschaftstheoretikers, der ein breites Spektrum biologischer, anthropologischer und historischer Literatur verarbeitet hat, um ein atemberaubendes Projekt zu verfolgen … Auf diesem Gebiet kenne ich keine ebenso ehrgeizige wie umfassende Studie“ (Jürgen Habermas, zitiert nach https://translate.google.de/translate?hl=de&sl=en&u=https://en.wikipedia.org/wiki/Robert_N._Bellah&prev=search&pto=aue).
ham, 31. Mai 2021